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in Jacobis Munde einer Beschuldigung des Atheismus gleich kam. Das,,Denkmal", welches Schelling in seiner treffsicheren Gegenschrift Jacobis Treiben setzte, hat mit dieser Ketzerriecherei in der deutschen Literatur gründlich aufgeräumt.

In bunter Reihenfolge lösen sich in den nächsten Jahren Herbartianer, wie Jäsche und Drobisch, mit Baaderianern, wie Schlüter und Hoffmann, in der Verurteilung Schellings ab. Hier und da tönt auch noch eine andere Stimme, wie Hinrichs, dazwischen.

Zur Freude dieser seiner Erbfeinde erstand nun aber Schelling aus seiner eigenen Saat in Hegel und seinem Anhang der gefährlichste Gegner.,,Der Eindruck", so berichtet Chalybaeus (,,Historische Entwickelung". . 1837, S. 290),,,welchen Schellings Philosophie auf das Zeitalter machte, war bei dem grössten Teile der mitphilosophirenden jüngeren Genossen der einer glänzenden, ja blendenden Erscheinung, bei anderen, vornehmlich den älteren, der einer ausschweifenden Phantasmagorie". Unter Schellings Schülern war es Hegel allein, der die Lehren des Meisters in ein festes System brachte und deshalb von Schelling selbst sein,,Wolff" genannt wurde, während,,die zahlreichen übrigen Verehrer Schellings, welche, in dem neuen Lichte schwelgend. ., nur zum Genusse eilten. ." und,,darüber in der Hast die Leuchte selbst beinahe wieder umgestossen hätten." Die Besonneneren schlossen sich Hegel an. Daher der grosse Einfluss seines Urteils im allgemeinen sowohl, als auch über Schellings Spinozismus (Gesch. der Philosophie III S. 650, 662, 665 u. a.), das wir denn auch, mit geringen Verschiedenheiten, bei Heine, Michelet, Erdmann wiederfinden. Objektiver und vorsichtiger urteilt Fleck, während Orelli von dem Urteil der Hegelschen Schule nicht weit abweicht, aber zugleich dieser sowie auch Schelling die hochmütige Behandlung Spinozas vorwirft, den sie beide missverstanden haben.

Dicht hintereinander folgen sodann ein Hegelianer und zum ersten Male ein Schüler Schellings, als Verteidiger des Meisters. Bei Oischinger (,,Speculative Entwickelung der Hauptsysteme. . I S. 201),,stimmt" noch die absolute Identitätsphilosophie dem Wesen nach mit der Spinozischen Lehre überein". Dagegen betont Bauerheim (,,Schellings Monotheismus" in Theol. Stud. u. Krit. 1854, S. 603 ff.) Schellings Monotheismus. Spinoza ist nur mit der Logik an die Substanz herangekommen. (S. 623) „Erst bei Schelling wurde das Verhältnis ein absolut immanentes, denn er hob alle Subjectivität des Denkens auf" (vgl. S. 626).

Eine ähnliche Rolle weisen auch Schaarschmidt und Ritter dem Identitätslehrer zu. Besondere Beachtung verdient Ritters Hinweis auf die Beziehungen Schellings zu Herder (Christl. Phil. II S. 623), die erst etwa ein Jahrzehnt später Hettner (Ltrgesch. III 2 S. 83) in ihrer vollen Bedeutung gewürdigt hat. Er findet die Keime der Naturphilosophie in Herders „Gott", und zwar gerade in denjenigen Stellen am meisten, in welchen Herder, ohne dass er es wusste, selbstschöpferisch von dem urkundlichen Wortsinne Spinozas abging." Im übrigen hält Hettner (S. 441) „Fichte und die unermessliche Fülle der neu zuströmenden naturwissenschaftlichen Entdeckungen für „hinreichend zur Erklärung der Schellingschen Naturphilosophie". Auch gewann er der Schellingquellenforschung eine neue Seite ab, indem er die Naturphilosophie im Rahmen der Romantik betrachtete. Schon Julian Schmidt hatte Schelling zu der schönen Literatur, besonders zu Goethe, in Beziehung gesetzt; Schwarz hatte in seinem „Lessing" (S. V) in der modernen Spekulation „nicht sowohl einen Gegensatz gegen die Romantik, denn als eine Fortsetzung und Abzweigung derselben" gesehen und diese gesamte Bewegung auf Herder zurückgeführt (S. 64); nach Ritter (Chr. Phil. S. 740) ist in dem Uebergange von Fichte zu Schleling die Blüte der älteren romantischen Schule zu finden, „deren Einfluss auf die deutsche Literatur den weitesten Umfang bezeichnen kann, in welchem die Gedanken der absoluten Philosophie sich geltend zu machen wussten." Hettner (S. 236) und etwa um dieselbe Zeit Haym gehen nun in ihren Darstellungen einen Schritt weiter, indem sie Schelling ganz und gar in den romantischen Kreis hineinziehen. Wenn auch Schellings Auffassung der Natur nicht gerade von Novalis herzuleiten ist, so sind doch die Folgen der gegenseitigen Anregung im engen Verkehr mit diesem und anderen Romantikern an dem Romantiker der Philosophie" deutlich wahrnehmbar. „Schellings Schrift von der Weltseele (1798) ist mit Novalis' Entwurf des Lehrlings zu Sais" ganz gleichzeitig; gleiche Ursachen erzeugen gleiche Wirkungen“. Schelling geht auch in seiner weiteren Entwickelung Schulter an Schulter mit den Romantikern „von Spinoza und Fichte zu Jacob Böhme, mit ihnen wird er aus einem Philosophen ein Mystiker." In demselben Sinne behandelt auch Haym (,,D. romant. Schule" S. 564 ff.) unsere Frage.

