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Strenger gehen zwei Philosophen der Schleiermacherschen Schule mit Spinoza ins Gericht. Helfferich (,,Spinoza und Leibniz" 1846, S. 41. 49) sieht im Spinozismus eine Verschlingung von Realismus und Idealismus, ohne dass der Knoten gelöst würde. Daher die mannigfache Deutung und Bezeichnung dieses Systems. Spinozas Substanz ist tot und keiner Entwickelung fähig. Insofern ist Leibniz sein vollkommenster Gegensatz, der durch die Verschiedenheit des Bekenntnisses tiefer begründet ist. Jedenfalls ist der Spinozismus keine christliche Lehre, wie manche wollen.

Ganz ähnlich urteilt Ritter an zahlreichen Stellen seiner Schriften.

Bei aller Anerkennung der Unvereinbarkeit des Spinozismus mit der christlichen Lehre, betont doch Fleck („System der christlichen Dogmatik. 1846, S. 59 ff. 64. 66. 70. 73) in seinem, an theologische Leser gerichteten Versuche, den Gegensatz zwischen der Theologie und der Zeitphilosophie zu söhnen, den grossen Einfluss Spinozas auf die neuere Dogmatik. Er stellt ihn über Schelling und nimmt ihn gegen diesen in Schutz, indem er Spinozas Substanz Selbstbewusstsein vindizirt. Dem starren Theismus gegenüber gibt Fleck dem Pantheismus Recht; doch formulirt er genau die Lehrmeinungen, in welchen sich dieser vom Christentume entfernt.

Dagegen hören wir in Wilh. Herrmann (Gesch. der protest. Dogmatik. 1842) wieder den ,,Redner über die Religion." Spinoza hat nicht allein auf die Theologie den wohlthätigsten Einfluss ausgeübt; er lehrt im wesentlichen auch nichts anderes als das Christentum. Ja, der sächsische Pfarrer Voigtländer hatte bereits ein Jahr zuvor in Spinoza einen dogmatischen Theisten sehen wollen, der Gott als das absolut Unendliche scharf von dem Sein der Welt geschieden.

Bald gingen auch die Theologen, wie Diestel und Siegfried, daran, die Verdienste Spinozas um die biblische Wissenschaft im einzelnen zu würdigen.

§ 91. Schelling.

Ganz ähnlich wie die Theologie durch Schleiermacher, erfuhr die Schulphilosophie durch das Auftreten Schellings eine durchgreifende Wandlung. Schon die ersten Beurteilungen seiner Identitätsphilosophie weisen auf ihre nahe Verwandtschaft mit dem Spinozismus hin. Am bestimmtesten betont diesen

Schmidt (Schl. u. Sp. S. 60) mit Recht in seiner atomistischen Auffassung der Spinozischen Kosmologie. Zwischen diesem und dem anderen Extrem, dem pantheistischen Monismus mit fast akosmistischer Färbung, schwankt Schleiermacher ebenso hin und her, wie schon Spinoza selbst.

Allein bei aller Polemik gegen Spinoza und trotz den Zugeständnissen an die Orthodoxie gehören doch die Grundlagen der Schleiermacherschen Weltanschauung Spinoza an: so sein Gottesbegriff, wenn ihm auch mehr Leben innewohnt als der Substanz der Ethik", als die Wurzel der Dinge, so seine deterministische Ethik mit der Leugnung der individuellen Unsterblichkeit als notwendiger Folge. Schleiermachers Werk ist also, ähnlich der Leistung Schellings, eine Ausfüllung des Rahmens, welchen Spinoza jeder künftigen systematischen Metaphysik vorgezeichnet, nur dass dieser das Material der Naturforschung entnimmt, während Schleiermacher die alten theologischen Begriffe in diese neue Form hineinarbeitet und ihnen damit neues Leben einflösst. Beide Stämme wurzeln gemeinsam in dem Dunkel der Romantik; doch die Früchte, die sie gezeitigt haben, sind die Elemente unserer modernen Bildung geworden.

$ 90. Schleiermachers Schule.

Seit Schleiermacher wird auch unter dem Einflusse seiner Schule der Ton in den theologischen Urteilen über Spinoza ein wesentlich anderer. So nahm der schweizer Pfarrer I. C. Romang in seinem „System der natürlichen Sittenlehre" (1841, S. 166. 170 f.) Spinoza wie überhaupt den Pantheismus gegen den Vorwurf des Materialismus in Schutz; allein den anderen, den das Atheismus, lässt er gelten und wendet sich selbst gegen die antireligiösen Konsequenzen jener Lehre. Doch zeigt er sich selbst drei Jahre später (,,Eine physiologische Ansicht von den sittlichen Dingen" in Ztsch. für Philos. Bd. 12 S. 1 ff.), unter Berufung auf sein System der natürlichen ReligionsLehre", in vielen Punkten auf Seiten Spinozas, besonders in der Auffassung des Seelenlebens und den Grundfragen der Ethik.

