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§. 105. Herbart.

In seinen zahlreichen Kritiken sowie besonders in seinen systematischen Schriften hat er einem grossen Kreise von Schülern und Anhängern für die Beurteilung des Idealismus und Monismus, und damit natürlich auch Spinozas, den Weg gewiesen und den Ton angegeben. Er ähnelt äusserlich in seiner Polemik und in der Beschränkung auf einen gänzlich isolirten Standpunkt Jacobi; doch mit dem grossen Unterschiede, dass Herbart nicht wie dieser überall Spinozismus wittert, sondern im Gegenteil darzulegen sucht, wie viel der neuere Spinozismus in Spinoza hineingedichtet, was in diesem gar nicht zu suchen ist. Herbart lässt Spinoza überhaupt nur einen Vorzug: das ist seine Aufrichtigkeit, seine Nacktheit. Dringend glaubt er den Anfänger davor warnen zu müssen, sich durch die bunten fremden Lappen nicht täuschen zu lassen, die ihm neuerdings die Modephilosophie umgehängt hat.

Dagegen kann er nicht scharf genug die Dreistigkeit, den Leichtsinn, die Oberflächlichkeit und Keckheit Spinozas geisseln, welche gar keinen Anspruch auf rücksichtsvolle Behandlung erheben dürfe, da sie sich und den Leser über die ärgsten logischen Fehler hinwegzutäuschen suche.

Was die Lehren Spinozas selbst angeht, so treffen sie hier alle die uns bereits bekannten Vorwürfe. Spinoza ruht gemächlich auf den Lorbeeren der alten Griechen aus und konnte nur ein Zeitalter, welches mit deren Philosophie zu wenig vertraut war, mit einer erlogenen Originalität täuschen.

Herbart sieht in ihm durchaus nicht den Stifter der neueren Philosophie. Er sieht in ihm vielmehr neben dem Materialisten, dem Pantheisten und Fatalisten noch den scholastischen Metaphysiker und Mystiker. Der Grundfehler seiner Ontologie ist die schlechthinnige Ineinssetzung des Esse mit dem Existere. Statt einer, Spinoza so oft nachgerühmten, streng methodischen Demonstration findet Herbart nur dialektische Gauklerkünste vor. Als Retter aus der Not ist stets das Flickwort: Quatenus bei der Hand. Spinozas Metaphysik krankt an dem, von vorn herein verfehlten Beginnen, Gott definiren zu wollen. Die Substanzeinheit zerstört die Vielheit der Attribute. Diese stehen auch gar nicht, wie sie eigentlich sollten, einander gleich. Vielmehr überwiegt in der Methaphysik sowohl, wie in der Psychologie, die ganz am Leibe klebt", entschieden die Ausdehnung, die körperliche Substanz. Erstohlen ist auch der Uebergang von der Substanz zur Welt der Dinge.

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Demnach ist Spinozas ,,Ethik" ein durchaus inkonsequen

tes Werk, das von einer solchen nur den Titel geliehen hat. Es hätte für keinen Fall das menschliche Handeln im Zusammenhange mit der Kosmologie behandelt werden dürfen. Dadurch verliert es alle Bedeutung, wie überhaupt dem Spinozismus jede moralische Wärme abgeht.

Wie ist nun Herbarts Uebereifer gegen Spinoza zu erklären? Nach seinen eigenen Angaben wohl am besten damit, das Spinoza nicht wie sich's gehörte, längst zu den Akten der Geschichte gelegt sei, sondern gar als Spinoza redivivus die ganze zeitgenössische Philosophie beherrsche, in welcher Herbart eine Schmach und den Verderb der Jugend sieht. Die Modephilosophie, mit der er beständig im Hader lebt, hat zu seinem Bedauern Spinoza in die Gesellschaft eines Leibniz und Kant eingeführt. Doch schon eine blosse Zusammenstellung Spinozas mit diesen Grössen ist nach seiner Ueberzeugung ein untrügliches Zeichen von oberflächlichem Denken. Sie haben mit dem Erzketzer im Wesen nichts zu thun; wo sie sich ihm zu nähern scheinen, sind sie aus der Rolle gefallen, sich selbst untreu geworden.

