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Klausel durch, welche Spinoza von der Annahme seiner Berufung abschreckte.

Wie klug diese Weigerung gewesen, zeigte sich deutlich beim Erscheinen des theologisch-politischen Traktates, wo alles, was nur gläubig heissen wollte, über den Erzatheisten herfiel. Spinoza schien den Theologen um so gefährlicher, als sich zu gleicher Zeit in Deutschland die grundsätzliche Scheidung der Ethik von der Theologie zu vollziehen begann und sich gerade in Spinoza der offenbare Beweis geliefert fand, dass man selbst als Gottesleugner einen fleckenlosen Charakter und eine untadelhafte Lebensführung aufweisen könne. Man bekämpfte ihn somit meist aus politischen Gesichtspunkten, zum grossen Teile mit rein praktischen Beweismitteln. Die Waffen einer wissenschaftlichen Polemik gegen den Spinozismus lieferten die voraufgegangenen Kämpfe des Auslandes, über welche die damals aufkommende Zeitschriftenliteratur, nicht ohne dadurch die Lehren Spinozas mittelbar in immer weitere Kreise zu tragen, regelmässigen und ausführlichen Bericht erstattete.

§ 2. Poiret.

Als Vorbilder und Gewährsmänner der Bekämpfer Spinozas in Deutschland kommen hauptsächlich Poiret, Wittich und Bayle in betracht. Poiret kam aus den Schulen eines Descartes und Böhme, deren Bahnen sich oft genug mit denen des „Spinozismus vor Spinoza“ gekreuzt. Er hätte also mehr als einen Punkt zur Verständigung mit Spinoza in dessen Lehren finden können. Doch um so eifriger sucht er, wie die anderen Cartesianer, wofür besonders Malebranches Polemik gegen den Verräter an des Meisters Lehren für typisch gelten kann, auf jede Weise den Judas aus der Gemeinde der Jünger Decartes' auszustossen. Er überhäuft ihn mit den bittersten Schmähungen; er ist der erste, welcher im Spinozismus nicht bloss eine Verirrung der Spekulation, sondern boshafte Sophisterei erblickt. Das Ergebnis seiner Kritik fasst er (Cogitation. ration. disc. prael. p. 14) in die Worte zusammen: „Tria in scriptis, maxime vero in Ethicis Spinozae regnant: impietas, fatuitas et mathematicae veritatis s. certitudinis larva, quae indivulse voluit connecti . . Veritates christianas . . . impius non tantum aperte deridet, sed et easdem pro malis traducit. . . ex hypocrisi falacissimo. . impietate horrenda."

§ 3. Chr. Wittich.

Weit bedeutender ist sowohl der wissenschaftliche Wert

Deutschen Chr. Wittich, des Führers der Leydener Cartesianer. Wir begegnen hier einer für jene Zeit ungemein gründlichen und gewissenhaften Kritik Spinozas, welche sogar dessen Briefwechsel bereits berücksichtigt und sicherlich die tüchtigste Leistung ist, welche die cartesianische Polemik gegen Spinoza aufzuweisen hat. Nach Wittich kann Spinoza seine Substanz nicht absolut unendlich nennen, da ihre Attribute nur jedes in seiner Art unendlich sein sollen. Hätte er ferner statt der synthetischen die analytische Methode angewandt, so würde er zu ganz anderen Ergebnissen gelangt sein. Schliesslich tadelt Wittich an Spinoza eine gewisse Dunkelheit seiner Grundbegriffe und seine Abweichung vom gewöhnlichen Sprachgebrauche, indem er, ohne dies vorher anzugeben, manche Ausdrücke in einem ganz neuen Sinne gebrauche, übrigens ein Fehler, welcher bald darauf Wittich selbst vorgeworfen wurde. Ueberhaupt ist sein Beispiel mustergiltig für eine ganze Klasse von Gegnern Spinozas, deren Geschosse gegen sie selbst zurückprallten. Während Wittichs Werk weit und breit als die schärfste Waffe gegen Spinoza gepriesen wurde und die bedeutendsten Zeitschriften Auszüge daraus brachten, wie das „Leipziger Journal" (1690 p. 346) und die „Bibliothèque universelle" (t. XXIII p. 323), bezichtigte man ihn mit einem Male öffentlich des Spinozismus. Es ist nun freilich wahrscheinlich, dass Spinoza Wittich gekannt hat. Doch machte man diesem, wenn wir Colerus glauben dürfen, mit Unrecht den Vorwurf, zu dem berüchtigten Ketzer in persönlicher Beziehung gestanden zu haben. Glaubwürdiger scheint ein anderer Bericht. Während Cuffeler ohne weiteres den Spinozismus offen bekannte und verteidigte, Bredenburg bei aller sonstigen Gegnerschaft manches daran billigen musste, während ein Tschirnhausen Spinoza benutzte, ohne ihn zu nennen, und Boulainvilliers ihn gar unter feindlicher Maske verteidigte, kam, nach Bayle, Wittich, nachdem er anfangs geglaubt hatte, geometrisch erweisen zu können, dass Gott und Natur nicht ein und dasselbe sei, bei erneuter Prüfung Spinozas doch dazu, dass sich das Gegenteil, also die Hauptlehre seines Gegners, mindestens ebenso gut beweisen lasse.

