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derthätigkeit Gottes und nicht minder die auf die Erkenntniß der göttlichen Endabsichten gestüßten Gottesbeweise verwerfend, gründet dieses Buch den Beweis für das Dasein Gottes ausschließlich darauf, daß die Bewegung der Stoffwelt einen Beweger zur Ursache haben müsse; und zwar einen allmächtigen und allweisen, da sich aus der wissenschaftlichen Naturbeobachtung unwiderleglich ergebe, daß im Haushalt der Natur für jeden Zweck immer nur der möglichst geringste Aufwand an Mitteln verbraucht werde; ein Geseß, welches Maupertuis „la loi de la moindre quantité" nannte. Und ebenso schrieb er einen „Essai de philosophie morale", welcher, wohl wissend, daß es darauf ankomme zu zeigen, wie mit der Zerstörung der christlichen Glaubenslehre nicht auch die christliche Sittenlehre zerstört sei, die Weisheit des Lebens in die Erreichung der Glückseligkeit und diese Glückseligkeit in die Empfindung und Ausübung der vom Christenthum gelehrten allgemeinen Gottes- und Nächstenliebe seßt. Wie dort den Spuren Newton's, so folgte er hier den Spuren Locke's.

Aber allerdings verblaßte Maupertuis' Ruhm frühzeitig. Neben ihm erstand ein rüftigerer Sinnesgenosse und Mitkämpfer. Voltaire hatte sich schon 1732 in den englischen Briefen als emfiger Parteigånger Newton's gezeigt. Und, obgleich inzwischen wieder mit Vorliebe zur Dichtung zurückgekehrt, hatte er diese Studien doch nie außer Acht gelassen. Besonders hatte er sie auf dem Schlosse zu Cirey in Gemeinsamkeit mit seiner gelehrten Freundin, der Marquise du Chatelet, wieder lebhaft ergriffen; Maupertuis selbst, welcher sich einige Zeit ebenfalls in Cirey aufhielt, hatte sie unterstützt. Im Jahre 1738 veröffentlichte Voltaire seine „Elémens de la philosophie de Newton"; sie entwickelten klar, lebendig und geistvoll, was Maupertuis nur trocken und streng lehrhaft entwickelt hatte. Und Maupertuis selbst stellte sich sehr empfindlich bloß. Er war von jeher sehr eitel gewesen. Grimm erzählt in der literarischen Correspondenz aus dem Jahre

1766, daß seine ungemessene Ruhmsucht sogar so weit ging, in Allem den Sonderling zu spielen und auf Spaziergången und an öffentlichen Orten durch bunte und abstechende Tracht Aufsehen zu erregen. Diese kleinliche Eitelkeit wurde um so gereizter, je mehr er seinen Stern im Sinken sah. Als ihm sein früherer Freund, der Professor König im Haag, sein vermeintlich neues Gesetz von der kleinsten Wirkung streitig machte und die Entdeckung desselben für Leibniz in Ansprach nahm, ließ ihn Maupertuis von der Mitgliedschaft der Berliner Akademie ausstoßen. Und schriftstellerisch suchte er durch wahnwißige Absonderlichkeit zu ersehen, was ihm an gediegener Leistung abging. In einer kleinen Schrift „Sur les progrès des sciences" machte er in allem Ernst den Vorschlag, ein Loch bis in den Mittelpunkt der Erde zu graben, um ihre innere Beschaffenheit zu ergründen. Ja, zum Frommen der Seelenlehre wollte er sogar das Gehirn einiger Patagonier und Verbrecher öffnen. Voltaire, nunmehr ebenfalls am Hofe Friedrichs des Großen lebend, hatte sich mit Maupertuis tödtlich verfeindet; eitle Menschen stoßen einander ab. Voltaire schrieb einige vernichtende Satiren gegen ihn. Ohnehin schwächlich und krånkelnd zehrte diese Niederlage an Maupertuis' Leben. Er starb zu Basel am 27. Juli 1759 auf einer Reise nach Frankreich.

Gleichviel. Der Anstoß war gegeben. Um Newton und Locke dreht sich fortan die gesammte wissenschaftliche Entwicklung.

Es ist klar, welche Aufgabe dem Denken und Forschen auf dieser Grundlage gestellt ist. Indem die ewige und gesetzmäßig waltende Bewegung als eine unverbrüchliche Eigenschaft der körperlichen Stoffwelt selbst erkannt ist, entsteht die Frage, ob dieselbe von einer über und außer dieser Stoffwelt stehenden höheren Kraft stammt, oder ob sie der Stoffwelt selbst urewig und in eigener freier Machtvollkommenheit innewohnt. Der Anhänger der ersteren Ansicht ist Deist, der Anhänger der zweiten Materialist.

Beide Richtungen finden in Frankreich die emsigsten VerBeide haben, obgleich einander heftig bekämpfend, in Newton ihre gemeinsame Wurzel.

treter.

Drittes Capitel.

Die gesellschaftlichen Gegenfäße in Kunst und Dichtung.

1.

Die Dichtung.

Prevost. Crebillon der Jüngere. Gresset.

touches, Nivelle de la Chaussée.

