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Wir sind hingegen nicht vermögend, das allergeringste zu antworten; wenn man uns fragt: worinnen der faure Geschmack vom bittern, dieser vom herben, scharfen u. s. f. unterschieden sey, und woran wir einen vor dem andern erkennen? Dieses zeiget, daß unsere Vorstellungen davon verwirrt, und eben so undeutlich sind, als die Begriffe von der rothen, blauen, grünen oder gelben Farbe. Und von eben dieser Undeutlichkeit kömmt es her, daß man das Sprůchwort ge= macht hat: Vom Geschmacke müsse man nicht viel zanken.

5. §. Weiter nehme ich aus der gemeinen Sprache an, daß man denen, die den gesunden Gebrauch ihrer Zunge haben, den guten Geschmack nicht abzusprechen pflegt; so lange fie fagen, daß der Zucker süß, der Wermuth bitter, und der Eßig sauer schmeckt: denn darinnen kömmt die ganze Welt überein. Wer hergegen ein Gallenfieber hat, so, daß ihm alles ohne Unterscheid bitter schmeckt, dem eignet man einen verderbten Geschmack zu: weil er nicht mehr nach der Beschaffenheit der Sachen, sondern nach seiner verderbten Zunge urtheilet. Jmgleichen pflegt es zu geschehen, daß sicht) ge= wisse Leute von Jugend auf gewöhnen, Kohlen, Kalk, Kreide, Spinnen u. d. gl. zu essen: daher es nachmals kömmt, daß sie in dem Genusse solcher abgeschmackten Dinge einen besondern Geschmack zu finden vermeynen; welchen aber niemand, der keine so verwöhnte Zunge hat, darinnen finden kann. Von solchen Leuten sagt man nun auch, daß sie einen verderbten, übeln, oder verkehrten Geschmack haben. Und so viel vom Geschmacke im eigentlichen Verstande.

6. §. Von dem metaphorischen Geschmacke unsrer Seele bemerket man; daß man sich dieses Wortes fast ganz allein in freyen Künsten, und in etlichen andern sinnlichen Dingen bedienet: hergegen wo es auf die Vernunft allein ankömmt, da pflegt man dasselbe nicht zu brauchen. Der Geschmack in der Poesie, Beredsamkeit, Musik, Målerey und Baukunst; imgleichen in Kleidungen, in Gårten, im Hausrathe u. d. gl. ist sehr bekannt. Aber niemals habe ich noch vom Ges schmacke in der Arithmetik und Geometrie, oder in andern Wiffen

Wissenschaften reden hören: wo man aus deutlich erkannten Grundwahrheiten, die strengesten Demonftrationen zu machen vermögend ist. In solchen Wissenschaften aber, wo das deutliche und undeutliche, erwiesene und unerwiesene noch vermischt ist, da pflegt man auch wohl noch vom Geschmacke zu reden. 3.E. ich könnte wohl sagen: Ein theologisch Buch nach mosheimischem Geschmacke; ein Recht der Natur nach Puffendorfs Geschmacke; eine Arzneykunst nach Boerhavens Geschmacke. Aber hier muß ich anmerken, daß man den Geschmack nur in denjenigen Theilen solcher Disciplinen suchet, die noch ungewiß sind, und also nicht durchgehends beliebt werden. So bald eine Sache allgemeinen Beyfall erhålt, und für was demonstrirtes gehalten wird; so bald hört man auch auf, sie zum Geschmacke zu ziehen. So werden die Sternseher nicht mehr sagen können, eine Astros nomie nach copernikanischem Geschmacke: weil dieser Weltbau bereits allenthalben für den einzigen wahren erkannt und angenommen wird.