§. 4. Bayle.

Bayle selbst hat durch seine Darstellung des Spinozismus in seinem vielgelesenem „Dictionnaire" das Urteil fast des gesamten siebzehnten Jahrhunderts irregeführt. Wie längst anerkannt, ging ihm völlig die Fähigkeit ab, in die Tiefen dieser Lehre einzudringen; ein Tadel, gegen den er sich selbst schon

früh, wenn auch mit wenig Glück, zu verteidigen sucht. Anzuerkennen ist jedenfalls das rückhaltlose Lob, welches er, wie an dieser Stelle, so auch in mündlichem Urteil, dem Charakter Spinozas zollt.

Im übrigen ist dieser aber, nach Bayles Urteil, ein Systematiker des Atheismus." Die Methode ist das einzige Originelle an ihm, die Lehren selbst kehren in anderer Form in jedem Jahrhundert wieder. Diese werden von Bayle so kritiklos und oft verfälscht wiedergegeben, wie die Berichte über des Philosophen Lebensschicksale. Als grösste Absurditäten in

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Bayles Sinne werden im Namen Spinozas Lehren aufgeführt, wie: „Gott und Ausdehnung sind ein und dasselbe“ oder „Gott ist das immanente Subjekt der menschlichen Gedanken." Nun ist allerdings nichts leichter, als eigene Fiktionen ad absurdum zu führen. Die Teilbarkeit der Materie, - denn so fasst Bayle gegen Spinozas ausdrückliche Erklärung dessen Begriff der Ausdehnung, widerspricht der Unveränderlichkeit Gottes, sowie die Mannigfaltigkeit und Niedrigkeit unserer Gedanken wider die Einheit und Güte seines Wesens streitet. Der Spinozismus begeht somit die Blasphemie, die Gottheit in den Schmutz und das Elend der Erde herabzuzerren. Eine solche Donquichotterie findet natürlich unschwer noch viele andere Inkonsequenzen und Irrtümer an dem völlig verkannten Gegner, die Bayle, in Wahrheit vom Uebereifer selbst des Gesichtes beraubt, auf eine, von Gottes Strafgericht über Spinoza verhängte Verblendung zurückführen will.

Alles in allem genommen, ist der theologisch-politische Traktat ein „livre pernicieux et détestable, où il (Spin.) fit glisser toutes les semences de l' athéisme qui se voit à découvert dans ses opera posthuma,“ und das in diesen aufgestellte System la plus monstrueuse Hypothèse qui se puisse imaginer, la plus absurde, et la plus diamétralement opposée aux notions les plus évidentes de notre esprit“ (Dictionn. philos. Amsterd. 1734. p. 201. 210 note N. 215. 212 und note DD. art. Spinoza, Spinozisme, Spinozistes),

In etwa gleichem Tone lassen sich nun auch in Deutschland die ersten Stimmen über Spinoza vernehmen, zumeist Theologen, was um so bedauerlicher, als deren Einfluss an den meisten Universitäten den gesamten Lehrkörper beherrschte und die Studirenden, da die Bibliotheken allein den Professoren zugänglich waren, sich nur im Hörsaal über Spinoza unterrichten konnten. (Vergl. Tholuck, Vorgeschichte des Rationalis

§. 5. Rappolt.

Schon im Jahre des Erscheinens des theolog. - politischen Traktates, bevor noch der Name seines Verfassers bekannt war, eiferte dagegen der Leipziger Theologieprofessor Fr. Rappolt in einer Antrittsrede, die jedoch nicht schwer ins Gewicht fällt (,,Oratio contra Naturalistas habita ipsis Cal. Junii a. 1670 in opp. theol. Rappolti ed. Carpzov. Lpzg. 1693 p. 1383 sq.). Spinozas Werk kündigt er (p. 2162 sq.) an als pessimae notae liber, religionem non ad coelestis veritatis. normam, sed naturam et qualemcunque pacem atque utilitatem in Republica exigens", als ein Buch, welches die grundsätzliche Gleichstellung der offenbarten Religion mit der natürlichen verfechte.

$ 6. J. Thomasius.

