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Philosophie der Zukunft" (1843), über die er sich bereits in den „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“ (1830) und im ,,Wesen des Christentums" (1841) näher erklärt hatte, (S. 24): „Spinoza traf mit seinem paradoxen Satz: Gott ist ein Ausgedehntes d. i. materielles Wesen, den Nagel auf den Kopf. Er fand den, für seine Zeit wenigstens, wahren philosophischen Ausdruck für die materialistische Tendenz der neuern Zeit; er legitimirte, sanctionirte sie. Gott selbst ist Materialist. Spinozas Philosophie war Religion; Er selbst ein Charakter. Gott ist nichts anderes als das Ur- und Vorbild des Menschen." (S. 21) „Haben wir kein nur ideales, vorgestelltes, sondern ein reales Wesen; so haben wir mit einem Worte den Spinozismus oder Pantheismus." Dieser (S. 23) ist nichts anderes als das zum göttlichen Wesen, zu einem religionsphilosophischen Princip erhobene Wesen der neuern Zeit." (S. 39) „Die Hegel'sche Philosophie ist der umgekehrte, der theologische Idealismus, wie die Spinozische Philosophie der theologische Materialismus ist." Ebenso lauten auch die „Vorläufigen Thesen zur Reformation der Philosophie“ (in „Anecdota zur neuesten deutschen Philosophie und Publicistik“ hrsg. v. Arn. Ruge. Bd. 2. 1843. S. 63): „Der paradoxe Satz Hegels: ,,,,Das Bewusstsein von Gott ist das Selbstbewusstsein Gottes"" beruht auf demselben Fundament, als der paradoxe Satz Spinozas: „,,,Die Ausdehnung oder Materie ist ein Attribut der Substanz, und hat keinen andern Sinn als: das Selbstbewusstsein ist ein Attribut der Substanz oder Gottes, Gott ist Ich. Das Bewusstsein, welches der Theist im Unterschiede vom wirklichen Bewusstsein Gott zuschreibt, ist nur eine Vorstellung ohne Realität. Der Satz Spinozas aber: die Materie ist Attribut der Substanz, sagt nichts weiter aus, als die Materie ist substanzielle göttliche Wesenheit; eben so der Satz Hegel's nichts weiter als: das Bewusstsein ist göttliches Wesen.“ (S. 78) „Der Anthropotheismus ist die selbstbewusste Religion

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die Religion, die sich selbst versteht." (81),,Schaut die Natur an, schaut den Menschen an! Hier habt ihr die Mysterien der Philosophie vor eueren Augen. (S. 85),,Die Philosophie muss sich wieder mit der Naturwissenschaft, die Naturwissenschaft mit der Philosophie verbinden." Damit war die Lösung des Materialismus ausgesprochen, der seinen drastischen Ausdruck in Feuerbachs geflügeltem Worte findet: ,,Der Mensch ist, was er isst."

Zugleich traf Spinozas: Homo homini deus ein seltsames Geschick.,,Der Mensch ist dem Menschen das höchste Wesen, sagt Feuerbach. Der Mensch ist nun erst gefunden, sagt Bruno

Bauer. Sehen wir Uns denn dieses höchste Wesen und diesen neuen Fund genauer an," so beginnt Max Stirner (Kaspar Schmidt), in manchen Stücken der Vorläufer Friedrich Nietzsches (vgl. die Reclamsche Ausgabe des ,,Einzigen"), den ersten Abschnitt seiner Apologie des Egoismus,,Das Einzige und sein Eigentum" (1844).

In demselben Jahre reinigte Feuerbach in seiner „Gesch. der neueren Philosophie" den vermeintlichen ersten Apostel dieser Lehre, Spinoza, die, personifizirte Selbstständigkeit und Denkfreiheit" von dem letzten Makel. Er ist kein Determinist (S. 433), seine Substanz nicht geist- und bewusstlos (S. 433). (S. 429) Verderbliche Grundsätze kann die Philosophie der Spinoza also nur entweder für die ganz gemeinen Haufen enthalten . . oder für die, die solche Sätze, wie das Gute und Böse ist nichts in den Dingen an sich Wirkliches, d. i. nach Spinoza nichts Absolutes, von der Idee und Anschauung der Substanz als Folgen für sich absondern, und so,.. aus dem beschränkten Kämmerchen ihres Verstandes.. die Unterschiede von Gut und Böse vernichten sehen.“

§ 101. Hess.

