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zu åndern, und dadurch einzuräumen, daß sie so lange geirret und einen übeln Geschmack gehabt: zumal, wenn sie Leuten, die jünger find, als sie, recht geben, und folgen sollen.

Vel quia nil rectum, nifi quod placuit fibi, ducunt;
Vel quia turpe putant, parere minoribus, et, quæ
Imberbes didicere, fenes perdenda fateri.

Hor. L.II. Ep.1.

Entweder weil man nichts für recht und richtig hält,
Als was man selber liebt, was seinem Sinn gefällt;
Wonicht, weil man sich soll nach jüngern Leuten richten,
Und was man jung gelernt, im Alter selbst vernichten.

28. §. Junge Leute hingegen können leichter ihren Ges schmack ändern, wenn sie gleich bereits verwöhnet worden. Sie sind in ihrer Meynung noch so sehr nicht verhärtet; sie trauen ihren Urtheilen noch keine solche Unfehlbarkeit zu, daß sie nicht auch zuweilen falsch seyn könnten: sie geben also eher der gefunden Vernunft Gehör, und begreifen die Richtigkeit der Regeln gar leicht. Ja wenn man ihnen gleich nicht die Gründe des guten Geschmackes und die Quellen wahrer Schönheiten entdecken und begreiflich machen kann; weil sie etwa nicht studiret haben, oder sonst die gehörige Fähigkeit nicht besigen: so lernen sie doch aus der bloßen Empfindung endlich recht urtheilen. Man darf ihnen nur etwas Schönes zeigen, und sie aufmerksam darauf machen: sogleich werden fie es gewahr. Denn mehrentheils gefällt ihnen deswegen das Schlechte, weil sie noch nichts bessers gesehen haben: nicht anders, wie mancher bloß daher in eine mittelmäßige Gestalt verliebt ist; weil er noch keine Gelegenheit gehabt, eine rechte Schönheit kennen zu lernen. Man zeige nur einem folchen Liebhaber eine vollkommenere Person, als seine vermeynte Halbgöttinn ist: er wird ihrer entweder gar vergessen ; oder doch zum wenigsten den größten Theil seiner Hochachtung gegen dieselbe verlieren. Indessen ist es nicht zu leugnen, daß auch junge Leute zuweilen von dem schon ziemlich einge= führten guten Geschmacke muthwillig abweichen, und auf einen

weit schlimmern verfallen. Dieses wiederfährt stolzen und ehrsüchtigen Köpfen, die sich, es koste was es wolle, durch etwas neues und seltsames unterscheiden wollen. Der ge bahnte Weg ist ihnen zu verächtlich: sie wollen sich durchaus hervor thun, und wenn es gleich durch Thorheiten seyn sollte. Sie ahmen also auch die Fehler großer Leute, auch offenbare Abweichungen von Regeln der Vernunft nach; und verführen wohl gar durch ihr Erempel andre. So win die Kunstrichter, daß Ovid und Seneca den römischen, Marino und Ariost den wälschen, Milton den englischen, ja durch seine Uebersetzungen auch den deutschen Geschmack zum Theile verderbet habe.

29. §. Und so hätte ich wohl meines Erachtens in diesem Hauptstücke meinen Vorfah ins Werk gerichtet, indem ich nicht nur einen deutlichen Begriff von dem Geschmacke überhaupt gegeben, sondern auch die Regeln des guten Geschmacks entdecket, und ihn dadurch von dem übeln unterschieden; ferner dieses gegen die Einwürfe vertheidiget, und endlich etliche zweifelhafte Fragen, die bey dieser Materie aufgeworfen worden, nach meinen Grundsäßen entschieden. Nunmehr sollte ich besondere Lehren geben, und zeigen, was denn in allerley Gedichten, Einfällen und Ausdrücfungen dem guten oder übein Geschmacke gemäß sen. Allein, dieses ist eine Arbeit, die alle folgende Capitel dieses Buches einnehmen wird, als in welchen ich stückweise die Regeln vortragen will, darnach die poetischen Schönheiten beurtheilet werden müssen. Man merke zum Beschlusse Horazens Regel an:

Interdum vulgus rectum videt; est ubi peccat.
Lib. II. Ep.1.

Oft hat der Póbel recht, und oftmals fehlt er auch: Und,
Maxima pars Vatum

Decipimur fpecie recti.

Der Dichter größter Theil betrügt sich durch den Schein.

Das

000000000000000000000000000000

Das IV. Hauptstück.

Von den dreyen Gattungen der poetischen Nachahmung, und insonder heit von der Fabel.

1. S

ie Nachahmung der Natur, darinnen, wie oben gewiesen worden, das Wesen der ganzen Poesie besteht, kann auf dreyerley Art geschehen. Die erste ist eine bloße Beschreibung, oder sehr lebhafte Schilderey von einer natürlichen Sache, die man nach allen ihren Eigenschaften, Schönheiten oder Fehlern, Vollkommenheiten oder Unvollkommenheiten seinen Lesern klar und deutlich vor die Augen malet, und gleichsam mit lebendigen Farben entwirft: so daß es fast eben so viel ist, als ob sie wirklich zugegen wäre. Dieses nun mit rechter Geschicklichkeit zu verrichten, das ist eine gar feine Gabe: und man hat es dem Homer zu großem Lobe an= gemerket, daß ein berühmter griechischer Maler, der eine Minerva zu schildern willens war, zu dem Ende erst in der Jlias die Beschreibung dieser Göttinn nachgeschlagen, sie durchgelesen, und sich dadurch eine lebhafte Abbildung von ihr gemachet. Solche Malerey eines Poeten nun, erstrecket sich noch viel weiter, als die gemeine Malerkunst. Diese kann nur für die Augen malen, der Poet hergegen kann für alle Sinne Schildereyen machen. Er wirket in die Einbildungskraft; und diese bringt die Begriffe aller empfindlichen Dinge fast eben so leicht, als Figuren und Farben hervor. Ja er kann endlich auch geistliche Dinge, als da sind innerliche Bewe gungen des Herzens, und die verborgensten Gedanken beschreiben und abmalen. Nur ist hierbey zu merken, daß ein Dichter seine Absicht niemals vergessen muß. Ein jedes endliches Ding hat zwo Seiten, eine gute und eine böse. Will man nun ein Ding loben: so muß man die erste; will