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Damit waren die Hauptmomente zusammengetragen, durch welche der Schellingsche Spinozismus seine Erklärung findet,

Die späteren Darstellungen schliessen sich, wie die bei Pfleiderer und Jodl, mit geringen Unterschieden diesen Vorarbeiten an.

Während noch Dühring (,,Krit. Gesch. d. Philos. 1869, S. 433) in Schelling,,die Vermischung der verhältnismässig klaren Vorstellungsart Spinozas mit den Consequenzen des träumerischen Idealismus und den pantheistischen Ausgeburten der Theosophie" verurteilt und D. Fr. Strauss (,,D. alte und neue Glaube, S. 121), als Hegelianer, auch nur,,in der Identität des Realen und Idealen die Spinozische Substanz mit ihren beiden Attributen" wiederfindet, hatte schon Baumann (,,Die Lehren von Zeit und Raum . "1868/9, S. 236) wenigstens darauf hingewiesen, dass doch Schelling,,nicht mehr mit mathematischen, sondern mit physikalischen und chemischen und organischen Analogien" operire.

Dass dies nur ein einzelnes Merkmal eines viel tieferen Unterschiedes zwischen dem Schellingschen Spinozismus und dem geschichtlichen Spinoza ist, leuchtet bei objektiver Forschung leicht ein. Dies hat denn auch Falckenberg (Gesch. d. neueren Philos. S. 357) mit Recht hervorgehoben, der in Schellings Lehre einen ähnlichen Leibnizianischen Spinozismus sieht, wie in Lessing und Herder, und ebenso richtig in dem Vorwiegen des Idealen über das Reale eine Nachwirkung der Fichteschen Schule erblickt. Nur gilt das Urteil nicht für alle Perioden der Fichteschen Philosophie in gleichem Masse.

Schon in früher Jugend hatte Schelling mit seinen Freunden Hölderlin und Hegel für Spinoza geschwärmt. In einer seiner ersten Schriften,,Ueber die Möglichkeit einer Philosophie überhaupt" (1794) nimmt er auf ihn bezug, doch tritt hier Spinoza hinter Leibniz zurück. (S. W. 1856. S. 102) „Auch" Descartes' ,,Schüler Spinoza fühlte dies Bedürfniss, der Form des menschlichen Wissens überhaupt eine Grundlage zu geben; er trug die Urform des Wissens aus seinem Ich heraus über einen von diesem ganz verschiedenen und unabhängigen Inbegriff aller Möglichkeit Leibniz war es, der die Form des unbedingten Gesetztseyns aufs Bestimmteste als Urform alles Wissens aufstellte."

Auch weiterhin ist noch von dem,,grossen" Leibniz, doch nicht mehr von Spinoza die Rede. Ein Exemplar dieser Schrift verehrt Schelling seinem Freunde Pfister mit einer Widmung aus Spinoza. Nach Empfang der ,,Grundlagen der Wissenschaftslehre" schreibt er an Hegel:,,Ich arbeite nun an einer ,,Ethik à la Spinoza . ." Schon die geschlossene Form des Spinozischen Svetoms gewinnt ihn, besonders durch den Gegensatz zu Leib

nd den kantisirenden Theologen, für den

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Spinozismus. In einem Briefe an Hegel vom 4. Febr. 1795 erklärt er, dass und in welchem Sinne er Spinozist geworden (Aus Schellings Leben I S. 76. 77).

