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Vollkommenheit, das ist die Reaktion dieses Elementes, der Seele, das ist das Resultat dieses Prozesses. Es ist also unsere eigene Schuld, wenn wir die Vollkommenheit, das Göttliche uns nicht immer mehr und mehr zu eigen machen, wozu uns doch, wie wir sahen, der Selbsterhaltungstrieb selbst unablässig anleitet. Und was in uns irrt und sündigt, das sind wir selbst, nicht Gott, der uns ja mit diesem unserem mächtigsten Triebe an sich zieht.

Somit müssen uns Fragen, wie: Giebt es eine Vorsehung? Giebt es eine göttliche Gerechtigkeit? schon an und für sich sündhaft erscheinen. Denn die Liebe, die wir fühlen, die Gerechtigkeit, die wir walten lassen, was sind sie anderes, als schwache Versuche, eben nach dem göttlichen Ideal uns zu bilden. Nicht Spinoza, sondern der landläufige Theismus ist es, der den Schöpfer von seinem Geschöpfe möglichst fern halten möchte, der Gott und Mensch auseinanderreisst. Sie zu vermengen, grob sinnlich verstanden, davon ist auch Spinoza weit entfernt. Auch er lehrt einen übernatürlichen Gott in dem Sinne, dass wir unter „Natur“ die Gesamtheit der geschaffenen Dinge verstehen, von welcher wir das Schaffende streng zu unterscheiden haben. Gerade Spinoza ist vom Pantheisten, der die Gottheit in der Welt aufgehen lässt, so weit entfernt, dass er manchem in den entgegengesetzten Fehler, die Welt der Gottheit zu opfern, in den Akosmismus, zu verfallen scheinen konnte. Beides heisst aber nur, den Spinozismus aus dem Gleichgewicht bringen, indem man einseitig bald das eine, bald das andere Ende betont.

Aehnlich steht es mit der Hervorhebung individualistisch erscheinender Partien in diesem System. Gewiss, es ist der einzelne Menschengeist, in dem dieser ganze Bau sich erhebt, es ist das Individuum, in dem sich die Gottheit entfaltet, so weit si əin dieser Kombination sich entfalten kann, aber eben nur so weit, d. h. etwa wie im Sonnenstäubchen das Weltall. Und das Sich-Ausleben des freien Individuums bei Spinoza, die Verwerfung der Zwecke, der Normen heisst nicht, der zügellosen Willkür, den niederen Trieben das Wort reden, sondern es ist gerade die göttliche Freiheit, welcher in der Gotteserkenntnis und liebe Zweck und Beweggrund, Ziel und Trieb sammenfallen. Spinozas Lehre ist also weder Pantheismus, noch Atheismus, noch Individualismus, sondern eben Spinozismus. Alle anderen Auffassungen des Spinozismus halten sich an bestimmte Einzelheiten und werden darum nie dem Ganzen gerecht. Man denke bei der Beurteilung dieser Lehre stets

zu

sophie des Spinoza ist wie das Hebräische eine Schrift ohne Vokale." Das ist sie allerdings, und darum vergesse man nie, dass solche unpunktirte Texte ganz besonders aus dem Zusammenhang des Ganzen erklärt werden müssen, will man ihren Sinn nicht verfehlen. Und diese Ehrlichkeit, ihn verstehen zu wollen, sind wir jedem Autor schuldig, sollte auch unser eigener Standpunkt ein ganz anderer sein.

Dies etwa ist im grossen und ganzen das System des Spinozismus nach der „Ethik" und z. T. nach der „Abhandlung über die Läuterung des Verstandes," ein System, dessen Einkleidung vom, streng logischen Standpunkt aus manchen Tadel verdient, ja das an sich schon vor dem Forum des strengen Kritizismus nicht stand hält, aber es ist jedenfalls ein in sich fest geschlossenes Ganzes. Und in dieses Ganze lassen sich zwanglos die Gedankengänge eingliedern, welche Spinoza in seinen anderen Schriften verfolgt.