man

man es aber tadeln, so muß man nur die andre abschildern. In beyden Bildern wird Wahrheit seyn, wenn man der Natur folget, und die Sache nicht zu hoch treibt. Hierwider aber pflegen so wohl Lobdichter, als Satirenschreiber zu verstoßen, die insgemein in beydem kein Maaß zu halten wissen.

2. §. Doch diese Art der poetischen Nachahmung ist bey aller ihrer Vortrefflichkeit nur die geringste: weswegen sie auch Horaz im Anfange seiner Dichtkunst für unzulänglich erklåret, einen wahren Poeten zu machen. Wenn ich die besten Bilder von der Welt in meinen Gedichten machen · könnte, so würde ich doch nur ein mittelmäßiger oder gar nur ein kleiner Poet zu heißen verdienen: dafern ich nämlich nichts bessers zu machen wüßte. Ja ich könnte wohl gar ein verdrüßlicher Dichter und Scribent werden, wenn ich meinen Lesern mit unaufhörlichen Malereyen und unendlichen Bildern einen Efel erweckte. * Boileau hat diesen Fehler am Scudery schon angemerkt und verworfen, wenn er im I. Gef. seiner Dichtkunst geschrieben :

Un Auteur quelque fois trop plein de fon Objet,
Jamais, fans l'epuifer, n'abandonne un Sujet,
S'il rencontre un Palais, il m'en depeint la Face,
Il me promene aprés de Terraffe en Terraffe;
Ici s'offre un Perron, la regne un Corridor,
Là ce Balcon s'enferme en un Baluftre d'or.

* Der Pater Bossú in seinem Tra: ctate vom Heldengedichte auf der 276 S. schreibt davon fo: Nous pouvons encore mettre au nombre des matieres, qui ne font pas poetiques, les Defcriptions de Palais, de Jardins, de Bocages, de Ruiffeaux, de Navires, et de cent chofes naturelles et artificielles; lorsque ces Defcriptions font faites un peu trop au long, d'une Maniere fimple, propre et fans Allegorie. C'eft ce, qu'Horace nomme des Lambeaux éclatans, que les Poetes placent quelquesfois tres- mal, penfant que ces Fautes feront de beaux Orne

Il con

nens de leurs Ouvrages. Cela eft bon en de petits Poemes. d. i. Una ter die Materien, die nicht poetisch find, können wir auch die Beschrei=" bungen von Vallåsten, Gärten, Ge büschen, Flüssen, Schiffen, und hundert andern natürlichen und künstlichen Dingen zählen, wenn sie ein bischen zu lang, schlechtweg, und ohne Allegorie gemacht sind. Das nennt Horaz glänzende Lappen, wel che die Poeten oftmals sehr übel anbringen, und glauben, diese Fehler würden ihre Gedichte zieren. Dick ist gut in kleine Gedichte.

Il conte des Plafonds les Ronds et les Ovales,
Ce ne font que feftons, ce ne font qu' Aftragales.
Je faute vingt Feuillets, pour en trouver la Fin,
Et je me fauve à peine au Travers d'un Iardin.
Fuyez des ces Auteurs l Abondance fterile!
Et ne vous chargez point d'un Detail inutile,
Tout ce qu'on dit de trop, eft fade et rebutant.
L'Esprit raffafié le rejette à l'instant;

Qui ne fçait fe borner, ne fceut jamais écrire.

Wie viele Dichter haben nicht bey uns wider diese Regeln verstoßen; die uns wohl gar ganze Bücher voller Beschrei= bungen und gekünstelter Schildereyen aufgedrungen haben? Ein jeder wird merken, daß ich die Brockischen Schriften meyne, in welchen gewiß weit mehr das gute Herz des Dichters, als sein Geschmack und seine Kunst zu loben ist. Noch lächerlicher sind diejenigen, die uns ganze Lehrbücher von den Beschreibungen geschrieben. Sie machen eine Sache, die doch kein Hauptwerk des Dichters ist, ohne Noth schwer, und verdunkeln durch ihre unendlichen Abtheilungen und Zergliederungen, dasjenige, was ein muntrer Kopf ohne alle Regeln weit besser trifft. So muß man denn auch in diesem Stücke Maaß zu halten wissen; theils, daß man unnöthige und überflüßige Bilder seinem Leser nicht aufdringe; theils bey einem an sich nöthigen Abrisse nicht gar zu sorgfältig alle Kleinigkeiten auszudrücken bemüht sey. Virgil wird deswegen gelobt, weil er in Beschreibungen so bescheiden gewesen. Er hat wohl zehnmal Gelegenheit gehabt, den Regenbogen abzumalen: und was würde uns da ein poetischer Maler von Profeßion, nicht mit seinen Farben gequålet haben! Aber der bescheidne Virgil sagt nichts mehr, als:

Mille trahens varios adverfo fole colores.

3. §. Die andre Art der Nachachmung geschieht, wenn der Poet selbst die Person eines andern spielet, oder einem, der sie spielen soll, solche Worte, Gebärden und Handlungen vorschreibt und an die Hand giebt, die sich in gewissen Umstånden

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