Page images
PDF
EPUB

wegung und Empfindung; die völlige Abhängigkeit des Willens vom Denken; die Selbstbefreiung durch Läuterung von den Leidenschaften; die Zurückführung aller Naturkräfte auf eine einzige; die Mechanik der kleinsten Teile; die Leugnung der Endzwecke u. s. w.

§ 117. Noiré.

Um so gewissenhafter holt Noiré das Versäumte nach. Gegenüber der Naturforschung verhilft er, ähnlich wie Dieterich, wieder der Metaphysik zu ihrem Rechte. Wo Geiger aufhört, da beginnt Noiré; er giebt das Bestreben kund, die Untersuchungen seines Vorgängers, den ein früher Tod seinem Werke entrissen, zu einem klaren Ergebnisse zu führen, dessen Wahrheit ihm über jeden Zweifel erhaben scheint: endgültige Feststellung der monistischen Weltauffassung." „Den Grundriss dieses stolzen Domes hat", nach Noiré („Der monist. Gedanke" 1875 S. 9, vgl. S. 30), „Spinoza erschaut. Er (Grundlegung einer zeitgem. Philos." 1875 S. 32) „sprach schon bestimmt den Satz aus, welchen . . . ich als Grundgedanken in meiner Schrift „Der mon. Gedanke" entwickelt habe: Voluntas et intellectus unum et idem est,“ ebenso (S. 104) ,,den wichtigsten Gedanken, dass Empfindung und Ausdehnung nur Eigenschaften Eines Wesens, eines Monon seien." Spinoza, „, dem grössten philosophischen Geiste seit Aristoteles“ („D. mon. Ged.“ S. 7) widmet denn auch Noiré, neben Lamarck und Geiger, seine „Grundlegung."

66

[ocr errors]

Doch in einem wichtigen Punkte weicht er von ihm ab, in der Fassung des Absoluten. (,,D. mon. Ged." S. 76) ,,Selbst Spinozas weltbefreiender Gedanke, der Pantheismus, erscheint noch von dem anthropomorphischen Irrthum gefärbt, wie der Mensch Seele und Leib, so ist das All ein ausgedehntes und zusammenhängend denkendes Wesen; das All ist Gott... (S. 306) Es ist mehr als wahrscheinlich, dass der grosse Denker den Begriff der Gottheit nur darum beibehielt, um bei seinen Zeitgenossen minderen Anstoss zu erregen.“ Der moderne Wert dafür ist Schopenhauers,,Wille". Dieser bildet zusammen mit der Darwinschen Entwickelungslehre und dem Mayerschen Prinzipe der Erhaltung der Kraft den Kern der modernen Weltanschauung (,,D. mon. Ged.“ Vorw. S. IX), des Monismus. Seine Grundlehren sind:

1) Bewegung und Empfindung sind die einzigen, wahren, objektiven und unverlierbaren Eigenschaften der Welt . .

3) Der Raum ist, wie die Zeit für die Empfindungsgegensätze, für alle Bewegungsgegensätze eine höchste Einheit, auf die sie sich zurückführen lassen . .

4) Die Welt ist als Bewegung, als Mechanismus zeitlos . 5) Die Zeit, die Dauer, ist die wahre oberste Form der Empfindung.

6) Alles Erkennen liegt einzig und allein im Bereiche der Empfindung, darum müssen alle erkennbaren Dinge in die Form der Zeit eingehen.

uns nicht

9) Das Innere der übrigen Wesen kann von vorgestellt werden; ihr Empfinden, d. h. ihr Wesentliches kann nur mitempfunden werden.

10) Jede Erkenntnis durch Vorstellung gibt aber zunächst nichts anderes als Bewegung.

,,Alles Objective unterscheidet sich demnach nur durch die Verschiedenheit der Raumerfüllung, durch die Bewegungsgesetze; die Substanz aber ist eine und dieselbe. Wer diesen Gedanken klar zu fassen vermag, der wird die Geistestiefe des in den Abgrund des objectiven Seins hinabtauchenden Idealisten ermessen und nicht genug bewundern können." (,,Grundlegung" S. 19 f.).

§ 118. Monismus gegen Materialismus.

Noirés Philosophie fand viel Beifall. Schon am 13. Oct. 1877, wenige Monate nach der feierlichen Enthüllung des Spinozadenkmals im Haag (24. Febr.), wurde durch Dr.J.H.Klein in Köln in der ,,Gaea" eine Preisaufgabe ausgeschrieben über ,,die Entwickelung der monistischen Philosophie von Spinoza bis auf unsere Tage". In der gewünschten Darstellung soll zunächst das Verhältnis Spinozas zur cartesianischen Philosophie, sodann die Weiterbildung und Klärung des monistischen Gedankens durch Leibniz, Schopenhauer, Laz. Geiger und Ludw. Noiré, die Bedeutung der Kant'schen Vernunftkritik, des Princips der Erhaltung der Energie und der Descendenztheorie für den Monismus beleuchtet und in ihrem logischen Zusammenhange dargestellt werden. Es wird ausserdem verlangt, dass in klarer und scharfer Definition Materialismus und Monismus unterschieden werden und die Frage geprüft wird, ob der letztere geeignet ist, die Forderungen des Gemüths mit den Resultaten der Wissenschaft zu versöhnen und solcher Art an Stelle der bisher vorherrschenden Systeme die Weltanschauung der Zukunft zu werden." Den Preis erhielt v. Reichenaus Schrift:,,Die monistische Philosophie von

mus.

