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lediglich in das menschliche Denken und Empfinden. In Luther war die unmittelbar göttliche Einsehung der Regierung festgehalten; die neue Denkweise erweckt im Menschen das Bewußtsein, daß, weil die Regierung wesentlich menschlichen Zwecken diene, sie selbst nach den in Zeit und Ort wandelbaren Zwecken wandelbar und vom Volk, dessen Ausdruck und Leitung sie ist, aus eigener Einsicht und Machtvollkommenheit bestimmbar sei. Nichts gilt blos darum, weil es überliefert und von außen auferlegt ist. Einzig das freie, rein auf sich selbst gestellte Denken entscheidet über die Wahrheit der Dinge, über die sittlichen und gesellschaftlichen Rechte und Pflichten. Die Vernunft hat ihre verlorene Selbstherrlichkeit wiedererobert; der Mensch kommt wieder zur Besinnung über sich selbst. Die alten Anschauungen und Ueberlieferungen, welche vor ihr nicht Stand halten, werden zertrümmert wie hohle Göhen. Die Franzosen nennen das achtzehnte Jahrhundert das philosophische Jahrhundert; und sie haben ein Recht zu dieser Bezeichnung, nicht wegen der Tiefe dieser Philosophie, sondern wegen deren eingreifender Wirksamkeit. Nie ist ein Zeitalter unmittelbarer von der Philosophie beherrscht worden. Die Menschheit glaubt an die Kraft und Wahrheit der Philosophie. Kant spricht denselben Gedanken aus, wenn er die Aufklärung als das Heraustreten des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit bezeichnet.

Diese siegende Selbstgewißheit des menschlichen Geistes ist der Grundgedanke. Aus diesem Grundgedanken erklärt sich einerseits die Schwäche dieser Schriftsteller, daß sie keinen Sinn und keine Achtung für die Vergangenheit und die geschichtliche Entwicklung haben, daß sie in der Religion nur herrschsüchtige Priesterlist und im Staat nur einen zufälligen Vertrag sehen. Zugleich aber erklärt sich aus ihm auch ihre Größe. Mit heldenmüthiger und wahrhaft bewunderungswürdiger Energie und Kühnheit, mit der edelsten Selbstverleugnung und Begeisterung,

mit dem kraftvoll einschneidenden Unwillen tiefster sittlicher Empörung wenden sich diese Schriftsteller, gegen Alles, was in Kirche und Staat den unverbrüchlichen Anrechten des Geistes und des Gemüthes zuwiderläuft. Mitten unter dem elendesten Druck des Pfaffenthums und der weltlichen Gewaltherrschaft behaupten sie die Freiheit und Würde der Menschennatur. Gegen die Unbeugsamkeit der alleinseligmachenden Kirche dringen sie auf Denk- und Glaubensfreiheit, auf Liebe und Duldung; gegen die Bedrückungen der herrschenden Staatsform zunächst auf Besserung der Verwaltung, sodann auf Umgestaltung der Verfassung, auf Linderung der Abgaben und Strafen. Der Mensch ist nicht da, blos zu Gunsten einiger Bevorzugten, welche vom Schweiß der Armen prassen, sondern er hat in sich selbst sein Recht und seine Bestimmung. Es soll ihm Erhellung und Befreiung werden durch die allgemeine Zugänglichkeit der Erziehung und Bildung. Durch alle Besten der Zeit geht eine warme und thatkräftige Menschenliebe, eine jugendfrische Begeisterung und Opferfreudigkeit für die Sache der Menschheit.

Man sollte daher endlich einmal aufhören, immer nur von dem auflösenden, zersetzenden, verneinenden Wesen, von der Leichtfertigkeit und Frechheit der französischen Aufklårer zu sprechen. Hegel, welcher überhaupt unter allen neueren deutschen Schriftstellern diese französische Aufklärungsphilosophie am vorurtheilslosesten beurtheilt und ihr in der Phänomenologie des Geistes und in den Vorlesungen über Geschichte der Philosophie und Philosophie der Geschichte die eingehendsten Betrachtungen gewidmet hat, bezeich= net in der Geschichte der Philosophie (Th. 3, S. 514 ff.) diesen Kampf mit Recht als den Angriff des vernünftigen Instincts gegen den Zustand der Ausartung und der allgemeinen und vollkommenen Lüge, als eine Zerstörung des bereits in sich Zerstörten. Hegel sagt: »Wir haben gut den Franzosen Vorwürfe über ihre Angriffe der Religion und des Staats zu machen. Man

muß ein Bild von dem horriblen Zustand der Gesellschaft, dem Elend, der Niederträchtigkeit in Frankreich haben, um das Verdienst zu erkennen, das sie hatten. Jest kann die Heuchelei, die Frömmigkeit, die Tyrannei, die sich ihres Raubes beraubt sieht, der Schwachsinn können sagen, sie haben die Religion, Staat und Sitten angegriffen. Welche Religion! Nicht durch Luther gereinigt, der schmählichste Aberglaube, Pfaffenthum, Dummheit, Verworfenheit der Gesinnung, vornehmlich das Reichthumverprassen und Schwelgen in zeitlichen Gütern beim öffentlichen Elend! Welcher Staat! Die blindeste Herrschaft der Minister und ihrer Dirnen, Weiber, Kammerdiener, so daß ein ungeheures Heer von kleinen Tyrannen und Müßiggångern es als ein göttliches Recht ansah, die Einnahme des Staats und den Schweiß des Volks zu plündern. Die Schamlosigkeit, Unrechtlichkeit ging ins Unglaubliche; die Sitten waren nur entsprechend der Verworfenheit der Einrichtungen. Wir sehen Rechtlosigkeit der Individuen in Ansehung des Rechtlichen und Politischen, und ebenso Rechtlosigkeit in Ansehung des Gewissens und des Gedankens.«

