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Ungeduldig sie verscheuchet,
Lockt die unverschämten Schwestern,
Und von meinen Augenliedern
Muß der holde Schlaf entweichen.
Rüstig spring' ich von dem Lager,
Suche die geliebten Musen,
Finde sie im Buchenhaine,
Mich gefällig zu empfangen,
Und den leidigen Insecten
Dank' ich manche goldne Stunde.
Seyd mir doch, ihr Unbequemen,
Von dem Dichter hochgepriesen,
Als die wahren Musageten.

Morgenklagen.

O du loses leidigliebes Mädchen,
Sag' mir an, womit hab' ich's verschuldet,
Daß du mich auf diese Folter spannest,
Daß du dein gegeben Wort gebrochen?

Drucktest doch so freundlich gestern Abend
Mir die Hände, lispeltest so lieblich :
Ja, ich komme, komme gegen Morgen
Ganz gewiß, mein Freund, auf deine Stube."

Angelehnet ließ ich meine Thüre,

Hatte wohl die Angeln erst geprüfet,

Und mich recht gefreut, daß sie nicht knarrten.

Welche Nacht des Wartens ist vergangen!
Wacht' ich doch und zählte jedes Viertel:
Schlief ich ein auf wenig Augenblicke,
War mein Herz beständig wach geblieben,
Weckte mich von meinem leisen Schlummer.

Ja, da segnet' ich die Finsternisse,
Die so ruhig alles überdeckten,
Freute mich der allgemeinen Stille,
Horchte lauschend immer in die Stille,
Ob sich nicht ein Laut bewegen möchte.

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Hätte sie Gedanken wie ich denke,
Hätte sie Gefühl, wie ich empfinde,

Würde sie den Morgen nicht erwarten,

„Würde schon in dieser Stunde kommen.“

Hüpft' ein Kätzchen oben übern Boden,
Knisterte das Mäuschen in der Ede,
Regte sich, ich weiß nicht was, im Hause,
Immer hofft' ich, deinen Schritt zu hören,
Immer glaubt' ich, deinen Tritt zu hören.

Und so lag ich lang' und immer länger, Und es fing der Tag schon an zu grauen, Und es rauschte hier und rauschte dorten.

„Ist es ihre Thüre? Wär's die meine!"
Saß ich aufgestemmt in meinem Bette,
Schaute nach der halb erhellten Thüre,
Ob sie nicht sich wohl bewegen möchte.

Angelehnet blieben beide Flügel
Auf den leisen Angeln ruhig hangen.

Und der Tag ward immer hell und heller;
Hört' ich schon des Nachbars Thüre gehen,
Der das Taglohn zu gewinnen eilet,
Hört' ich bald darauf die Wagen raffeln,
War das Thor der Stadt nun auch eröffnet,
Und es regte sich der ganze Plunder

Des bewegten Marktes durch einander.

Ward nun in dem Haus ein Gehn und Kommen
Auf und ab die Stiegen, hin und wieder
Knarrten Thüren, klapperten die Tritte;
Und ich konnte, wie vom schönen Leben,
Mich noch nicht von meiner Hoffnung scheiden.

Endlich, als die ganz verhaßte Sonne
Meine Fenster traf und meine Wände,
Sprang ich auf und eilte nach dem Garten,
Meinen heißen sehnsuchtsvollen Athem
Mit der kühlen Morgenluft zu mischen,
Dir vielleicht im Garten zu begegnen:
Und nun bist du weder in der Laube,
Noch im hohen Lindengang zu finden.

Der Besuch.

Meine Liebste wollt' ich heut beschleichen,
Aber ihre Thüre war verschlossen.

Hab' ich doch den Schlüssel in der Tasche!
Deffn' ich leise die geliebte Thüre!

Auf dem Saale fand ich nicht das Mädchen,
Fand das Mädchen nicht in ihrer Stube,
Endlich da ich leis die Kammer öffne,
Find' ich sie gar zierlich eingeschlafen,
Angekleidet, auf dem Sopha liegen.

Bei der Arbeit war sie eingeschlafen;
Das Gestrickte mit den Nadeln ruhte
Zwischen den gefaltnen zarten Händen;
Und ich setzte mich an ihre Seite,
Ging bei mir zu Rath', ob ich sie weckte.,

Da betrachtet ich den schönen Frieden,
Der auf ihren Augenliedern ruhte:
Auf den Lippen war die stille Treue,
Auf den Wangen Lieblichkeit zu Hause,
Und die Unschuld eines guten Herzens
Regte sich im Busen hin und wieder.
Jedes ihrer Glieder lag gefällig
Aufgelöst vom füßen Götterbalsam.
Freudig saß ich da und die Betrachtung
Hielte die Begierde, sie zu wecken,
Mit geheimen Banden fest und fester.

O du Liebe, dacht' ich, fann der Schlummer,
Der Verräther jedes falschen Zuges,
Kann er dir nicht schaden, nichts entdecken,
Was des Freundes zarte Meinung störte!

Deine holden Augen sind geschlossen,
Die mich offen schon allein bezaubern;

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Es bewegen deine füßen Lippen
Weder sich zur Rede noch zum Kusse;
Aufgelös't find diese Zauberbande

Deiner Arme, die mich sonst umschlingen,
Und die Hand, die reizende Gefährtin
Süßer Schmeicheleien, unbeweglich.

Wär's ein Irrthum, wie ich von dir denke,
Wär es Selbstbetrug, wie ich dich liebe,
Müßt' ich's jest entdecken, da sich Amor
Ohne Binde neben mich gestellet.

Lange saß ich so und freute herzlich
Ihres Werthes mich und meiner Liebe;
Schlafend hatte sie mir so gefallen,
Daß ich mich nicht traute, sie zu wecken.

Leise leg' ich ihr zwei Pomeranzen

Und zwei Rosen auf das Tischchen nieder; Sachte, sachte schleich' ich meiner Wege.

Oeffnet sie die Augen, meine Gute,
Gleich erblickt sie diese bunte Gabe,
Staunt, wie immer bei verschloßnen Thüren
Dieses freundliche Geschenk sich finde.

Seh' ich diese Nacht den Engel wieder,
Owie freut sie sich, vergilt mir doppelt
Dieses Opfer meiner zarten Liebe.

Goethe, Gedichte.

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