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zu können; eine Schrift, welche um so verdienstlicher wirkte und nicht blos in Spanien, sondern in allen katholischen Ländern Europas um so freudiger begrüßt wurde, je sorgsamer sich der Verfasser gehütet hatte, im Kampf gegen die Geistlichkeit den Glauben selbst anzugreifen. Und daher ist in gleicher Gesinnung der Gegenstand aller seiner spåteren Schriften der Volksunterricht. Die Grundlage ist der im Jahr 1771 erscheinende Discurso sobre el Fomento de la Industria popular, welcher vom König an alle weltlichen und geistlichen Behörden vertheilt wurde; ihm folgen als Fortsetzung und nåhere Ausführung 1775 der Discurso sobre la Educacion popular de los Artisanos y su Fomento und 1777 der Apéndice á la Educacion popular; Schriften, welche nicht blos bei ihrem engsten Zweck stehen bleiben, sondern über das gesammte Gebiet des Staatshaushalts, des Ackerbaues, Handels und Gewerbes die erleuchtetsten Ueberzeugungen verbreiten. Nicht in den Goldminen Südamerikas, das ist die Mahnung aller dieser Schriften, sondern im Fleiß und Wohlstand des eigenen Landes suche der Spanier seine Macht und seinen Reichthum.

Unter der Leitung und Anregung von Campomanes ersteht eine ganze Schule junger Nationalökonomen, in gleicher Weise bestrebt, die Lehren und Grundsäge der französischen Oekonomisten für Spanien nuhbar zu machen; Cabarrus, Jovellanos, Danvila, Martinez de la Mata, Sampevé y Guarinos. Und ebenso veröffentlichte, auf Campomanes' Veranlassung, im Jahr 1784 Lardizabal, ein junger Rechtsgelehrter, eine Schrift über die Strafgesetzgebung, welche im Geist und nach dem Muster Beccaria's geschrieben, von den Spaniern dem Werke Beccaria's an die Seite gestellt wird.

Wohl mochte damals in diesen edlen und aufstrebenden Menschen der Traum einer Zukunft aufleuchten, welche sich an die alte verlorene Herrlichkeit Spaniens würdig anschließe. Ver

Hettner, Literaturgeschichte. II.

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gebens. Unter der Schreckensherrschaft Karls IV. wurde der Baum entwurzelt, noch ehe er erblüht war. Die Masse war starr und stumpf und frohlockte über den Sturz der Führer, welche sie zu Glück und Sieg rufen wollten.

In der Dichtung beobachten wir denselben Gang. Es ist thöricht zu klagen, daß die großen Muster der alten spanischen Glanzzeit verlassen waren; der ritterliche Geist war erstorben. Zu beklagen aber ist, daß überhaupt alle Triebkraft geschwunden. Es waren die Fehler der alten Zeit geblieben ohne deren Tugenden. Schon seit dem ersten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts hatte man versucht, die spanische Bühne nach Zuschnitt der französischen Tragik umzugestalten; diese Versuche waren platt und beschrånkt, gespreizte Nachahmungen eines ohnehin schon gespreizten Vorbildes. Im Jahr 1751 überseßte Ignazio de Luzan, einer der eifrigsten Vorkämpfer dieser französischen Richtung, das bekannte Lustspiel von Nivelle de la Chaussée »das Vorurtheil nach der Mode« mit der offen ausgesprochenen Absicht, auch das moralisirende bürgerliche Familiendrama in Spanien einheimisch zu machen. Andere Uebersehungen nach Destouches folgten. Tomas de Yriarte schrieb zwei Lustspiele dieser Art »der geschmeichelte Jüngling« und »das schlecht erzogene Mädchen«, und der edle Jovellanos schrieb sein Rührstück »El Delincuente honrado, der geehrte Verbrecher«, welches nicht nur in Spanien das entschiedenste Glück machte, sondern sogar auf französische und deutsche Bühnen gelangte. Aber diese Erscheinungen bleiben vereinzelt; und am allerwenigsten wird das Bedürfniß gefühlt, die Schranken dieser untergeordneten Dichtart zu durchbrechen und weiter zu rücken. Nirgends etwas Eigenes wie in Goldoni und Alfieri; nirgends vollends ein Ansatz zu selbståndiger und naturwüchsiger Fortbildung wie in Deutschland. Das eindringende Neue verwirrte und störte; aber siegte nicht.

Spanien ist ein lehrreiches Beispiel der Geschichte, daß ein

Volk nur durch sich selbst sich erlösen kann. Gute Saat ver= langt guten Boden. Was nüßen Moses und die Propheten, wenn Niemand da ist, sie zu hören und zu verstehen?

3.

England.

Hume. Robertson. Gibbon. Priestley und die schottischen Philosophen.

Auch England, das eigentliche Mutterland der französischen Aufklärungsliteratur, empfand von ihr die bedeutendsten Rückwirkungen. Aber allerdings nur rein wissenschaftliche. Jene Forderungen, welche die zurückgebliebenen katholischen Lånder an die Umgestaltung des staatlichen Lebens stellten, waren hier größtentheils bereits vollendete Thatsachen.