Sein Hauptgegner ist begreiflicher Weise Schelling, durch den der Geisterspuk des Spinozismus erst recht in Schwang gekommen. Wie Jacobi sieht Herbart nicht allein in ihm eine neue Auflage Spinozas, sondern schon in seinem Meister Fichte einen umgekehrten Spinozismus. Doch hat, nach Herbarts Ansicht, Jacobi gerade das Gegenteil seiner Absicht erreicht. Anstatt dem spinozistischen Unwesen zu steuern, habe er Spinoza einen Glorienschein ums Haupt gewoben, und zwar nicht allein aus Mangel an geschultem Denken, sondern weit mehr aus einer falschen Humanität, jedem in seiner Sphäre recht zu geben, woraus man allerdings Herbart keinen Vorwurf machen kann.

Diesem pantheistischen Schwindel ist es auch zu danken. dass ein Schleiermacher den dürren Magister Spinoza neben einen Plato stellen konnte. Auch kann Herbart es Schleiermacher, den er übrigens nicht so zerzaust wie Schelling und Genossen, nicht verzeihen, dass er in seiner Kritik der Sittenlehre, die immer grösseren Einfluss gewann, Kant mit strengerem Masse als Spinoza gemessen.

Auf Schleiermacher geht auch mittelbar der andere Beweggrund der Herbartschen Polemik zurück. Spinozas Individualismus zeigt sich am deutlichsten in seiner Affektenlehre mit dem Grundtriebe der Selbsterhaltung; und hierin steht er der Herbartschen Psychologie mit ihrem Prinzipe der Selbsterhaltung gegen äussere Störungen und Hemmungen nicht allzu fern

berührte

Nicht minder peinlich Herbart die offenbare Aehnlichkeit seines Freiheitsbegriffes mit dem der „Ethik“. Nun wurde gar von einem Schüler Schleiermachers, von Romang, öffentlich auf diese seine Verwandtschaft mit Spinoza hingewiesen. Wie früher Kraus, Jäsche u. a., so führt Herbart auch jetzt nicht gerade die streitbarsten Bundesgenossen ins Feld, Leute, die sich an Lunge kräftiger denn an Gehirn zeigen. Er scheint des Kampfes müde zu sein.

Doch ist dieser Kampf nicht ganz vergeblich gewesen. Zwar war Herbarts Polemik gegen eine allerdings oft hohle und dilettantenhafte Philosophie manchmal heftiger, als seine eigenen Grundanschauungen es erfordert hätten. Er hat sich dabei meist nur bei Nebensachen aufgehalten, die Bedeutung Spinozas für die exakte Forschung verkannt und aus der Substanz ein leeres Gedankenwesen machen wollen. Jedenfalls hat aber die Schärfe seiner Kritik neue Widersprüche in Spinoza aufgedeckt, so besonders den Widerstreit zwischen dem Pantheismus und Individualismus und den Mangel an der behaupteten Einheit des Substanzbegriffes.

§ 106. Die Herbartianer.

In den Bahnen ihres Choregen, oft denen des AntiHegelianismus gleich laufend, bewegen sich denn auch die Spinozakritiker der Herbartschen Schule, wie Jäsche, Thomas, Zimmermann u. a. So war Jäsche, vielfach durch Herbart angeregt und in den Hauptpunkten der Spinozakritik mit ihm übereinstimmend, der erste, welcher den Pantheismus durch eine Kritik seiner Geschichte zu vernichten suchte.

