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müth haben. Der Beweis davon ist leicht. Ein Dichter ahmet die Handlungen der Menschen nach; die entweder gut oder böse sind. Er muß also in seinen Schildereyen die guten als gut, das ist schön, rühmlich und reizend; die bösen aber als böse, das ist häßlich, schändlich und abscheulich abmalen. Thåte er dieses nicht, und unterstünde er sich die Tugend als verächtlich, schädlich und lächerlich, das Laster Hergegen als angenehm, vortheilhaft und lobwürdig zu bilden: so würde er die Aehnlichkeit ganz aus den Augen sehen, und die Natur derfelben sehr übel ausdrücken. Moliere verdient in diesem Stücke viel Tadel, weil er in seinem Spotten nicht allezeit dieser Regel gefolget ist: wie Riccoboni in feinen Reflexions fur Moliere bemerket hat. Ich schweige noch, daß ein so schädlicher Scribent in einer wohlbestellten Republik nicht zu dulden wåre; worauf denn Plato gesehen haben mag, wenn er in der seinigen, wie man insgemein vorgiebt, gar keine Dichter hat leiden wollen. Es hat nåmlich zu allen Zeiten auch solche verderbte Versmacher gegeben, die, weil sie selbst übel gesittet gewesen, und gottlos gelebt, auch andere durch ihre Gedichte zu allerhand Schande und Lastern gereizet haben. Sonderlich ist die Geilheit unzüchtigen Gemüthern allezeit ein Stein des Anstoßes geworden. Ein Ovid und Carull find wegen ihrer unzuchtigen Gedichte, bey allen ihren Schönheiten, schädlich zu lesen. Selbst Horaz ist nicht überall so keusch in seinen Ausdrückungen als er wohl håtte seyn können; wenn er sich den züchtigen Virgil hätte zum Meister nehmen wollen. ** Gleichwohl rühmt er in einem Schreiben an den Kaiser August, daß ein wahrer Poet, das Ohr eines Knaben, dessen Auferziehung er zu besorgen hat, von schändlichen Zoten abwende; und ihm vielmehr gute Sitten beyzubringen bemühet sey.

*

* S. des Herrn M. Schwaben Vorrede zu meinen Gedichten, der die ses Vorurtheil wiederleget hat.

** Rapin sagt: Tom. II. p. 124. §. IX. Il eft vrai, qu'il n'y a que les petits Genies, qui foient fujets

Os

à dire des Impietés ou des Ordures: Homere & Virgile n'en ont jamais dit: ils ont toujours etés feveres & vertueux, comme des Philofophes; & les Mufes des veritables Poëtes font auffi chaftes & auffi

Os tenerum pueri balbumque Poëta figurát,
Torquet ab obfcœnis jam nunc fermonibus aurem;
Mox etiam pectus præceptis format amicis;
Afperitatis et invidiæ corrector et iræ,

Recte facta refert.

Lib. II. Fp. 1.

19. §. Da man sich nun lieber an Horazens Regel, als an sein Exempel håtte kehren sollen: so hat es doch allezeit solche unverschämte Zotenreißer gegeben, die ihren ganzen Wih in årgerlichen Possen gesuchet, und nicht anders sinnreich oder angenehm zu dichten gewußt; als wenn sie die unzüchtig= ften Reden in garstigen Allegorien, groben Zweydeutigkeiten und häßlichen Wortspielen zu Markte gebracht. Rachel hat fie in seiner oftgedachten Satire nachdrücklich abgemahlet.

Benn nun ein grobes Holz, ein Eulenspiegelsgleichen, Läßt einen (Pfuy dich an!) ́mit gutem Willen streichen, Bringt kahle Zoten vor, verschluckt ein ganzes Ey, Und rulzet ins Gelag und schmahet in den Brey; Wenn er sich lustig macht mit solchen Bubenpossen, Die auch kein Hurenwirth sollt hören unverdrossen : Da lacht die Unvernunft, daß ihr die Luft entgeht, Und spricht wohl: Hey, das ist ein lustiger Poet! O allzu theurer Nam, für solche grobe Hachen! Kann denn ein fauler Stank so bald Poeten machen? Ein unverschämtes Wort? O! weit vom Ziel gefehlt! Das muß ein andrer seyn, der mit will seyn gezählt In diese werthe Zunft. Die keuschen Pierinnen Sind keinem Unflath hold und hassen grobe Sinnen. Opitz, Dach, die Gryphier, Ranig und andre von unsern besten Poeten, haben wohl niemals, auch in verliebten Gedichten, ein zartes Ohr geärgert. Hofinannswaldau und Lo henstein aber sind auch in diesem Stücke in die Fußtapfen der geilen Italiener getreten, die ihrer Feder so wenig, als ihren

