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Selbstgewissheit, als ein ihm selbst verwandter Zug in Spinozas Wesen, sehr sympathisch angesprochen haben.

Man setzt gewöhnlich Lessings Spinozastudium in seine erste Breslauer Periode (1760-65). Doch finden sich Spuren einer solchen Bekanntschaft schon früher. Jn dem von Lessings Bruder wohl mit Recht gegen Danzel (1755) - um 1750 angesetzten Aufsatze über die Herrenhuter vermisst man zwischen den Namen eines Cartesius und Leibniz den Spinozas. Lessing erwähnt diesen das erste Mal in seinem bekannten Briefe an J. D. Michaelis (1754), wo es von Mendelssohn heisst: „Seine Redlichkeit und sein philosophischer Geist lässt mich ihn im voraus als einen zweiten Spinoza betrachten, dem zur völligen Gleicheit mit dem ersteren nichts als seine Jrrtümer fehlen werden." Dies lässt weder auf eine nähere Kenntnis Spinozas noch auf ein grösseres Wohlwollen für diesen, als für Leibniz schliessen. Es ist ein Urteil über Spinoza, wie es damals üblich war, wie es jeder Wolffianer fällen konnte, und wie es Lessing von Mendelssohn selbst oft gehört haben mochte, seinem ,, metaphysischen" Freunde, während er nur als ,,bel-esprit" gewerden will. Seine zweite philosophische Schrift ,,das Christentum der Vernunft" zeigt ihn uns in seinem Denken, wenn auch jedenfalls ohne direkte Beziehungen zu Leibniz, diesem näher stehend. Doch lassen sich aus seiner Deduktion des Universums aus Gott und aus der Ineinssetzung des göttlichen Denkens, Vorstellens und Schaffens Anklänge an Spinoza heraushören.

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Auf eine Lektüre der Ethik und zugleich auf frühere Gespräche zwischen Lessing und Mendelssohn über den Spinozismus verweist erst ihr Briefwechsel, und zwar ist es vor allem die Affektenlehre Spinozas, die sie beschäftigt (S. 204). Mendelssohn teilt seinem Freunde seine Auffassung der,,titillatio" mit, wie sie die Ethik definirt, und Lessing erklärt sich, nach einem Einblick in die Stelle, damit einverstanden. Aus seiner Anführung der Ethik ist zu entnehmen, dass er sie in deutscher Uebersetzung, jedenfalls der Schmidtschen, liest.

Auch die beiden folgenden Dokumente für Lessings Spinozismus sind an seinen jüdischen Freund gerichtet. Der Aufsatz ,,Ueber die Wirklichkeit der Dinge in Gott" (1763, s. S. W. Bd. 11 S. 111 ff.) zeigt uns Lessing durchaus auf dem Boden des Spinozismus. Hettner sieht darin „eine Begründung des Spinozismus, deren Art und Sprache darauf berechnet war, auch diejenigen, welche noch innerhalb der Wolffschen Philosophie standen, von der Unabweislichkeit desselben zu überzeugen."

Lessings denkfester Kopf konnte sich mit Leibnizens Monadenlehre auf die Dauer nicht zufrieden geben. Ich mag mir die Wirklichkeit der Dinge ausser Gott erklären, wie ich will, so muss ich bekennen, dass ich mir keinen Begriff davon machen kann.“ In erkennbarer Polemik gegen Leibniz, macht Lessing denen, welche die Wirklichkeit als Ergänzung der Möglichkeit annehmen, um der Jmmanenzlehre auszuweichen, einen ähnlichen Vorwurf, wie einst Aristoteles der Platonischen Ideenlehre. Sicherlich ist es nach diesen Ausführungen unhaltbar, mit Mendelssohn Lessing die Lehre von einer Ausserweltlichkeit Gottes zuschreiben zu wollen.

Wie hier das Verhältnis Gottes zur Welt, so sind auch die Beziehungen zwischen Leib und Seele in einem Briefe an Mendelssohn desselben Jahres im Geiste Spinozas behandelt. Hier nimmt Lessing in der damals oft erörterten Frage nach der Priorität der Erfindung der praestabilirten Harmonie-Lehre, wie in dem Gespräche mit Jacoci, unumwunden für Spinoza Stellung. Auch im persönlichen Verkehr mit seinen Breslauer Freunden nimmt er ihn offen gegen Bayle in Schutz. Leibniz kommt für ihn in jenen Jahren überhaupt kaum in betracht.

Jn Spinoza verwandtem Geiste äussert sich Lessing ferner über die Bestrafung des Bösen in der „,Hamburg. Dramaturgie“ (1768,69), und seine Freunde sowohl in Hamburg, wie besonders Jerusalem, das Vorbild des Goetheschen Werther", konnten aus seinem Munde das freimütige Bekenntnis des Spinozimus hören. Neben so vielen unzweideutigen Belegen fällt die viel umstrittene Inschrift: ev xai a am Gleimschen Gartenhause jedenfalls nur schwach ins Gewicht.