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Die Substanz Spinozas, als das schlechthin durch sich selbst Bestimmte, die causa sui, nimmt auch Rich. Rothe zur Grundlage seiner Spekulation. Sie ist wie bei Schelling und Weisse der indifferente Grund, aus welchem die beiden Entwickelungsweisen der Persönlichkeit und Natur zeitlos hervor

gehen.

Strenger gehen zwei Philosophen der Schleiermacherschen Schule mit Spinoza ins Gericht. Helfferich (,,Spinoza und Leibniz 1846, S. 41. 49) sieht im Spinozismus eine Verschlingung von Realismus und Idealismus, ohne dass der Knoten gelöst würde. Daher die mannigfache Deutung und Bezeichnung dieses Systems. Spinozas Substanz ist tot und keiner Entwickelung fähig. Insofern ist Leibniz sein vollkommenster Gegensatz, der durch die Verschiedenheit des Bekenntnisses tiefer begründet ist. Jedenfalls ist der Spinozismus keine christliche Lehre, wie manche wollen.

Ganz ähnlich urteilt Ritter an zahlreichen Stellen seiner Schriften.

Bei aller Anerkennung der Unvereinbarkeit des Spinozismus mit der christlichen Lehre, betont doch Fleck („System der christlichen Dogmatik. 1846, S. 59 ff. 64. 66. 70. 73) in seinem, an theologische Leser gerichteten Versuche, den Gegensatz zwischen der Theologie und der Zeitphilosophie zu versöhnen, den grossen Einfluss Spinozas auf die neuere Dogmatik. Er stellt ihn über Schelling und nimmt ihn gegen diesen in Schutz, indem er Spinozas Substanz Selbstbewusstsein vindizirt. Dem starren Theismus gegenüber gibt Fleck dem Pantheismus Recht: doch formulirt er genau die Lehrmeinungen, in welchen sich dieser vom Christentume entfernt.

Dagegen hören wir in Wilh. Herrmann (Gesch. der protest. Dogmatik. 1842) wieder den „Redner über die Religion.“ Spinoza hat nicht allein auf die Theologie den wohlthätigsten Einfluss ausgeübt; er lehrt im wesentlichen auch nichts anderes als das Christentum. Ja, der sächsische Pfarrer Voigtländer hatte bereits ein Jahr zuvor in Spinoza einen dogmatischen Theisten sehen wollen, der Gott als das absolut Unendliche scharf von dem Sein der Welt geschieden.

Bald gingen auch die Theologen, wie Diestel und Siegfried, daran, die Verdienste Spinozas um die biblische Wissenschaft im einzelnen zu würdigen.

§ 91. Schelling.

Ganz ähnlich wie die Theologie durch Schleiermacher, erfuhr die Schulphilosophie durch das Auftreten Schellings eine durchgreifende Wandlung. Schon die ersten Beurteilungen seiner Identitätsphilosophie weisen auf ihre nahe Verwandtschaft mit dem Spinozismus hin. Am bestimmtesten betont diesen

Vorwürfe zu verteidigen und folgte dabei der Fechterregel: die beste Deckung ist der Hieb. Ohne tieferes Verständnis für Spinoza oder für die Bedeutung Schellings eifert Herbart, wie gegen Fichte, Schleiermacher und die Romantiker überhaupt, ganz besonders gegen die Identitätsphilosophie. In einer Skizze über „Spinoza und Schelling" (1796. S. W. Ausg. Hartenstein. 1852. Bd. 12 S. 7) nennt Herbart Schellings Lehre „das offenbare Gegenstück des Spinozismus, welchen, so verschieden auch sonst ihre Systeme sind, Fichte, Schelling, Maimon und Jacobi für die consequenteste und vollendetste Darstellung des Dogmatismus gelten lassen". Er erklärt sich die Genesis der Schellingschen Philosophie damit (S. 8), dass Schelling „Spinoza sehr sorgfältig studirt, das Irrige desselben eingesehen hatte. . . Was war natürlicher, als dass er von einem Extrem philosophischer Einseitigkeit zum andern überging, zudem, da auch Kant und noch mehr Fichte einen solchen Uebergang einigermassen zu begünstigen schienen. Daher ist fast jede seiner Behauptungen ein Gegensatz gegen ein bestimmtes Theorem des Spinozismus."