Unter Berufung auf Rappolts Feldzugsplan gegen die Gottesleugner folgt diesem im Kampf gegen den „,naturalistischen“ Traktat sein Kollege von der philosophischen Fakultät Jakob Thomasius, Leibnizens Lehrer, mit einer Programmarbeit „Adversus anonymum de libertate philosophandi“ vom 8. Mai 1670 (in Jac. Thom. dissert. LXIII ed. Chr. Thomasius. Halle 1693 p. 571 sq. progr. L). Der Titel des Traktates fordere zwar dem Anscheine nach nur die Freiheit zu philosophiren, doch sei es in Wirklichkeit auf die zügellose Willkür abgesehen, zu glauben, was einem jeden beliebe. Eine Freiheit der Gedanken will Thomasius zwar zugestehen, aber nur so lange man sie bei sich behalte. Der Verfasser verfluche die Religion, welche nach ihm zum blossen Gehorsam und äusserlich anständigen Benehmen herabsinke. Gegenüber der von Spinoza gepriesenen Gleichheit all der vielen Konfessionen in Amsterdam lobt Thomasius die Glaubenseinheit der Leipziger Professoren, die zusammen nur eine Sekte bildeten. Jedenfalls aber dringt, wenn er sich auch manchmal zu Ausdrücken hinreissen lässt, wie „infame portentum" oder, nachdem ihm später Leibniz Spinoza als Verfasser des Traktates genannt, Exjudaeus blasphemus et formalis Atheus", seine duldsame Gesinnung zum Schlusse durch, wo er den Gegner mit den Worten anredet: „De exiliis et necibus quae dicis, ad ea respondeant pontificii; nos illa non feriunt, qui negamus religionis ergo vim esse cuiquam inferendam." Sehr zu beachten ist auch der Scharfsinn, mit welchem Thomasius ohne sonstigen Anhalt die Bekanntschaft Spinozas mit Hobbes und La Peyreres „Praeadamita“ richtig vermutet (a. a. O. p. 572. 574. 581).

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In der antispinozistischen Literatur der nächsten Zeit zeichnet sich durch eine rühmenswerte Gründlichkeit des Jenenser Professors Joh. Musaeus „Spinozismus h. e. tract. theol.-polit. . . . ad veritatis lancem examinatus“ aus („Meletem. academ.“ Jen. 1674 u. Wittenberg 1708). Diese Schrift des durch seinen Scharfsinn und seine freien Anschauungen berühmten Theologen galt bei den Zeitgenossen für die beste Widerlegung des Traktates, sie gehört auch, nach Colerus, zu den wenigen gegnerischen Schriften, welche Spinoza in seine Büchersammlung aufgenommen hat. Bei einem flüchtigen Einblick in das Werk lässt die Grobheit des Tones eine der damals so gewöhnlichen, kaum beachtenswerten theologischen Expektorationen vermuten. Die bekämpfte Schrift wird (p. 5.) charakterisirt als „, infelix sane et immaturus ingenii infelicis et immaturi foetus, quem tenebris Cimmeriis involvi, quam luce publica donari satius fuisset. Auctor lucifuga, etsi tenebrionum more latere, quam nomen suum profiteri maluit, fertur tamen esse Ben. Spinoza, natione Judaeus, sed ob opinionum, quas fovet, monstra anvay@joc, homo, ut res ipsa loquitur, perfrictae frontis, fanaticus, et a religione omni alienus." Bald darauf heisst es von Spinoza (§ 3),nullam ingenii vim, dolum nullum, nullas denique artes sinit intentatas, adeo quidem, ut iure merito quis dubitaverit, num ex illis, quos ipse Daemon ad divina humanaque iura pervertenda magno numero conduxit, repertus fuerit, qui in iis depravandis operiosior fuerit, quam hic impostor, magno ecclesiae malo, et rei publicae detrimento natus." Auch kargt Musaeus nicht (z. B. § IV) mit Titulaturen, wie „gottlos“ und „unverschämt." Geht man jedoch auf den Inhalt seiner Arbeit näher ein, so findet man eine fast pedantisch genaue Analyse der Schrift Spinozas. Paragraphenweise erörtert er, unter Angabe ihres Inhaltes, die Grundbegriffe, wie „Freiheit" (§§ 9-27), „Philosophie“ (§§ 6—8) u. s. w., wobei er jedoch trotz allen Strebens, sich in des Gegners Gedankengänge hineinzufinden, oft genug die Rolle des unparteiischen Kritikers mit der des Apologeten vertauscht, so in seiner Beurteilung der Spinozaschen Definitionen der Religion, im besonderen des Christentums, des Naturrechts und vor allem der Schriftauslegung. Spinozas Behandlung der Schrift ist nichts anderes als ein Philosophiren darüber und über die zur Sprache kommenden Gegenstände (p. 9); seine Gottlosigkeit zeigt sich in der Bestreitung der Göttlichkeit der Bibel (§ 69); nach seinen eigenen Forschungen (§ 44) ergiebt sich, im Gegensatz zu Spinozas Resultat, dass die Bibel

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