Unter Leibnizens Einflusse soll Lessing besonders in der Wolffenbüttler Zeit gestanden haben, nachdem er wie einst Spinoza einen Ruf des pfälzischen Kurfürsten ausgeschlagen. Allein wir besitzen hier zunächst in Lessings B merkungen zu den,,Philosophischen Gesprächen" Jerusalems (1776) ein neues wertvolles Denkmal für seinen Spinozismus. Ferner ist nach dem Voraufgehenden anzunehmen, dass, wenn er Leibniz las, er es mit den Augen Spinozas that. Nie giebt er ihm ausdrücklich vor diesem den Vorzug. Jn seinem reifsten Werke, der Erziehung des Menschengeschlechts", dem Hauptzankapfel in unserer Frage, erscheint Lessing eben als Historiker, der das göttliche Element in der Menschengeschichte in seiner Entwickelung betrachtet, deren höchste Stufe er sich (§§ 14. 73. 81-86) ganz und gar als Spinozist ausmalt, ohne dass ein

Vor allem verraten seine theologischen Ansichten schon sehr früh spinozistisches Gepräge. In einem Berliner Brief an den Vater betont Lessing das Praktische in der Religion, trennt er Moral von Dogma. Lessing ist es, der, einem platten Deismus gegenüber, mit Spinoza die Priester gegen die Anklage des Betruges in Schutz nimmt, der gegen Kants kategorischen Imperativismus der Freiheit und Liebe wieder zu ihrem Rechte verhilft, der als würdiger Jünger Spinozas das positive Christentum von der Lehre Christi, wie überhaupt Theologie von Philosophie zu scheiden weiss.

Um so bedeutungsvoller erscheint uns daneben das Gespräch mit Jacobi, aus demselben Jahre wie die Erziehung des Menschengeschlechts. Es ist der Sache nach von Elise Reimarus bestätigt; nichts streitet darin gegen die sonstigen Aeusserungen Lessings. Bezeichnender Weise wundert sich Mendelssohn bei Jacobis Mitteilungen nicht darüber, dass Lessing Spinozismus überhaupt, sondern dass er augenscheinlich mehr als einen „geläuterten“ zur Schau trägt, wie er ihm bei seinem Freunde von Berlin her bekannt war. Doch Lessing hat, seinem eigenen Geständnisse gemäss, dem Freunde von seiner Wandlung, die sich in Berlin vollzogen, keine Kenntnis geben wollen, jedenfalls weil er bei ihm auf kein Verständnis dafür rechnen durfte.

Nach alledem erscheint Lessing als Spinozist im Kerne seiner Weltanschauung, soweit sich diese aus seinen metaphysischen Aphorismen zu einem einheitlichen Bilde zusammensetzen lässt. Sobald er rein menschliche Dinge behandelt, muss er natürlich in das Fachwerk des unbeweglichen Substantialismus Füllung, Leben und Bewegung bringen, wie dies vor ihm Leibniz und vor allem Spinoza selbst in seinen Tract. theol.politicus und Tr. de emendatione intellectus bereits versucht. Nicht umsonst will Dippel diesen der Inkonsequenz überführt haben, da er als Ethiker und Geschichtsschreiber das Prinzip der Entwickelung und des Individualismus zu Hilfe ruft.

Ebenso steht Lessing auch als Theologe in vielen Punkten an der Seite Spinozas, dem er sich besonders in der Geradheit des Charakters, der Rücksichtslosigkeit des Denkens und der steten Kriegsbereitschaft gegen Roheit des Geistes und Gemeinheit der Gesinnung verwandt fühlen mochte. So ragt er als lebendigse Mittelglied zwischen Leibniz und dem neuen deutschen Spinozismus in die Folgezeit hinein. Seine Philosophie ist einer der grossen Versuche, durch Augengläser aus der Werkstatt Spinozas das Leben zu betrachten und zu begreifen. Wenn ihn aber

seine Verehrer so emsig von dem Makel des Spinozismus reinigen wollen, so zeigt sich darin nur noch eine Spur jenes Spinozaschauders, den Lessing selbst zu bannen so eifrig sich bemüht hat.

§ 46. Jerusalem.

Lessing war auf der Bahn des Spinozismus bald an einen Kreuzweg geraten. Auf der einen Seite warnte Mendelssohn vor den unmoralischen Konsequenzen dieses Systems. Ein anderer Freund gab sich wiederum ohne Scheu ganz und gar dem Zuge des Gedankens hin. Wer Lessing näher kannte, zweifelte keinen Augenblick an seiner Entscheidung für diesen Weg.

