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ständigkeit diesem gegenüber bewusst. Schon 1802 hatte er (s. Fichtes Leben II, S. 369) an Fichte geschrieben, er gedenke keineswegs zuzugeben,,dass Spinoza unter seinem, noch dass er unter Spinozas Namen missdeutet" werde. Die beste Gelegenheit zu einer Erklärung gegen jenes inquisitorische Treiben bot sich ihm in der Entgegnung auf Jacobis herausfordernde Schrift,,Von den göttlichen Dingen". In dem ,,Denkmal", welches er (1812) der jesuitischen ,,Jgnoranzphilosophie", wie Lichtenberg Jacobis Schwärmerei bezeichnet hatte, für alle Zeiten gesetzt hat, heisst es (S. 9 f.):,,Ich habe" bereits ,,erklärt, dass Spinozism.us in einem gewissen Verstande die eine vorangehende, reale Seite aller wahren Philosophie sei . . Meine Lehre" ist,,spinozistisch, sofern der Mensch ein physisches Wesen, sobald es nicht bedeuten soll, er sei nur dieses". Seine Lehre, betont Schelling von nun an, ist nicht der Spinozismus selbst, sondern seine Ergänzung und Fortbildung. So heisst es in der „Philosophie der Offenbarung“ (S. W. Abt. II, Bd. 3, S. 159):,,Dieses einfach nothwendige Seyende, von dem Spinoza allein weiss, ist nicht Gott, wohl aber ist es ein Prius der Gottheit", und S. 162 f.: „Die Vernunft kann das Seyende, in dem noch nichts von einem Begriff, von einem Was ist, nur als ein absolutes Ausser-sich setzen . . die Vernunft ist daher in diesem Setzen ausser sich gesetzt, absolut ekstatisch. Und wer hätte nicht auch z. B. das Ekstatische des Spinozismus und aller von dem nothwendig Existirenden ausgehenden Lehren gefühlt! . . (Bd. 4 S. 342) Die Spinozistische Substanz ist ewig, ohne alle Voraussetzung, grundlos ewig, und doch ist sie nicht Gott."

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In der That ist Schellings philosophische" Lehre weit über das System Spinozas hinausgegangen. In genialer Konzeption hat sie nach den grossen Vorbildern eines Leibniz, Lessing, Herder den Spinozismus für die Auffassung der Natur, Kunst und Geschichte fruchtbar gemacht. Für die Mit- und Nachwelt aber hat Schelling die nicht hoch genug zu schätzende Bedeutung, nach allen Seiten hin die weitgehendsten Anregungen gegeben zn haben. Ein Goethe steht mit ihm, (s. Annalen 1798, S. 68 fg; 1799, S. 72; 1801, S. 79 der Cottaschen Ausgabe 1840) ebenso wie die Romantik, in innigstem Verkehr; Hegel mit seiner Schule ruht auf seinen Schultern; die moderne Naturbetrachtung (vgl. Wundt, Ethik Vorw. S. V) bewegt sich zum grossen Teil noch in seinen Bahnen.

Die Wirkung, welche Schellings glänzende Darstellung des Spinozismus auf jugendliche empfängliche Gemüter ausübte,

zündenden Kathedervortrag wesentlich verstärkt. Rosenkranz (Hegels Leben S. 160) und Platen wissen davon zu erzählen. Von Platens schwärmerischer Begeisterung für seinen Lehrer zeugen seine Dithyramben auf Schelling. (Sonette Bd. 2, S. 95: „An Schelling" in „Werke des Grafen Aug. v. Pl." 1847): „Du aber tauchst die heil'ge Bienenschwinge Herab vom Saum des Weltenblumenrandes

In das geheimnisvolle Wie der Dinge.

(S. 105) Wie sah man uns an deinem Munde hangen,
Und lauschen Jeglichen auf seinem Sitze,
Da deines Geistes ungeheure Blitze

Wie Schlag auf Schlag in unsre Seele drangen!
Wenn wir zerstückelt nur die Welt empfangen,
Siehst du sie ganz, wie von der Berge Spitze:
Was wir zerpflückt mit unserm armen Witze,
Das ist als Blume vor dir aufgegangen.

(S. 106, Nro. 26) Als ein Jahrhundert müde sank zu Grabe,
Und viel des Grossen uns zu Theil geworden,
Da tratst du auf, und gründetest den Orden
Der neuen Zeit, beinahe schon als Knabe!
Die Kunst vernahms, und griff zum Pilgerstabe,
Befreit durchzog zie alle Völkerhorden,

Der reiche Süden und der frische Norden
Verliehn ihr willig reiche, goldne Gabe."

So hatte also die Romantik nicht vergeblich an der Aufgabe gearbeitet, die Schlegel ihr in seiner,,Rede über die Mythologie" gestellt hatte. Auch Platens,,Der gläserne Pantoffel" zeigt an einzelnen Stellen den Einfluss der Philosophie Schellings, mit dem der Dichter schon als junger Student in Erlangen in innigstem Verkehr gestanden (a. a. O. Bd. I S. XI. XVIII, vgl. Pl.s poet. und litt. Nachlass, hrsg. von Minckwitz 1852 Bd. I. Brief vom 30. Dez. 1829).