In demselben Gedankenkreise bewegt sich Schellings Schrift ,,Vom Ich" (1795). Schelling selbst urteilt später, in dem Vorwort zur Sammlung seiner philosophischen Schriften vom Jahre 1809, darüber: ,,Sie zeigt den Idealismus in seiner frischesten Erscheinung und vielleicht in einem Sinn, den er späterhin verlor. Wenigstens ist das Ich noch überall als absolutes oder als Identität des Subjektiven und Objektiven, nicht als subjektives genommen." In der That ist von einem Einflusse der Wissenschaftslehre Fichtes, von der Schelling bei der Abfassung seiner Schrift nur die ersten Bogen in Händen hatte (Aus Schs. Leben I S. 59), darin nichts zu merken. (S. W. I S. 184) „Es hat," so heisst es hier, ,,das consequenteste System des Dogmatismus, das Spinozistische, sich gegen nichts. stärker erklärt, als dagegen, dass man die einige, absolute Substanz für ein Ens rationis, für einen abstrakten Begriff_halte........ ,.Was geht über die stille Wonne dieser Worte," bemerkt Schelling zu Ethic. 1. II p. XLIII schol.,,,das ˆE› zai zā› unseres besseren Lebens?" (S. 193),,Im Ich hat die Philosophie ihr ́Ev zai zāv gefunden, nach dem sie bisher als dem höchsten Preise des Siegs gerungen hat.“ (S. 194) „Spinoza war es, der vorher schon jenen Urbegriff der Substantialität in seiner ganzen Reinheit gedacht hatte. . . Man bewies ihm nicht, dass diese unbedingte, unwandelbare Urform alles Seyns nur in einem Ich gedenkbar sey. Man hielt ihm den abstrahirten Begriff von Substantialität der Erscheinungen entgegen Man suchte also, das Unbedingte durchs Bedingte zu widerlegen. Der Erfolg ist bekannt. (S. 195 § 14),,Die absolute Macht der einzigen Substanz ist ihm (Sp.) das Letzte, ja vielmehr das Einige. . Ihr Wesen selbst ist nur diese Macht. Diese erhabenste Idee im System Spinozas fand man nicht nur theoretisch falsch, sondern auch durch praktische Gründe widerlegbar. Diese Idee, sagte man, hebe alle Begriffe von freier, obwohl durch Gesetze bestimmter Weisheit auf, weil man sich nämlich einerseits nicht zu der reinen Vorstellung einer absoluten Macht, die nicht nach Gesetzen ausser sich, sondern nur durch die Gesetze ihres Seyns, durch ihr Seyn selbst, als solches handelt, erhoben hatte, und andererseits, weil man nicht bedachte, dass jener Begriff von Weisheit, da er nur unter der Voraussetzung einer Einschränkung denkbar ist, selbst ein Unding seyn müsste, wenn nicht als das letzte

Schmidt (Schl. u. Sp. S. 60) mit Recht in seiner atomistischen Auffassung der Spinozischen Kosmologie. Zwischen diesem und dem anderen Extrem, dem pantheistischen Monismus mit fast akosmistischer Färbung, schwankt Schleiermacher ebenso hin und her, wie schon Spinoza selbst.

Allein bei aller Polemik gegen Spinoza und trotz den Zugeständnissen an die Orthodoxie gehören doch die Grundlagen der Schleiermacherschen Weltanschauung Spinoza an: so sein Gottesbegriff, wenn ihm auch mehr Leben innewohnt als der Substanz der „Ethik", als die Wurzel der Dinge, so seine deterministische Ethik mit der Leugnung der individuellen Unsterblichkeit als notwendiger Folge. Schleiermachers Werk ist also, ähnlich der Leistung Schellings, eine Ausfüllung des Rahmens, welchen Spinoza jeder künftigen systematischen Metaphysik vorgezeichnet, nur dass dieser das Material der Naturforschung entnimmt, während Schleiermacher die alten theologischen Begriffe in diese neue Form hineinarbeitet und ihnen damit neues Leben einflösst. Beide Stämme wurzeln gemeinsam in dem Dunkel der Romantik; doch die Früchte, die sie gezeitigt haben, sind die Elemente unserer modernen Bildung geworden.

$ 90. Schleiermachers Schule.

Seit Schleiermacher wird auch unter dem Einflusse seiner Schule der Ton in den theologischen Urteilen über Spinoza ein wesentlich anderer. So nahm der schweizer Pfarrer I. C. Romang in seinem „System der natürlichen Sittenlehre" (1841, S. 166. 170 f.) Spinoza wie überhaupt den Pantheismus gegen den Vorwurf des Materialismus in Schutz; allein den anderen, den das Atheismus, lässt er gelten und wendet sich selbst gegen die antireligiösen Konsequenzen jener Lehre. Doch zeigt er sich selbst drei Jahre später („Eine physiologische Ansicht von den sittlichen Dingen" in Ztsch. für Philos. Bd. 12 S. 1 ff.), unter Berufung auf sein „System der natürlichen ReligionsLehre“, in vielen Punkten auf Seiten Spinozas, besonders in der Auffassung des Seelenlebens und den Grundfragen der Ethik.

Die Substanz Spinozas, als das schlechthin durch sich selbst Bestimmte, die causa sui, nimmt auch Rich. Rothe zur Grundlage seiner Spekulation. Sie ist wie bei Schelling und Weisse der indifferente Grund, aus welchem die beiden Entwickelungsweisen der Persönlichkeit und Natur zeitlos hervor

gehen.

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