Dieser junge Freund Lessings ist einer der tragischsten Charaktere unserer Literatur: Karl Wilhelm Jerusalem. Das erste Opfer des sentimentalen Spinozismus, der uns in der Folge noch oft begegnet, ist er zugleich als Typus einer problematischen Natur für Deutschlands grössten Dichter der Vorwurf eines Seelengemäldes geworden, welches auf das gesamte Denken und Empfinden seiner Zeit einen unermesslichen Einfluss ausgeübt hat. Jerusalem hat ausserdem noch die hohe Bedeutung, dass, bei Gelegenheit der Herausgabe ihrer gemeinsamen Gespräche, ein Lessing die wichtigsten Aufschlüsse über seine Weltanschauung gibt. Die Unterhaltung bewegt sich hauptsächlich um den Begriff der menschlichen Freiheit. „Darüber waren wir“, so heisst es „Philosophische Aufsätze“ (Braunschweig 1776) S. 22: „zuförderst einig, dass der ganze Streit um die Freiheit unserer Handlungen von der Frage abhange: ob wir einige Gewalt über unsere Vorstellungen haben?" Gilt dies nicht, so sind wir unfrei. (S. 24) „Was gewinnen wir dabey, wenn wir es noch so viel beweisen, dass unsere Handlungen in einer andern Welt, in einer andern Verbindung der Dinge anders seyn könnten. Die gegenwärtige Verbindung ist. einmal da.“

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Doch Lessings sanguinische Beweglichkeit, die an Leibnizens Vielgeschäftigkeit erinnert, fühlt sich anfangs bei Spinozas unerbittlich starrem Determinismus nicht recht behaglich. Er möchte (S. 25) „lieber mit andern Weltweisen unser Gefühl hierüber den Ausspruch thun lassen, welches Ihrer Meynung nach laut für die Freyheit spreche." Hierauf erwidert Jerusalem als echter Jünger Spinozas: (S. 26),,Welches Gefühl kann gegen die unwidersprechlichen Gründe entscheiden,

abspricht?" In demselben Geleise geht es dann weiter: (S. 32 f.) „Tugend ist die Beherrschung unserer Leidenschaften durch die Vernunft;" und (S. 33) „was heisst unsere Leidenschaften durch die Vernunft beherrschen? Nichts anders, als die dunkeln Vorstellungen unserer Seele zu deutlichen aufklären . . (S. 34) Haben wir es einmal dahin gebracht, so ist es uns alsdann unmöglich, dass wir nicht das grössere Gut dem geringern vorziehn, dass wir noch nach Leidenschaft handeln sollten. (S. 36) Tugendhaft ist also derjenige, der nach deutlichen; lasterhaft aber, der nach dunkeln Vorstellungen handelt. (S. 60) Das sinnliche Vergnügen entspringt aus der Vorstellung einer verbesserten Leibesbeschaffenheit, oder einer erhöheten Vollkommenheit des Körpers."

Besonders „der dritte Aufsatz zeiget,“ nach der Meinung des Herausgebers (S. 111), „wie wohl der Verfasser ein System gefasst hatte, das wegen seiner gefährlichen Folgerungen so verschrieen ist, und gewiss weit allgemeiner seyn würde, wenn man sich so leicht gewöhnen könnte, diese Folgerungen selbst in dem Lichte zu betrachten, in welchem sie hier erscheinen. Tugend und Laster so erklärt, Belohnung und Strafe in diese Greuzen eingeschränkt; was verlieren wir, wenn man uns die Freyheit abspricht? Etwas — wenn es Etwas ist —, das wir nicht brauchen, weder zu unserer Thätigkeit hier, noch zu unserer Glückseligkeit dort; etwas, dessen Besitz weit unruhiger und besorgter machen musste als das Gefühl seines Gegentheils nimmermehr machen kann. . . Ich danke dem Schöpfer, dass ich muss, das Beste muss." So war es denn Jerusalem gelungen, den Freund auf seine Seite zu ziehen, sicherlich dadurch noch mehr in seinen Ansichten bestärkt. Doch war hiermit eine Gegnerschaft Mendelssohn gegenüber so wenig bedingt, dass vielmehr Jerusalem selbst dem „Phaedon“ den grössten Einfluss auf seine Denkweise bezeugt.

$47. Mendelssohn.

Durch Mendelssohn war Lessing jedenfalls mit Spinoza näher bekannt geworden. Es handelte sich damals (1754) um die Frage, ob Spinoza oder Leibniz als der wahre Entdecker der praestabilirten Harmonie anzusehen sei und um die Theorie der Affekte, in deren Behandlung bei Spinoza Mendelssohn „so viel Gründliches" fand. 1755 folgten seine „Philosophischen Gespräche".

Schon hier offenbart sich in seiner Auffassung Spinozas, die sich von derjenigen anderer Wolffianer in nichts unter

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