Klang dies auch freundlicher als Hegels eigenes Urteil über Spinoza, so hinderten doch die Schulfesseln, wie an der richtigen Auffassung, so auch an der rückhaltlosen Anerkennung seiner Leistungen. Dies musste nicht Hegelianische Freunde des grossen Denkers zum Widerspruch reizen. So zeigen uns denn Hess und Orelli das Extrem: die überschwengliche Verherrlichung ihres Philosophenideals. Nach Hess, der sich selbst einen Jünger Spinozas nennt (vgl. Heilige Geschichte der Menschheit von einem Jünger Spinozas. Stuttgart 1837), ist (,, Die europäische Triarchie" 1841, S. 27),,Adam, der Naturmensch, Prototypus des Alterthums, Christus, der Gottmensch, Prototypus des Mittelalters, Spinoza, der Mensch schlechthin, Prototypus der Neuzeit." (28),,Erst die vollendete Mystik ist Speculation. Der erste wahrhaft speculative Geist, der vollendete Mystiker, ist Spinoza." (S. 113),,Die sich immer mehr realisirende Spinoza'sche Idee der absoluten Einheit alles Lebens ist die dritte Macht, welche den Kampf des Staates und der Kirche, der Endlichkeit und der Ewigkeit usw. ausgleicht und zu Ende führt. Diese Idee der absoluten Einheit ist ein Produkt der heiligen Geschichte; sie ist mitten aus dem zerfallenen hg. römischen Reiche heraus, am Schlusse des dreissigjährigen

heiligen jüdischen Staate an dem Schlusse desselben zum Vorschein gekommen.“ (S. 147) „Die Idee der absoluten Einheit wurde am Anfange unserer Zeit von Spinoza gedacht, und er hat sie so naiv ausgesprochen, ohne weiter auf die hochwichtigen Folgen aufmerksam zu machen, welche aus ihr der Zukunft des socialen Lebens erwachsen, dass man annehmen muss, er habe jene Folgen, zu welchen er den Grund gelegt hat, selbst noch nicht gekannt. . Soll die Kraft unserer Zeit nicht vergeudet werden, so muss sie zu ihrem Anfange, zu ihrem Keime, zu Spinoza zurückkehren. Hegel selbst wies Spinoza diese Stelle an, der Anfang desjenigen Gottesbewusstseins zu sein, welches er, Hegel, .. weiter gefördert hatte. Aber Hegel hat, wie es scheint, die hohe Bedeutung der Stellung, die Spinoza seiner eigenen Ansicht gemäss einnimmt, nicht zu würdigen verstanden . . In sich selbst abgeschlossen und fertig, hatte Spinoza kein einseitiges Streben. . Das Gegenwärtige in seiner Totalität erfassend, stand er da am Schlusse einer bewegten Zeit, am Anfange einer neuen. Die Hegel'sche Philosophie war der Culminationspunkt dieser Richtung... Weil Hegel es nur mit dem Dasein zu thun hatte, konnte er Spinoza eben so wenig verstehen, als ihn die Gegenseite verstanden hat." (S.149.) Spinoza ist auch kein Akosmist. (150) „In seiner Metaphysik erkennt er nur die Substanz, in seiner Ethik aber nur das Subject an."

§ 102. Orelli.

Noch energischer verteidigt der Züricher Conrad von Orelli („Spinozas Leben und Lehre“ 1843. 2. Auflage 1850) Spinoza gegen die Schellingsche und Hegelsche Kritik. In der Vorrede (2. Aufl. S. V) bekennt er ,,seine entschiedene Vorliebe für Spinozas Lehre, welche ihm unerreicht dazustehen scheint, obgleich von allen Seiten her behauptet wird, sie stehe den neueren pantheistischen Systemen nach." Gerade die von jenen getadelte ,,Allgemeinheit, bei welcher Spinoza stehen bleibt, kommt seiner Lehre zu Statten" (S. VII). Dithyrambisch wie bei Schleiermacher, dessen Behandlung Spinozas er auch den Schelling-Hegel entgegenhält (S. V), heisst es von Spinoza (S. IX): ,,Ehre den Manen des Spinoza, ewige Ehre! Inniger Dank dir, hoher Genius, der du dich einzig an der Betrachtung des Ewigen, des im Wechsel Beharrenden weidetest, dich in dem Ursein sonntest, Gott aus einem externen und ausgeschlossenen zu einem internen machtest". Seine Verehrung des grossen Philosophen hatte Orelli,

als einziges Schweizer Mitglied des Spinozadenkmal-Comités, auch durch die That zu bekunden Gelegenheit.

§ 103. D. Zeitsch. f. Philosophie.

Zu gleicher Zeit hatten die materialistischen und atheistischen Ausläufer der Hegelschen Schule unter den Philosophen und Theologen, besonders des südlichen und westlichen Deutschlands, eine Gegenwirkung hervorgerufen, welche in dem jüngeren Fichte, Weisse, Ulrici u. a. ihre Vertreter und in der ,,Zeitschrift für Philosophie" ihr Organ fand. Es galt z. T. mit. Zurückgehen auf Hegel selbst, eine Verbindung des Pantheismus mit dem christlichen Theismus, im Interesse des letzteren, herzustellen. Naturgemäss nahm man, wie zu Hegel, auch zu Spinoza Stellung.