Spinoza bis auf unsere Tage" (1881, Köln und Lpzg.). Hier erscheint (S. 27) allerdings Spinoza als der Vater des MonisDoch ist diese Anschauung bei ihm noch nicht rein zum Ausdruck gekommen, er ist noch durch und durch Pantheist. Ferner hat (S. 29) Spinozas Substanz unzählige Attribute, während der Monismus deren nur zwei kennt. Leibniz hat vor Spinoza (S. 43) voraus, dass er,, 1) statt des inhaltlosen, bloss mathematischen Begriffen der Ausdehnung den der Kraft aufstellte und 2) das Princip der Vervollkommnung oder des Geistes in den Individuen entdeckte. Bei Leibniz (S. 54) finden wir auch schon die Erhaltung der Energie und die Descendenz der inneren Eigenschaft oder Psyche." Vor der gleichzeitigen Arbeit Rosenthals über den nämlichen Gegenstand (,,Die monistische Philosophie") hat jedenfalls Reichenaus Schrift den Vorzug einer eingehenderen und wissenschaftlicheren Behandlung des Stoffes voraus.

Den letzten Teil der Aufgabe, als die Abgrenzung des Pantheismus gegen den Materialismus, behandelt auch M. L. Stern in seinem ,,Philosoph. und naturwissenschftl. Monismus“ (Lpzg. 1885 S. 204), wobei der Spinozismus als negativer Pantheismus gefasst wird. (S. 203) Spinoza ist sowohl Atheist als Akosmist. Denn,,der Begriff des Seins kann nach Spinoza Beide" Gott und Welt- ,,Zusammen nebelartig umschweben, um stets von dem einen angezogen zu werden, wenn er sich dem anderen nähern will, so dass Beide nichts davon haben."*)

Dahingegen kommt Spinoza wieder nachdrücklich zu Worte in v. Carneri (,,Sittlichkeit und Darwinismus" Wien 1871), einem der streitbarsten Verfechter des Monismus oder, wie er vorzieht: Pantheismus (S. 113. 354) gegen den Materialismus ebenso wie gegen den einseitigen Spiritualismus. Carneri erklärt sich nicht nur in allen Hauptfragen der Ethik mit Spinoza einverstanden, den er dem,,Fortschritte der Philosophie" gemäss ,,mit Hegel's dialektischer Bewegung zu begründen“ sucht (S. 6), sondern er beruft sich auch in vielen Einzelheiten, oft mit ausführlichster Anführung, auf den Begründer der modernen Ethik. (Motto S. 11. 124. 147. 152. 175. 183. 189. 191. 204. 212. 216. 320 ff. 352 u. a.),,Riesig ragt unter allen Denkern", so heisst es S. 126,,,Spinoza hervor. Er anerkannte eine menschliche Freiheit, die selbst mit der Naturwissenschaft

*) vo Leclair („Beiträge zu einer monistischen Erkenntnistheorie" Progr. d. k .k. deutschen Neustädter Gymn. zu Prag 1882) steht mit seiner durchaus phaenomenalen Auffassung der Natur und seinem Verzicht auf jede

von heute nicht in Widerspruch steht; . . erst nach fast zwei Jahrhunderten hat die deutsche Philosophie seine Lehre von der Freiheit als der geläuterten Nothwendigkeit zu Ehren gebracht" (S. 126). ,,Vor zwei Jahrhunderten sind diese goldenen Worte niedergeschrieben worden, und wie weit hat hin und wieder die Moralphilosophie seither noch sich verstiegen, weil die Naturforschung das Wort noch nicht gesprochen hatte, das den Grundsätzen dieses Weisen die glänzendste Bestätigung gab!“ (S. 167). „Die Betrachtung des Weltalls lehrt uns,“ nach Carneri (S. 352), „,die Entsagung, die jeder für sich schon hat üben müssen, auf die ganze unbekannte Welt übertragen; ... aber sie stellt jetzt noch, wie immer, uns frei, der Beschränkung des endlichen Daseins die Idee einer unbeschränkten Unendlichkeit entgegenzusetzen."

§ 119.

66

Czolbe.