Eine beträchtliche Anzahl höchst achtbarer englischer Schriftsteller steht ganz oder theilweise unter diesem neuesten französischen Einfluß. Was von den französischen Aufklårern über die eng lischen Vorgånger hinaus angeregt und fortgebildet war, wird jezt von diesem jüngeren Geschlecht der englischen Nachahmer, oft mit allen Fehlern und Einseitigkeiten, angenommen und verarbeitet. Montesquieu und Voltaire hatten die Grundlagen einer tieferen Geschichtsauffassung gelegt, Diderot und die Encyklopåðisten hatten die Vordersåte Lockes zum entschiedensten Atheismus und Materialismus gegipfelt. Beide Richtungen zünden in England in überraschender Weise.

Wir heben nur die wichtigsten Schriftsteller heraus; und auch diese nur in ihren bedeutsamsten Grundzügen.

An der Spitze steht Hume. Es ist unrichtig, wenn ihn Villemain in der achtundzwanzigsten Vorlesung seiner Literaturgeschichte ganz ausschließlich nur als Nachahmer der Franzosen bezeichnet; aber allerdings unbestreitbar ist, daß französische Anre= gungen sehr fühlbar auf seine Bildung einwirkten. Zum Theil schon auf seine philosophische, mehr aber noch auf seine ge= schichtliche.

David Hume war, nach dem alten Kalender gerechnet, am 26. April 1711 in Edinburgh geboren. Obgleich aus hoher alter Familie stammend, war er doch vermögenlos. Er ging daher, nachdem er sich fest entschlossen, einzig der Literatur zu leben, des billigeren Aufenthalts wegen in der Mitte des Jahres 1734 nach Paris. Dort waren grade die jansenistischen Verzückungen in Mode; namentlich beschäftigten die Wunder am Grabe des Abbé Paris auf dem Kirchhof von St. Medard alle Gemüther. Und wie es erwiesen ist, daß durch diese widerspruchfordernden Uebertreibungen die eben erstehende Freigeisterei in Frankreich die willkommenste Nahrung und Unterstützung fand, so hat auch Hume sowohl in seiner Abhandlung über die Wunder wie spåter in seiner Naturgeschichte der Religion offen bekannt, wie dieselben Ursachen in ihm dieselben Folgen hervorriefen. Nach kurzem Verweilen ging Hume nach Rheims, spåter nach La Flêche in Anjou. Hier schrieb er bereits sein erstes philosophisches Werk: „A Treatise of human Nature, being an Attempt to introduce the experimental Method of Reasoning into moral Subjects"; es erschien zu London 1739 in drei Bånden, blieb aber zunächst ganz unbeachtet. Aus Hume's Briefen geht hervor, daß die Gespräche über die Religion, obgleich erst 1751 geschrieben und sogar erst nach seinem Tod veröffentlicht, in ihrem ersten Entwurf in dieselbe Zeit fallen. Darauf kehrte Hume nach Schottland zurück. Seine stille arbeitsame Muße wurde nur durch eine Reise unterbrochen, welche er mit dem General Sinclair über Hol

land nach Wien und Turin unternahm. Im Jahr 1741 waren die Moral and Political Essays erschienen; 1748 erschien sein wichtigstes Werk, die Umarbeitung und Fortbildung seines ersten Buches über die menschliche Natur, An Inquiry concerning human Understanding. Darauf noch eine ganze Reihe von moralphilosophischen, volkswirthschaftlichen und politischen Schriften und Abhandlungen. Im Jahr 1752 wurde Hume Aufseher der Advokatenbibliothek in Edinburgh. Die leichte Zugänglichkeit, welche er jetzt zu den trefflichsten Büchern hatte, führte ihn zu geschichtlichen Arbeiten. Er veröffentlichte 1754 die Geschichte Englands seit der Thronbesteigung des Hauses Stuart, 1759 die Geschichte des Hauses Tudor, 1761 die Geschichte Englands von Julius Cåsar bis auf Heinrich VII. Doch wurden auch seine philosophischen Studien nicht abgebrochen; in das Jahr 1757 fållt die Natural History of Religion; dieser Zeit gehört auch die oft in ihrer Aechtheit bezweifelte Abhandlung über den Selbstmord an, vergl. Life and Correspondance of David Hume by J. H. Burton, Edinburgh 1846, Th. 2, S. 14. Damit war die schriftstellerische Laufbahn Hume's geschlossen. Er war jetzt zweiundfünfzig Jahre alt. Er war ein berühmter Mann geworden, hatte Vermögen und Unabhängigkeit erlangt, er wollte sein Alter in glücklicher Ruhe genießen. Da erhielt er unerwartet eine Aufforderung des Lord Hertford, welcher zum Friedensschluß nach Versailles geschickt wurde, ihn als Gesandtschaftssekretår zu begleiten. Anfånglich antwortete Hume abschläglich, endlich nahm er an. Der Empfang Hume's in Paris war glänzend; jest zeigte sich, wie durchaus im Sinn der französischen Bildung sein Wirken gewesen. Seit langen Jahren hatten die französischen Aufklårer aus seinen Schriften geschöpft; was sie nicht unter ihrem eigenen Namen gegen die Kirche zu sagen gewagt hatten, das sagten sie im Namen des schottischen Philosophen. Die Schriftsteller und die Salons, der König und die Prinzen, Mad. Pompadour und

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