§ 92. Steffens.

In keinem seiner Jünger aber hat Schelling ein so getreues Abbild gefunden, wie in Steffens. Von seinem Lehrvortrage gilt dasselbe wie von dem seines Meisters; der junge Börne (Ges. Schr. Ti. 17, Lpzg. 1847. S. 4 ff.) und Heinrich Laube (Ges. Schr. 1875, I S. 88 f.) haben sich auch einst davon berauschen lassen. In Steffens Selbstbekenntnissen (,,Was ich erlebte, Breslau 1841) erhalten wir, ähnlich wie bei Fessler, Einblick in ein vom Zweifel zerrissenes Gemüt, welches in Spinoza erst Heilung und Ruhe findet. Steffens hatte Kant

kennen gelernt. Doch füllte diese Schulphilosophie seinen Geist nicht aus, der Zwiespalt im Denken zwischen Theorie und Praxis machte ihn unglücklich. Da kam er, nach seiner Promotion, zu Spinoza; er las ihn ,,himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt." Der Sohn des ernsten Nordens, der schon frühzeitig in der Einsamkeit und Verlassenheit nach einem festen Halt für sein ganzes ungeteiltes Denken gesucht, fand hier die erlösende Botschaft. Jacobi, Fichte, Goethe und vor allem Schelling nährten das Feuer seiner Begeisterung.

Aus Jacobi lernte er zuerst (1797) Spinoza kennen. (a. a. O. III S. 260 ff.),,Diese Schrift hat nun Epoche in meinem Leben gemacht. Es war die erste Speculation, die alle schlummernden Gedanken in mir concentrirte und zum Ausbruche brachte. . Es war mir eine neue Welt aufgeschlossen, und dennoch glaubte ich, eine alte, mir längst bekannte, zu begreifen." (S. 275) Shakespeare und Goethe hatten einen heftigen Kampf in seinem Innern wachgerufen. ,,In einer solchen Zeit nun drang sich mir Spinoza auf. Das Exemplar der opp. posth., welches in so langer, einsamer Zeit mich mit der grössten Anstrengung beschäftigte, war mir mehrere Jahre hindurch teuer und bedeutend, ich konnte es fast nie ohne innere Wehmut betrachten; denn es rief mir Stunden zurück, die ich zu den wichtigsten meines Lebens rechnen muss... (276) Was Spinoza in Bewegung setzte, ... das konnte mir nicht fremd sein. Als ich mich in Bergen einsam und verlassen fühlte, von der Natur, die sich meinen Forschungen verschloss, von den Freunden, die sich zurückgezogen zu haben schienen, und von mir selbst, . da suchte auch ich einen Ruhepunkt, in welchem das ganze Dasein seinen unveränderlichen Stand und ewig durchsichtigen Mittelpunkt fände. . Was mir bis dahin erschien, als wäre es . . ein blosses Spiel des Scharfsinnes, trat jetzt als eine bedeutende Wissenschaft hervor.. Was gab uns denn nur dieses in sich geschlossene selbständige Erkennen, so wie es, von den Quellen des Handelns und Daseins abgetrennt, in hoher Vornehmheit dastand? - Der Formalismus der Schule, was war er, dem warmen Leben gegenüber? Das hatte mich, ich kann sagen, von meinen Knabenjahren an gequält. Dieses Zerrissensein in den innersten Tiefen des Daseins war mir das Entsetzlichste, was ich denken konnte, und keiner in der Welt war weniger als ich fähig, rein absolute Trennung einer theoretischen und praktischen Vernunft aus Ueberzeugung anzunehmen." Was wir Natur nennen, ist ja nur eine Erscheinung von etwas, was wir auch in unserem