Inzwischen hatte der Materialismus durch Heinrich Czolbe, wie Lotze, sein Lehrer, Mediziner und Philosoph in einer Person, eine sehr beachtenswerte philosophische Vertiefung erfahren. ,,Was in neuester Zeit Feuerbach, Vogt, Moleschott u. A. . . . gethan haben, sind nur anregende fragmentarische Behauptungen, die bei tieferem Eingehen in die Sache unbefriedigt lassen. Da sie die Erklärbarkeit aller Dinge auf rein natürliche Weise nur allgemein behaupten, aber nicht einmal versucht haben, sie specieller nachzuweisen, befinden sie sich im Grunde noch gänzlich auf dem Boden der von ihnen angefeindeten Religion und speculativen Philosophie." Diesem oberflächlichen Materialismus stellt Czolbe einen „Sensualismus“ entgegen. Ein Verehrer Hölderlins und Schüler Joh. Müllers, nennt auch er Spinoza und das Hellenentum seine Bildungsideale. (,, Grundzüge einer extensionalen Erkenntnistheorie" 1875 S. 9),,Spinoza, dessen Weltauffassung wenigstens mythisch als Musterbild ruhiger Klarheit und unwiderleglicher innerer Consequenz auch bei vielen Naturforschern gilt, und die Philosophie der Griechen. . sind zwei Ideale der Vergangenheit, die bis in die Gegenwart hineinragen und ohne Zweifel wert, in gewisser Art die Grundlage zu einer neuen philosophischen Darstellung mit denjenigen Veränderungen abzugeben, welche die seitdem gemachten Erfahrungen nöthig machen." In der That will (S. 8) Czolbes Philosophie durch eine ,,empiristische Umbildung des Spinozismus" diesen mit Aristoteles verbinden. (,,Grundzüge“ S. 4).,,Der zeitliche Raum ist die Eine selbständige Substanz oder Grundlage aller Dinge. Durch die

verschiedenartige Verbindung dieser Substanz mit den zahllosen, abhängigen Attributen entsteht eben die Mannigfaltigkeit der Dinge," Spinozas Modus. „,In dieser Weise" will Czolbe,,die Verwirklichung der geometrischen Methode Spinozas in der Spinozistischen Weltformel: Raum und Zeit sind die Eine Substanz der zahllosen Attribute der Welt zum harmonischen Abschluss bringen." Mit Spinoza sieht er hier in der Mathematik das Ideal der Erkenntnis, wie er auch schon früher (,,Die Mathematik als Ideal für alle andere Erkenntniss“ in d. Ztsch. für ex. Philos. VII S. 217-286) in ihm das Vorbild mechanischer Anschaulichkeit erblickt hatte. Auch in der mathematischen und mechanischen Fassung des Kausalverhältnisses glaubt er sich mit Spinoza zu berühren. Wie ferner Spinoza sein Hauptwerk,,Ethik" genannt, so beruhe auch sein System auf einem ethischen Prinzip, dem der Zufriedenheit mit der gegebenen Welt (Ztsch. f. ex. Ph. 243 ff.). Dagegen tadelt er (ebd.) an Spinoza die mathematische Form, die Aufstellung einer einzigen Substanz, da nach dem Kausalbegriff die Welt nur die Resultante mehrerer Ursachen sein könne, ferner die Uebersinnlichkeit seiner Substanz und besonders die Leugnung der Teleologie.

§ 120. Ueberweg.

Einen ähnlichen Monismus, insofern das psychische Moment als mit dem materiellen völlig identisch gefasst wird, lehrt auch A. Cornill in „Materialismus und Idealismus in ihren gegenwärtigen Entwickelungskrisen" (1858) und, im engsten Anschluss an Czolbe, dessen intimer Freund Friedr. Ueberweg in seinem „Ideabrealismus“. Gegen Kant verteidigt er, besonders auf die Astronomie gestützt, die Realität des Raumes. Newton hat nach seinem Dafürhalten besser als Spinoza den cartesianischen Dualismus aufgehoben. Nicht nur die materielle, sondern auch die geistige Welt ist bei ihm räumlich. So trägt er besonders seine Psychologie im engsten Anschlusse an Spinoza vor. Von diesem weicht er, wie Czolbe, hauptsächlich in der Behauptung der Teleologie ab. „Wer in diesem Punkte," heisst es in einem Briefe vom Jahre 1860 (bei Ueberweg, „Schiller als Historiker und Philosoph" 1884 S. XXXVIII), „nicht auf der Seite Spinozas steht, muss nachweisen, wie denn die Erscheinungen des organischen Lebens, die wir uns am bequemsten mittelst jenes Begriffs zurechtlegen, ohne denselben irgend denkbar seien."

In seiner Darstellung Spinozas in dem bekannten „Grundriss" (7. Aufl. 1888 Bd. III S. 82 ff.) zeigt sich Ueberweg so

« PreviousContinue »