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Gegen Schelling richtet sich zum Teil auch der, schon in schärferem Tone gehaltene Bericht über meinen Streit mit der Modephilosophie dieser Zeit (1814 a. a. O. S. 205 f.), der sich über die Verwirrung empört, welche Leute, „die eigentlich zu Literatoren getaugt hätten, und sich in Plato, Spinoza, Fichte vertiefen“, in der Philosophie anrichten. Diesen Vorwurf hatte er Schelling, den er noch immer als Schüler Fichtes betrachtet, und der es „in der Polemik viel weiter als in der Philosophie gebracht hat," bereits ein Jahr vorher gemacht („Ueber die Unangreifbarkeit der Sch.schen Lehre 1813. S. W. Kehrbach, Bd. 3 S. 252), indem (S. 256) ,,die Systeme von Plato, Spinoza und Fichte im Geiste gänzlich verschieden sind und nur durch die gewaltsamen Entstellungen, durch das Aufhaschen zufälliger Aehnlichkeiten einander näher gerückt werden können.“ Das heisst nach seiner Meinung (S. 258),,,die allerschneidensten Gegensätze für einerley.. zu erklären, und hiemit den gröbsten, härtesten, unverzeihlichsten aller Widersprüche zum Ausgangspunkte der Weisheit. . machen; welches denn eben nicht besser ausgeführt werden kann, als von Spinoza oder von Schelling geschehen ist." Nicht umsonst fällt Schellings Auftreten in die Zeit der Stürmer und Dränger, „wo man sich an die Schrecken der französischen Revolution gewöhnt hatte.“ (S. 251) „Mit einem derben, aber nicht unwahren Ausdrucke könnte man sie die Periode der unruhigen Köpfe nennen.“

In Herbarts Allgem. Metaphysik" (1828. Tl. I S. 138)

erscheint Schelling bereits als direkter Fortbildner Spinozas, der die Kluft zwischen dem Unendlichen und der Endlichkeit, the sein Meister unüberbrückt gelassen, auszufüllen sucht. (S.155) Man werfe nur die gemeinsten Erfahrungen ohne weiteres Nachdenken mit so viel wahrer oder falscher Speculation zusammen, als man nun gerade angestellt hat; so lassen sich Systeme im Geiste des Spinoza höchst bequem nach den Kenntnissen jedes Zeitalters anfertigen; wie man dies heut zu Tage aus vielen Proben weiss. Eine solche Metaphysik als histosche Thatsache dauert noch jetzt unter uns fort; sonst hätten nicht Ursache, uns auf den Spinozismus so weitläufig einplassen.“ Noch 1831 Kurze Encyklopädie der Philosophie S. 277)

Herbart für die älteren Systeme ein, welche der idealisische Irrthum der letzten Decennien" schwächer erscheinen asse, als sie in Wahrheit sind. Zum letzten Male greift er, is man auf die Aehnlichkeit seiner Freiheitslehre mit der Spinozischen hingewiesen hatte, zum Schwerte gegen den nozismus, „der jetzt auf allen Kathedern, und aus allen geennen Zeitungen redet" ..Zur Lehre von der Freiheit des menschl. Willens" S. W. Hartenst. Bd. IX S. 61.

Früh hatte auch schon Fichte in ihrem Briefwechsel über te Wissenschaftslehre F.s Leben.. hrsg. v. J. H. Fichte Bd. S. 357) den ihm vorgeworfenen Spinozismus auf die Schultern seines Schülers Schelling gewälzt. Dass das AbSite unter der Form der quantitativen Differenz existire“, ist freilich, was Sie behaupten. Ebenso thut Spinoza und Iberhaupt aller Dogmatism und dieses ist das zootov bebdo; desselben. Das Absolute wäre nicht das Absolute, wenn es ter irgend einer Form existirte.“

Ein anderer Freund Schellings, Franz Baader, der einst mit m zusammen den Spinoza studirt hatte (s. Jodl, Gesch. d. Ethik II 140% war schon 1806 (S. W. 1851 hrg. v. Fr. Hoffmann 52. 2. Einl. p. XXIII mit Schelling unzufrieden, weil dieser ich immer nicht von dem ..dürren Magister" loskommen könne, ness Bibme schon lange vor Spinoza so ganz andere Tiefen Der Erkenntnis erschlossen habe. Er glaubt, dass sich Schellings bene vel reicher entwickelt hätte, wenn er sogleich, statt von pinoza, von Böhme ausgegangen wäre (s. B.s Philos. Schriften nd Aufsätze, Münster 1831-32. II S. 358). Sein Zureden half schliesslich doch.

Von gegnerischer Seite erschien 1811 Jacobis ..Von den lichen Dingen" (S. 127 und Beilage A. S. 193, 196, 198). der in Kant den Begründer eines zweiten Spinozismus und in

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