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Kantischen Philosophie entfremdet. . (S. 283) Ich begriff, dass ein Geist, wie Lessing, nothwendig Spinozist werden musste. Alle früheren religiösen Erinnerungen waren verschwunden; .. (S. 284) Mit einer Begierde, die fast an Leidenschaft grenzte, die durch die religiöse Furcht, die sich noch im Hintergrunde meiner Seele erhielt, mich nur noch mehr reizte, ging ich an die Arbeit; . . mehrere Wochen hindurch war ich den Freunden unzugänglich.. ich wollte unter jeder Bedingung die Aufgabe lösen, die sich Spinozagestellt hatte. . . . Die sollte meine eigene werden, wie sie die seinige war Die ächt speculative Sprache war mir fremd. . (285) Ich denke mit einer Art von Schauder an diese Zeit, an die wunderbare geistige Einsamkeit, in welcher ich lebte, an die rastlose Anstrengung, die mich ergriff, und bei Tage und in der Nacht kaum einen Augenblick ruhen liess.. Rang ich doch, wie Spinoza selbst, nach absoluter Klarheit und Bestimmtheit.. Gesteht man mir irgend ein eigentliches, speculatives Talent zu, so muss ich gestehen, dass es Spinoza war, der es zuerst erweckte . . (S. 288) Die Spinozistische Gesinnung" besagt, dass das geistige Erkennen eben darin seinen Wert hat, dass es den Willen, je tiefer es in das Substantielle der Dinge eindringt, desto umfassender, nicht als einen particulären Willen allein, sondern als das Gemeinschaftliche Mehrerer, in dem Begriffe der Einheit der Perception aufnehmen wird; dass dieser sich immer erweiternde Wille, insofern er wieder ein Partikuläres findet, nicht ruhen kann, bis er von jedem Entgegengesetzten, also von jeder Affection befreit ist; dann wird er in der göttlichen Selbstgenügsamkeit ausruhen, aber auch als Wille verschwinden (S. 289) Wie Gedanke und Existenz im göttlichen Wesen, so waren Lehre und Gesinnung bei Spinoza so vollkommen eins, dass es ein vergebliches Bemühen wäre, sie in der Trennung zu fassen.. (290) Als ich überzeugt war, Spinoza ganz verstanden zu haben, bemerkte ich erst, wie viel ich verloren hatte. Die lebendige Natur, das bunte Leben schien mir erblasst und ergraut; hinter mir lagen alle Wünsche und Hoffnungen.. Doch lag so wenig eine Verzweiflung in der momentanen Entsagung alles dessen, was mich früher durchdrang und beschäftigte, dass vielmehr das vorübergehende Absondern sich in eine innere hoffnungsvolle Freude verkehrte, als hätte ich den tiefen classischen Boden aller freien Thätigkeit gefunden... (327) Wenn Spinoza wie ein alttestamentlicher Prophet nur das Christenthum des Erkennens in dunkeln Weissagungen verkündete, so fühlte ich jetzt," bei der Bekanntschaft mit Fichte,,,dass eine neue irdische Heimat.. sich mir geheimnissvoll und stille zubereitete." Nach

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der Lektüre der Schellingschen,,Ideen zu einer Philosophie der Natur" schreibt Steffens (S. 338) ,,Es war der entschiedene Wendepunkt in meinem Leben. Spinoza war ein Jude, und er hatte auch für mich im geistigen Sinne eine alttestamentliche Bedeutung. Er zeigte mir den in sich verborgenen Gott, dessen ewig wunderbares Gesetz einen unmittelbaren Gehorsam forderte. Ich erwartete, dass Gott sich gegen mich aufschliessen sollte... Jetzt war es mir, als vernähme ich den ersten bedeutenden Pulsschlag in der ruhenden Einheit". (S. 279),,Wie ganz anders", als Kants Philosophie,,trat mir die innere Bewegung einer Seele entgegen, die in ihrer Sehnsucht nach geistiger Ruhe sich der eigenen Forschung ernsthaft zuwendet, wie sie bei Spinoza erscheint.. Ich verglich" . . die „Einleitung" (zum tract. de emend. intell.) „zur Ethik mit der Einleitung zu Kants Kritik der reinen Vernunft, und der Gegensatz zwischen einem Schulthema, und einer aus allen Quellen des Daseins hervorstrebenden Speculation ward mir klar. Ich habe ja wohl auch von meiner frühesten Kindheit an gehört, dass das Erkennen mit dem Gewissen und die Demonstration mit der Erbauung nichts zu teilen habe, obgleich ich noch in meinen alten Tagen diese triviale Ermahnung als eine Belehrung habe hinnehmen müssen. Ich aber bewahrte das deutlichste Bewusstsein davon, dass man alle Tiefe des Lebens in sich bewahren müsse, selbst wenn man den Formalismus desselben als festen Denkprozess aufs schärfste aufzufassen und darzustellen suchte, so dass nur das Leere sich im Leeren spiegele. Hier nun trat mir ein Mann entgegen, der eben ein Mann im kühnsten Sinne des Wortes - sich, von den Fesseln des Denkens ergriffen, um jeden Preis befreien wollte, und zwar nicht theilweise, sondern ganz und durchaus. Zwar war er entschlossen, Alles hinter sich zu lassen, was ihn an das sinnliche Leben fesselte, um im sichern, unwandelbaren Centrum des Daseins Ruhe, Frieden und Freiheit zu finden: aber dieser kühne Entschluss war ihm nicht ein Schulthema, sondern eine innere Aufgabe des Lebens selber; nicht bloss eine Lehre, sondern ein Kampf des Lebens; eine reinigende Gesinnung, ja in seinem Sinne, inmitten der strengsten Form, ein fortdauernder Reinigungsprozess. Jetzt erst ward ich durch den Titel seiner Lehre überrascht, er nannte sie nicht Metaphysik oder Logik, sondern Ethik; sie sollte nicht bloss der Ausdruck einer Lehre, sondern der einer Gesinnung sein, und war es. Man hat ihn, sagte ich mir,,,Determinist“ genannt, und hier trat er mir entgegen als derjenige, der mit

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