honnêtes, que des Veftales. d. i. Es ist wahr, daß nur kleine Geister ver: mögend find, Gottlosigkeiten oder Unflatereyen zu sagen. Homer und Virgil haben dieses niemals gethan;

L0

Begier

fie sind allezeit so strenge und tugendhaft gewesen, als Philosophen, und die Musen der wahren Dichter sind so keusch und so ehrbar, als vcialische Jungfern.

Begierden, ein Maaß zu sehen wissen: und diese Vorgånger haben sehr viel angehende Dichter verderbet, die wohl gar in Schäfererzählungen Zoten gerissen. Die französische Nation verdienet hingegen viel Lob, daß die Schriften ihrer meisten Poeten (den Fontaine, Theophile und Rousseau ausges nommen) so rein yon allen Unflåtereyen sind, daß man auch fast keine einzige anstößige Stelle bey ihnen antreffen wird.

20. §. Boileau hat diese Regel in seiner Dichtkunst so wenig vergessen, daß er sie vielmehr zu verschiedenen malen wiederhohlet hat. Am Ende des III. Gesanges, wo er noch von der Komödie handelt, schließt er also:

J'aime fur le Theatre un agreable Auteur,
Qui, fans fe diffamer aux Yeux du Spectateur,
Plait par la Raifon feule, et jamais ne la choque.
Mais pour un faux Plaifant, à groffiere Equivoque,
Qui, pour me divertir, n'a que la Saleté:

Qu'il s'en aille, s'il veut, fur deux Treteaux monté:
Amufant le Pont-neuf de fes Sornettes fades,
Aux Laquais affemblez jouer fes Mafcarades.

Wie er nun hier in Komödien, an statt eines artigen Scherzes, keine grobe Zweydeutigen und Zoten leiden will; indem er folche Poeten auf die neue Brücke zu Paris verweiset, wo sie ihr Fraßenzeug dem daselbst versammleten Lumpengesindel vorspielen könnten; also giebt er auch hernach im IV. Gesange die Regel, einen guten Character von sich selbst bey den Lesern zu machen,' und sich nicht in eine üble Meynung bey ihnen zu sehen. Er könne nämlich diejenigen Scribenten nicht leiden, die in Versen die Ehrbarkeit an den Nagel hingen, und Verräther der Tugend würden; indem sie das Laster als liebenswürdig vorstelleten.

Que votre Ame et vos Moeurs, peints dans tous vos Ouvrages,

N' offrent jamais de vous que de nobles Images.

Je ne puis eftimer ces dangereux Auteurs,
Qui de l' Honneur en Vers infames Deferteurs,

Tra

Trahiffant la Vertu fur un Papier coupable,

Aux Yeux de leurs Lecteurs rendent le Vice animable. Und nachdem er sich in etlichen Versen entschuldiget, daß er es einem Poeten nicht eben verbiethen wollte, gar nichts verliebtes zu schreiben; wie denn wohl einige Scheinheilige auch Roderichs und Chimenens keusche Liebe nicht auf der Bühne leiden wollten; sondern daß er nur den unflåtigen Ausdruck derselben widerriethe, als ohne welchen auch die unzüchtigste Liebe keinen schamroth zu machen pfleget: so sest er noch hin zu: daß der Poet selbst innerlich tugendhaft seyn müsse, wenn er allezeit keusch und rein schreiben wolle; weil er sich sonst unversehens verrathen würde. * Denn wessen das Herz voll ist, dessen geht der Mund über:

Un Auteur vertueux dans fes Vers innocens,

Ne corrompt point le Coeur, en chatouillant les Sens.
Son Feu n'allume point de criminelle Flame.
Aimez donc la Vertu! nourriffez en votre Ame.
En vain l' Efprit eft plein d'une noble vigueur,
Le Vers fe fent toujours des Baffeffes du Cœur.