7. S. Diese Anmerkung ist von großem Nußen. Sie lehrt uns nämlich, daß der metaphorische Geschmack, eben so wohl, als der gemeine, nur mit klaren, aber nicht ganz deutlichen Begriffen der Dinge zu thun hat; und nur solche Dinge von einander unterscheidet, die man nach der bloßen Empfindung beurtheilet. 3. E. Ein Bürger bauet fein Haus, und läßt sich von etlichen Baumeistern Risse dazu machen. Sie gerathen alle anders. Obgleich nun der Bauherr nichts von der Architektur versteht, so wählt er doch einen Riß vor allen übrigen, den er will ausführen lassen: und man sagt alsdann, er habe die Wahl nach seinem Geschmacke verrich tet. Fragt man ihn, warum er diesen und nicht einen andern Riß gewählet? so weis er nichts weiter zu sagen, als daß ihm dieser am besten gefallen habe; das ist, er habe ihn für den schönsten und vollkommensten gehalten. Denn ich seße zum voraus, daß der Bauherr nicht ganz eigennützig zu bauen, sondern ein schönes Gebäude aufzuführen willens sey. Gefeßt aber, man legte einem andern, in der Baukunst sehr geübten

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geübten mathematischen Kenner, die obgedachten Risse vor, mit dem Begehren, sich einen zu erwählen: so würde dieser fie gewiß alle nach architektonischen Regeln untersuchen, und zuleht denjenigen allen übrigen vorziehen, der nach den Grundsäßen der Wissenschaft, die größte Vollkommenheit hätte. Hier würde man aber schwerlich sagen, dieser Meister und Kenner habe nach seinem Geschmacke gewählet; vielmehr würde es heißen: er habe die Risse nach den Regeln geprüfet, und vermoge seiner Einsicht befunden, daß der erwählte der beste gewesen.

8. §. Aus dieser bisher erläuterten Anmerkung erhellet nun: daß zwo Personen, von einer Sache, aus verschiedener Erkenntniß, nämlich theils nach dem Geschmacke, theils aus Wissenschaft und Einsicht urtheilen; sodann aber, daß sie auch sowohl einerley, als zweyerley Urtheile fällen können. Wåre es im obigen Falle nicht leicht möglich, daß der ungelehrte Bürger sich von den verschiedenen Rissen eben den aussuchte, welchen auch hernach der bauverständige Kenner für den besten erklärete? Könnte aber auch nicht gerade das Widerspiel geschehen; daß ihm nämlich ein andrer Entwurf beffer anstünde, an welchem hernach der Baumeister viel Fehler auszusehen fånde? Ein jeder sieht wohl, daß beydes möglich ift. Aber was folgt daraus? Dieses: 1) daß Leute, die nach dem bloßen Geschmacke urtheilen, sehr uneins seyn können: 2) Daß beyde Urtheile zugleich nicht wahr seyn können; weil sie nämlich widerwärtig find: endlich 3) daß dasjenige Urtheil dem andern vorzuziehen sey, welches mit den Regeln der Baukunst und dem Ausspruche eines Meisters in dieser Wissenschaft einstimmig ist. Die ersten beyden Folgerungen find wohl unumstößlich: wegen der dritten aber, fann man auch nicht viel Zweifel tragen. Denn wie wäre es möglich,

* Der große Leibnis ist hier vollkommen meiner Meynung. In dem Recueil de div. piec. de Mrs. Newton, Clarke etc. schreibt er p. 285. Le Gout diftingué de l' Entendement, confifte dans les Preceptions confuses, dont on ne fauroit affez

rendre Raifon. C'est quelque Chofe d'approchant de l'Instinct. Le Gout eft formé par le Naturel & par l'Ufage: & pour l'avoir bon, il faut s'exercer à gouter les bonnes Chofes, que la Raifon & l'Experience ont deja autorisées; en quoi les

möglich, daß derjenige Riß der beste seyn könnte, der wider alle Regeln der Architektur gemacht wäre? Das wäre eben so, als wenn eine Musik schön seyn könnte, die wider alle musikalische Regeln liefe. Die Regeln nämlich, die auch in freyen Künsten eingeführet worden, kommen nicht auf den bloßen Eigensinn der Menschen an; sondern sie haben ihren Grund in der unveränderten Natur der Dinge felbst; in der Uebereinstimmung des Mannigfaltigen, in der Ordnung und Harmonie. Diese Geseze nun, die durch langwierige Erfahrung und vieles Nachsinnen untersuchet, entdecket und bestätiget worden, bleiben unverbrüchlich und fest stehen: wenn gleich zuweilen jemand, nach seinem Geschmacke, demjenigen Werke den Vorzug zugestünde, welches mehr oder weniger dawider verstoßen håtte.