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Der theologisch-politische Traktat" zunächst ist eine Schutzschrift der freien Forschung, vermutlich Spinozas selbst, gegen die Uebergriffe der Religion. Sowie die Philosophie nichts mit der Religion, als solcher, zu thun hat, so darf sich auch die Religion, oder besser die Kirche, nicht in die Fragen der Philosophie hineinmengen. Ebenso wenig darf sich der Staat, wie er seinerseits kein Machtwort in Fragen der Religion zu beanspruchen hat, von der Religion beherrschen lassen. Die Autorität, welche die Kirche für sich fordert, entbehrt durchaus jeder festen Grundlage. Dies versucht Spinoza durch eine Kritik der angeblichen Stützen dieser Autorität nachzuweisen. Er wird hierbei, wie er in der Ethik als Naturforscher auftritt, zum Philologen, zum Begründer der modernen Bibelkritik und zum Pädagogen, der in der Offenbarung die grosse Erzieherin eines ganzen Volkes sieht.

Der „politische Traktat" sodann setzt z. T. das Werk des theologisch-politischen fort, indem dieser bereits die Politik streift, dann aber auch, indem Spinoza, wie hier die Freiheit der Forschung gegen die Kirche, so im „politischen Traktat“ gegen den Staat verficht. Vor allem aber ist dieses Bruchstück äusserlich, indem es die Ethik als bekannt voraussetzt, sowie innerlich eine Ergänzung der Ethik. Wie diese das Sittengesetz, so vielen ein Zwang, gerade als die Befreiung von allem Zwange darstellt, indem, recht verstanden, unser Naturtrieb nichts anderes erstrebt, als dieses Gesetz, so zeigt der „politische Traktat", dass auch der Staat, ein Naturerzeugnis ist, indem das Leben im Staate, in der bürgerlichen Gemeinschaft, so vielen eine Freiheitsberaubung, gerade den Selbsterhaltungs

trieb am meisten fördert und der wahren Freiheit den weitesten Spielraum schafft.

Dem entsprechend muss natürlich auch die Verfassung des Staates eine solche sein, welche diese Bildung des natürlichen Individuums zur sittlichen Freiheit möglichst begünstigt. Diese Staatsform ist, nach dem politischen Traktat, die Demokratie, während Spinoza jedoch, wie besonders seine Verehrung für Karl Ludwig von der Pfalz zeigt, auch den Vorzügen einer liberalen Monarchie nicht die Augen verschliesst.

Damit sind die wesentlichen Punkte angedeutet, an welche die Entwickelung des Spinozismus anknüpft, und auf die wir darum im Folgenden immer wieder werden zurückkommen müssen.

Einleitung.

Die Geschichte des Spinozismus ist die Geschichte des modernen Bildungsgedankens. Nicht als ob erst in Spinoza sein Ursprung zu suchen wäre. Man hat nach seinen Wurzeln in der Scholastik, ja selbst in antikem Boden gegraben, und nicht umsonst hat eine frühere Zeit einen „Spinozismus vor Spinoza“ bei den alten Denkern des Ostens wie des Westens und weiterhin stets da entdecken wollen, wo der Mut der freien Ueberzeugung seine Blutzeugen gefunden. Dass sich jedoch diese Weltanschauung in den letzten zwei Jahrhunderten gerade an diesen Namen knüpft, ist darin begründet, dass Spinoza zuerst und am vollkommensten allen Forderungen des modernen Denkens gerecht geworden, dass er all die Gegensätze, in welchen es sich bewegt, Hellenismus und Judaismus, Atheismus und Akosmismus, Individualismus und Pantheismus, Atomistik und Substanzlehre mit sicherer Hand, ohne jegliche dogmatische Voraussetzung oder äussere Rücksicht, zu einem einheitlichen Ganzen rein menschlichen Denkens mit einander vereint.

Der Spinozismus bildet somit bereits ein in gewissem Sinne abschliessendes Ergebnis der geistigen Entwickelung der Menschheit, sowie im Seelenleben des einzelnen. Das kindliche Vertrauen auf Autoritäten hört auf, wo der Verstand zu eigenem Leben geweckt wird. Seine Selbständigkeit bekundet sich zunächst in dem verzehrenden Zweifel an allem, was er bisher hinter willkürlichen Schranken hatte wähnen sollen. Sein Halt ist ihm entzogen, der naive Optimismus weicht dumpfer Zerrissenheit. Doch der Zweifel ist auf die Dauer unmöglich. Das schwankende Herz sucht nach einem unerschütterlichen Angelpunkt seines Denkens und Fühlens in seinem eigenen

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