Freilich! Es ist keine Zeit, an welcher man sich rein und aus ganzer Seele erquicken könnte. Es sind keine großen, zu unbedingter Verehrung und Hingebung zwingende Charaktere, welche hier auftreten. Aber ist nicht ein Montesquieu völlig tadellos, und sind nicht selbst die vielgeschmähten Führer des Materialismus, ein Diderot, Holbach und Helvetius in ihrem sittlichen Wesen achtbar und tüchtig? Und, was die Hauptsache ist, sind die Charaktere auf der Gegenseite etwa reiner und edler, oder sind nicht vielmehr jene Flecken, welche wir an der Persönlichkeit dieser Aufklärungsschriftsteller beklagen, das schmachvolle Kainszeichen jener verwahrlosten und entarteten Vergangenheit, welche zu stürzen und umzugestalten sie mit allen ihren Kräften bestrebt sind? Die Gedanken und Bestrebungen dieser Menschen leiden an entsetzlich viel Willkür und jåher Hast. In der Wissenschaft

meint der Ungestům und der Rausch des kühn zugreifenden Eifers Vieles als fest und abgeschlossen betrachten zu dürfen, was eine noch unendlich tiefere Begründung und Entwicklung erfordert und in dieser fortschreitenden Entwicklung noch gar manchen wuchernden Auswuchs abzustreifen und noch gar manchen triebkräftigen Keim voller auszugestalten hat; in der thatsächlichen Wirklichkeit meint er das reiche und vielverschlungene Natur- und Menschenleben durch den Machtspruch starrer, sich nur in der Allgemeinheit des Begriffs bewegender Logik begreifen und regeln zu können, und giebt sich dem verderbnißschweren Wahn hin, als könne die Welt, losgelöst von aller Gewohnheit und Ueberlieferung, jest von Grund aus ihren Lauf umlenken und von vorne beginnen. Es ist der feuersprühende Most, welcher sich noch nicht geklärt hat; es ist, wie Hegel treffend gesagt hat, der Fanatismus des abstracten Gedankens. Aber das Zeitalter der franzöfischen Aufklärung ist ein Uebergangszeitalter, mit allen Gefahren und Zukunftshoffnungen eines solchen. Wåren diese Menschen nichts gewesen als jene sittenlosen, wißigen und frechen Spötter, für welche man sie gewöhnlich ausgiebt, wie håtten sie so tiefe Spuren ihres Daseins im Glauben, Denken und Handeln der nächstfolgenden Geschlechter hinterlassen? Die Schwäche und der Irrthum, die Gewaltsamkeit und die Uebertreibung ist überwunden; die Segnungen sind geblieben und sind unverlierbar. Eine Bildung, welche durch die großen Errungenschaften Lessing's, Herder's, Kant's, Goethe's und Schiller's vertieft und bereichert ist, hat nichts mehr gemein mit jenen Kåmpfen, deren Ziele zu eng und schwankend und deren Kriegsführung zum Theil eine mehr sophistische als wirklich philosophische war. Aber wer auf gelichtetem und geebnetem Wege fest und sicher dahinwandelt, soll die Bahnbrecher nicht schmähen, daß sie in der Dunkelheit und Wildniß nicht die gleiche Sicherheit hatten, sondern sich erst durch manchen Umweg und Irrweg durchschlagen mußten.

Die olympischen Götter werfen die kämpfenden Titanen in in die Unterwelt; aber die Sage hat dankbar die Erinnerung an deren Thaten bewahrt.

Zweites Capitel.

Die Literatür des Auslandes.

1.

Italien.

P. Verri, Beccaria, Filangieri. Goldoni und Alfieri.

Unter dem Druck und der Verdumpfung der letzten Jahrhunderte war die einst so glänzende Literatur und Kunst der Italiener zu völliger Bedeutungslosigkeit herabgesunken. In der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts schien es, als wolle die Nation sich wieder emporraffen zu alter Kraft und Bildung.

Neue glückliche Tage waren über Italien aufgegangen. In der Lombardei herrschte und waltete der edle und weise Graf Firmian, in Toskana der treffliche Leopold, in Neapel der fähige Tanucci; und selbst im Kirchenstaat regten sich unter Benedict XIV., Clemens XIII. und Clemens XIV. hochherzige Besserungsplåne, welche die Weisheit weltlicher Verwaltungskunst mit den Pflichten der kirchlichen Oberhoheit nicht für unvereinbar hielten. Ueberall traten edle und erleuchtete Männer auf, aus tiefster Menschenliebe nach der Wohlfahrt und Freiheit des geknechteten Volkes ringend; beseelt und durchglüht von dem achtunggebietenden Eifer,

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