21. S. Diese tugendhafte Gemüthsart eines Poeten, muß sich zu allerleht auch darinnen zeigen, daß er weder ein Schmäuchler noch ein Låsterer werde. Beydes ist für einen vernünftigen und rechtschaffenen Mann eine viel zu niederträchtige Beschäfftigung. Gegen alles, was gut ist, und eine wahre Ehre bringen kann, eine Hochachtung zu bezeigen; das ist einem wahren Dichter niemals verwehrt. Vielmehr erfodert es die Pflicht, die ihm, als einem redlichen Bürger obliegt, die Tugendhaften auf eine vernünftige Art zu loben, ihr Gedächtniß zu verewigen, und durch die Beschreibung ihrer ruhmwürdigen Erempel, theils die zu ihrer Zeit Leben

* Die Entschuldigung, die Catull hier machen will, wenn er sagt, der Voet müsse zwar keusch seyn, allein bie Verse, die er macht, dürftens eben nicht seyn:

Crit. Dichtk.

Caftum decet effe pium Poëtam,

Verficulos nihil neceffe eft.

ist so lächerlich, als ungereimt. Denn welcher schamhafte Mensch wird wohl unverschämt reden, oder gar schreiben ?

H

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Lebenden, theils auch die Nachkommen, zu löblichen Thaten aufzumuntern. Eine wahre Ehrliebe ist eine ganz unschuldige Neigung, und giebt einen Sporn zu vielem Guten ab, wie in der Sittenlehre gewiesen wird. Diese aber wird durch nichts besser erwecket, als durch ein billiges Lob: welches denen wiederfährt, die sich wohl verhalten, ihrem Vaterlande dienen, gerecht, freygebig, bescheiden, måßig, sparsam, leutfelig, standhaft, dienstfertig und geduldig sind. Hier malet ein rechtschaffener Poet das an sich selbst schöne Wesen der Tugend, in der Person eines tugendhaften Mannes so liebenswürdig ab, daß es alle, die es sehen, in sich verliebt macht. So hat, z. E. unser großer Opitz in den Büchern von Widerwärtigkeit des Krieges, die Vortrefflichkeit eines im Unglücke gelassenen und standhaften Mannes, unter dem Bilde des unüberwindlichen Ulysses abgeschildert. Wie aber dieser große Mann, gleich darauf die falsche Standhaftigkeit des berühmten Römers Cato, der sich selbst ums Leben gebracht, entblößet, und den nichtigen Schein seiner so gepriesenen Unerschrockenheit entdecket hat: also hat er durch sein Exempel gewiesen, daß ein rechtschaffener Dichter sich durch das äußerliche Ansehen gleißender Laster nicht müsse blenden lassen. Das thun aber die Schmäuchler, theils aus Unverstande, theils aus Bosheit, und stiften eben durch dieß unvernünftige Lob viel Schaden.

Vor Alters, wo mir recht, ward nie ein Held besungen,
Wenn er nicht durch Verdienst sich in die Höh geschwungen:
Und eine Redensart, die göttlich sollte seyn,

Die ward zu solcher Zeit den Sclaven nie gemein.

Wo lebt ist der Poet, der dieß Geheimniß schonet?
So bald er einen merkt, der ihm die Arbeit lohnet,
Wird seinem Pegasus der Sattel aufgelegt,
Der ein erkauftes Lob bis an den Himmel trägt!
Den wir durch solche Post so oft zum Zorne reizen,
Und öfter noch vieleicht, als sich die Sterne schneuzen.
Daß mehrentheils die Welt in tråger Lust verdirbt,
Und sich um wahren Ruhm so selten mehr bewirbt,
Ist der Poeten Schuld. Der Weihrauch wird verschwendet,
Und manchem Leib und Seel, um die Gebühr, verpfändet:

Daß

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