9. §. Nunmehr wird es leicht seyn, die Beschreibung des guren und übeln Geschmackes zu machen. Jener ist nämlich der von der Schönheit eines Dinges nachyder bloßen Empfindung richtig urtheilende Verstand, in Sachen, davon man kein deutliches und gründliches Erkenntniß hat: dieser hergegen, ist ebenfalls der Verstand, der nach der bloßen Empfindung von undeuts lich erkannten Sachen urtheiler; aber sich in solchen seinen Urtheilen betrüger.* Ich rechne zuförderst den Geschmack zum Verstande; weil ich ihn zu keiner andern Gemüthskraft bringen kann. Weder der Wiß noch die Einbildungskraft, noch das Gedächtniß, noch die Vernunft, können einigen Anspruch draufmachen. Die Sinne aber haben auch gar kein Recht dazu; man müßte denn einen sechsten Sinn, oder den Senfum communem, davon machen wollen; der aber nichts anders ist, als der Verstand. Ich sage aber, daß er ein urthei

jeunes Gens ont besoin de Guides. d. i. Der Geschmack, wenn er vom Versande unterschieden ist, besteht in den verwirrten Empfindungen, davon man nicht wohl Rechenschaft geben kannt. Er ist etwas, das mit dem Triebe übereinkömmt. Der Geschmack

wird durch das Naturell und`die Ge-
wohnbeit gebildet: und wenn er gut
werden soll, so muß man sich üben,
an guten Sachen ein Gefallen zu has
ben, die schon durch Vernunft und
Erfahrung bestätiget worden: worinn
junge Leute Anführer nöthig haben.

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urtheilender Verstand sey: weil diejenigen, die ihn wirklich zu Unterscheidung der Dinge anwenden, entweder äußerlich, oder doch innerlich, den Ausspruch thun; dieß sey schön, und jenes nicht. Ich sehe ferner, daß sich dieses Urtheil nur auf die bloße Empfindung gründet: und ich verstehe die innerliche Empfindung einer schönen Sache, die entweder wirklich außer uns vorhanden ist, oder von unsrer eignen Phantasie hervorgebracht worden: wie z. E. ein Maler sich in Gedanken einen Entwurf eines Gemäldes machen, und nach seinem Geschmacke von der Schönheit desselben urtheilen kann.

10. §. Es muß aber diese Empfindung einer solchen Sache uns nothwendig die Schönheit eines Dinges vorstellen; denn diese allein ist es, womit der Geschmack zu thun hat. Man entscheidet dadurch niemals eine andre Frage, als: ob uns etwas gefällt oder nicht? Das Wohlgefallen aber entsteht allezeit aus einer Vorstellung der Schönheit; sie mag nun eine wirkliche, oder eine vermeynte seyn. Diese Schönheit nun, wird zwar sehr klar, aber nur undeutlich, empfun. den: weil derjenige, dem sie gefällt, nicht im Stande ist zu fagen; warum sie ihm gefällt? Zum wenigsten wird der größte Theil derselben keine Deutlichkeit haben. Denn so bald man von einer Schönheit zu zeigen vermögend ist, aus was für Vollkommenheiten dieselbe eigentlich entsteht: so bald wird der Geschmack von der Sache in eine gründliche Einsicht verwandelt, wie bereits oben gewiesen worden. Endlich unterscheide ich den guten Geschmack vom übeln, durch das Beywort richtig, welches ich zu dem Urtheile sehe. Wer einen guten Geschmack hat, der muß richtig von der flar empfundenen Schönheit eines Dinges urtheilen: das ist, er muß nichts für schön halten, was nicht wahrhaftig schön ist; und nichts für håßlich erklären, was nicht häßlich ist. Der Probierstein dieses Urtheils darf nicht weit gesucht werden. Man findet ihn in den Regeln der Vollkommenheit, die sich für jede besondre Art schöner Dinge, a. d. f. Gebäude, Schildereyen, Musiken und s. w. schicken, und die von rechten Meistern derselben deutlich begriffen und erwiesen worden.

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