Die erste reife Frucht der Herbartschen Kritik aber hat Karl Thomas gepflückt. Lange vor ihm hat man zwar schon in Spinoza Elemente entdeckt, die der Alleinheit des Systems widersprechen. Aber erst Thomas hat im Spinozismus neben dem mystisch - monistischen einen atomistisch - automatischen Pantheismus überzeugend nachgewiesen. Doch hat er selbst dieses Verdienst, welches von der besonnenen Kritik, wie von Erdmann und Danzel, auch voll gewürdigt worden, und wodurch besonders die Beziehungen Leibnizens zu Spinoza in ein neues Licht gerückt werden, durch die Verdächtigungen verdunkelt, die er gegen Spinozas wissenschaftlichen Charakter ausspricht. Dies hat viele, wie Orelli, Volkelt u. a., von weiterem Eingehen auf seine Schriften abgeschreckt und diese beinahe der Vergessenheit überantwortet. Von Thomas, dem Spinoza nicht als Atheist erscheint, abweichend, stimmt Drobisch, einer

der massvollsten Herbartianer, in diesem Vorwurf Jacobi bei. Doch wendet er sich mit Hegel gegen die falsche Auffassung des Spinozismus als eines groben Pantheismus und nennt ihn, wie Jäsche, Kosmotheismus. In dem Hinausgehen über Schelling und Hegel, also in deren Epigonen Weisse, Fichte u. s. w., sieht Drobisch mit Recht eine Annäherung an den Theismus. Den Spinozismus selbst bekämpft er, wie Thilo u. a., seiner irreligiösen und unsittlichen Begleiterscheinungen wegen.

§ 107. Trendelenburg.

Günstigere Behandlung, als bei Herbart, widerfuhr Spinoza seitens eines anderen, nicht minder gewichtigen Gegners der Hegelschen Richtung. Trendelenburg unterzog das System des seiner Konsequenz wegen so gefeierten Denkers einer eingehenden Kritik und entdeckte darin Widersprüche und Einseitigkeiten. (Logische Untersuchungen 1840 IS. 97) „Spinozas grossartige, aber mathematisch-starre Ansicht der Einen Substanz und seine geometrischen Demonstrationen sind einer lebendigeren Auffassung und einer entwickelnden Methode gewichen. Aber sein in dem System auf die Einheit gerichteter Blick bleibt ein grosses Vorbild, und manche Parthien seiner Schriften, z. B. seine einfache Darstellung der Leidenschaften, behalten für die Wissenschaft ihre Bedeutung."

Abschnitt V.

Des neunzehnten Jahrhunderts zweite Hälfte.

§ 108. Einleitung.

Die Geschichte der nächsten Jahrzehnte gab Trendelenburg recht. Spinoza hatte unvergängliche Vorzüge, welche selbst unter den ungünstigsten Zeitverhältnissen ihre Geltung bewahrten. Naturforschung und Politik, wozu bereits im vorigen Zeitabschnitte sich energische Ansätze zeigen, werden nun fast ausschliesslich die Pole, um welche sich das geistige Leben Deutschlands dreht. Sie treten das Erbe der Philosophie an, wie diese einst die Theologie abgelöst hatte. Der Szenenwechsel vollzieht sich nur diesmal rascher und auffallender, als an irgend einem früheren Wendepunkte in der Geschichte. Noch einmal hatte sich die gesunde Vernunft trotz Kant durch metaphysische Gaukeleien bezaubern lassen.

Inzwischen war aber die exakte Naturforschung, das Geschwisterkind dieser Luftbaukunst, durch die überraschendsten Fortschritte so weit erstarkt, um den Kampf mit der Metaphysik furchtlos aufnehmen zu können. Doch jeder Kampf erübrigte sich. Kaum war der Schlachtruf: „Zu Kant zurück!" ertönt, da wich der Zauber, und ohnmächtig stürzte der ganze Kartenbau in sich zusammen. Im Uebermut ob des so leicht gewonnenen Sieges wollte nun der feindliche Tross jede Spur der Vergangenheit, jeden Zeugen der ursprünglichen Verwandtschaft mit der so schmählich gefallenen Spekulation beseitigen. Doch die Besonnenen, die führenden Geister des neuen Geschlechtes, bekannten sich dankbar als Erben des alten; manch' kostbares Beutestück fand, gereinigt von den Spinnweben einer phantastischen Romantik, in dem neuen Bau seinen Ehrenplatz.

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