Wir begegnen hier teilweise derselben Dialektik der Ketzerriecherei, wie wir sie aus dem Atheistenjagdprogramm Jacobis und seiner Konsorten kennen. Der Theismus, so raisonnirten die Sengler, Schaden, Daumer, Hanne, trennt Gott und Welt; der Pantheist vermengt sie. Dadurch wird, wie Spinozas Beispiel lehrt, die Absolutheit des Gottesbegriffes aufgehoben; ergo: ist der Pantheismus Atheismus. Ferner heisst es, ganz wie bei dem Philosophen von Pempelfort, bei Sengler (,,Ueber das Wesen und die Bedeutung der spec. Philos." 415): Jedes System, welches alles nur aus reiner Vernunft entwickelt, verfällt dem Fatalismus, und alle Philosophie (S. 416), die nur rein vernunftmässig ist, ist oder wird Spinozismus. Das wahre Sein muss, nicht als Substanz, sondern als Subjekt bestimmt werden. Dies that Leibniz, an den deshalb diese Richtung eingestandenermassen (vgl. Fischer, Hanne, Hermann) anknüpft. Das gleiche Verdienst hat Fichte; auch Schelling wies von vornherein nach dieser Seite über Spinoza hinaus. Nur von Hegel lässt man es nicht gelten.

Diese Hochschätzung Schellings Identitätsphilosophen (vgl. Chalybaeus)

allerdings nicht des sowie eine hohe

Achtung vor der Frömmigkeit des Stifters der ,,heidnischen" Spinozistensekte ist allen diesen Antihegelianern eigen. Schelling, der in fast allen Philosophenschulen, von Hegel, Herbart, Schopenhauer, in Acht und Bann erklärt wurde, fand hier, besonders bei Fichte, die verdiente Würdigung, als Förderer wahrer Wissenschaft und vor allem als Wegweiser vom Pantheismus zum Theismus. Man entlehnte ihm auch die Waffen

Alle diese Züge finden wir bei C. P. Fischer vereint. Er verfolgt die Entwickelung des Pantheismus durch alle Durchgangsformen von den Eleaten an bis zu Hegel und über diesen hinaus; so lässt er ihn stufenweise zum Theismus hinüberschreiten. Ulrici, der unermüdliche Gegner des Materialismus, sieht in Spinoza selbst schon alle die Keime zu dem Spiritualismus, den er und seine Gesinnungsgenossen vertreten; er fasst seine Lehre als reinen Idealismus und ist des Lobes voll für seine grossartige Konzeption des Substanzbegriffes, wenn auch dessen Einheit durch die Vielheit der Attribute zerstört wird.

Noch versöhnlicher stellt sich J. H. Fichte zum Spinozismus. Er bekämpft den Monismus nur seiner unsittlichen Konsequenzen wegen, wegen des Pessimismus und der Resignation, die er im Gefolge führt. Sonst steht er aber der Lehre Spinozas nicht gar zu fern. Er giebt ihr entschieden den Vorzug vor dem flachen Leibniz-Wolffschen Rationalismus. Sein Universum zeigt sich deutlich als ein Glied jener zahlreichen, viel verzweigten Nachkommenschaft der Spinozischen Substanz.

§ 104. Die Spinozaforschung.

Auf diese Weise konnte natürlich der Spinozismus höchstens in seinen Konsequenzen ahgeschwächt, aber durchaus nicht gründlich beseitigt werden. Spinoza wurde im Gegenteil immer mehr bekannt, immer eifriger gelesen. Die Saissetsche Uebersetzung seiner Werke war in der ersten Auflage von 3000 Exemplaren sogleich vergriffen. An den Universitäten begann Spinoza der Gegenstand besonderer Vorlesungen zu werden (so in Breslau S. S. 1842 durch Thilo). Bruder, wie Paulus Theologe, gab (1843) im Auftrage der Tauchnitzschen Verlagsbuchhandlung in handlichem Format und mit grosser Sorgfalt von neuem seine Werke heraus. Nun folgen einander in rascherer Aufeinanderfolge Ausgaben und Uebersetzungen. Neu belebt wurde das Spinozastudium durch die Auffindung der älteren Form der „Ethik" und nicht lange darauf des Traktates von dem Regenbogen und wichtiger Briefe. Die Erforschung der Quellen des Spinozismus liess sich ein so unparteiischer und gründlicher Gelehrter, wie H. Chr. W. Sigwart, selbst Determinist und halber Pantheist, angelegen sein. Eine wesentliche Förderung fanden die exakten Forschungen gerade durch die Richtung in der Philosophie, welche sich der spinozistischen am entschiedensten entgegengestellt hatte, durch die Herbartianer. Unter den neueren Kritikern Spinozas ist kaum einer mit einer solchen Erbitterung gegen ihn vorgegangen wie Herbart.

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