Marivaux, Des

Was Hamlet von den Schauspielern sagt, daß sie der Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeitalters seien, gilt von der Kunst überhaupt.

Selten ist die innige Wechselwirkung zwischen Kunst und Leben schlagender zu Tage getreten als in der plöglichen Wendung, welche die französische Dichtung zur Zeit der Regentschaft und des Ministeriums Fleury nimmt. Es weicht jene vornehme Ausschließlichkeit, welche der höfischen Literatur Ludwigs XIV. eigen gewesen; die Dichtung seht sich auch in den Niederungen des gewöhnlichen Lebens fest. Das Bürgerthum, das bisher kaum anders Zutritt erhalten, als um von der hoffåhigen Gesellschaft verlacht und verspottet zu werden, kämpft in den Reihen der dichterischen Darstellungsgegenstände um das Recht der Ebenbürtigkeit und erreicht es. Und wie die Stoffe, so erweitern sich

Gegensäße der Kunst und Dichtung.

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auch die engen Formen des überlieferten Klassizismus. Immer mehr und mehr meldet sich das Streben nach Kleinmalerei und unbedingter Natürlichkeit.

In der hohen Tragödie ist einzig Voltaire von einiger Bedeutung. Aber auch dieser dichtet und gestaltet aus durchaus anderer Denkart. Die tragische Bühne, einst in Corneille und Racine die wirksamste Verherrlichung des Königthums und der kirchlichen Gläubigkeit, wird für Voltaire die Kanzel, von welcher er seinen religiösen und politischen Freisinn verkündigt. Und schon tauchen neben ihm und zum Theil durch ihn neue Richtungen auf, in welchen den Einsichtigen offenbar wird, daß nicht blos das Herz der Heroen und Könige, sondern das Herz eines Jeden, ohne Unterschied des Standes, der Sit tiefster Tragik ist.

Lebhaft bethätigen sich Roman und Lustspiel. Diese Dichtarten sind ihrer ganzen Natur nach der lebenstreuen Sittenschilderung am zugänglichsten; und hier haben sie überdies den Vortheil, daß sie weniger als die Tragik durch festgewurzelte Herkömmlichkeiten beengt und gehemmt sind.

Bisher hatte die französische Dichtung, insoweit sie sich an das Ausland lehnte, immer nur nach Spanien hinübergeblickt. England stand fern. Noch im Jahre 1700 konnte der Abbé Důbos in feinem englischen Reisebericht mit Recht sagen, daß, falls auch Einzelne sich einmal ausnahmsweise nach England wendeten, sie dies nicht als »Ueberläufer«, sondern als »Kundschafter« thaten; und zwar als Kundschafter, welche den Feind gründlich verachteten. Jezt aber fühlt sich die französische Dichtung mit derselben Ndthigung innerer Wahlverwandtschaft zu englischen Vorbildern hingezogen. Zumal zu jener volksthümlichen Literatur, welche durch den Sieg der bürgerlichen Freiheit im Zeitalter Wilhelms und der Königin Anna erwachsen war, zu den moralischen Wochenschriften Addison's, zu den Lustspielen von Cibber und Steele, zu den Romanen von

Swift und Defoe, zu den Anfången des bürgerlichen Trauerspiels von George Lillo. Vergl. Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts Th. 1, S. 256–336. S. 491 ff. Diese Schriften werden übersetzt und nachgeahmt. Und wie Maupertuis, Voltaire und Montesquieu, die Erwecker der neuen wissenschaftlichen Richtung, so gehen auch die Dichter Prevost und Destouches nach England und verkehren dort mit den angesehensten Schriftstellern. Die englischen Anregungen sind überall sichtbar; nur werden sie nach dem französischen Naturell und nach den fortwirkenden Grundlagen und Bedingungen der herrschenden Anschauungsund Behandlungsweise des französischen Klassizismus eigenthumlich umgemodelt.

Dieser Umschwung ist die natürliche Folge des politischen und gesellschaftlichen Umschwungs. Frankreich ist nicht mehr ausschließlich der Hof; es regt sich das Volk in seinen verschiedenen Stånden und Gliederungen. Die Gegensåße und Kämpfe der Zeit spiegeln sich daher in diesen Romanen und Lustspielen in greifbarster Deutlichkeit. Ist die Bedeutung aller jener gewaltsamen Gåhrungen unter der Regentschaft hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß der Adel verwildert und herabkommt und dagegen ein rühriger Mittelstand sich zu Achtung und gewichtiger Geltung aufschwingt, so tritt auch in diesen dichterischen Zeitund Sittengemålden ganz entsprechend diese gedoppelte Richtung auf. Die eine schildert das leichtfertige Leben der vornehmen Gesellschaft, die andere die Kämpfe und Verwicklungen, Freuden und Thorheiten des emporstrebenden Mittelstandes.

Jene erste Richtung wird besonders durch den Abbé Prevost, durch den jüngeren Crebillon und Gresset bezeichnet; diese zweite durch Marivaur, Destouches und Nivelle de la Chauffée. Jene weltmännischen Dichter sind kecker und lebendiger und daher blendender, diese bürgerlichen beengter und lehrhafter. In der That aber sind diese Lekteren inniger mit den vordringenden Bewegungen der

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