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Neuntes Capitel.

Grimm und die Correspondance littéraire.

Grimm's Literarische Correspondenz ist für den Geschichtsschreiber der französischen Literatur im achtzehnten Jahrhundert die ergiebigste Quelle. Und sie war es auch für einen großen Theil der Zeitgenossen selbst. Sie war wesentlich dazu bestimmt, die fremden Höfe von den bemerkenswertheften neuen Büchern und von den schriftstellerischen Persönlichkeiten und Ereignissen in Kenntniß zu sehen. Dadurch ist Grimm für die Beurthei= lung und Verbreitung der französischen Denkweise äußerst wichtig geworden. Die Aufmerksamkeit und Theilnahme der höheren Kreise im Ausland wurde von ihm immer aufs neue angefacht und rege erhalten.

Friedrich Melchior Grimm war von Geburt ein Deutscher. Er war am 26. Dezember 1723 zu Regensburg geboren. Sein Vater war evangelischer Geistlicher. Die erste Lebensspur, welche von Grimm auftaucht, ist ein Brief, welchen er noch als Gymnasiast am 19. April 1741 an Gottsched schrieb; veröffentlicht in Danzel's Gottsched. Leipzig 1848, S. 344. In diesem Briefe bezeichnet er sich als einen jungen Menschen, welcher »die lateinische Sprache und andere freie Künste treibt«; er ist von der höchsten Bewunderung für Gottsched durchglüht und überschickt diesem eine Satire wider die Veråchter der Philosophie und eine Ode. In einem zweiten Briefe vom 28. August desselben Jahres meldet er, daß er mit der Dramatisirung des bekannten ålteren Romans von der asiatischen Banise beschäftigt sei, ganz nach

Anleitung von Gottsched's kritischer Dichtkunst. Und in der That wurde das Trauerspiel, nachdem Grimm inzwischen Leipziger Student geworden und sich zu einer Umarbeitung des ersten von der Schule mitgebrachten Entwurfs entschlossen hatte von Gottsched selbst im vierten Theil der deutschen Schaubühne (Leipzig 1743) in die Literatur eingeführt. Es ist nicht schlechter und nicht besser als die anderen Trauerspiele der Gottsched'schen Schule; ohne alle dichterische Empfindung, in schwerfälligen Alexandrinern, mit strengster Innehaltung der Einheit der Zeit und des Ortes. Grimm war verståndig genug, zu erkennen, daß hier sein innerer Beruf nicht liege. Nach dem Abgange von der Universität war er bei dem Grafen von Schönberg, dem chursächsischen Reichstagsgefandten, welchem er bereits von Jugend auf bekannt war, als Sekretår eingetreten, hatte als solcher der Wahl Franz I. in Frankfurt beigewohnt und benutte schon jezt diese seine halb diplomatische Stellung, sich, wie er selbst in einem Brief (vergl. Danzel a. a. D. S. 349) sich ausdrückt, vorzugsweise in der französischen Sprache festzusehen. »Nach des Himmels Schluß«, meint er, habe er kein Dichter werden sollen, so sehr er auch die Poesie liebe und verehre; theils die Erkenntniß dieser natürlichen Ungeschicklichkeit, theils äußerliche Umstånde håtten es verursacht, daß er die Poesie oder das Versemachen fast mit dem Anfang seiner akademischen Jahre aufgegeben.« Dagegen versucht er höchst bezeichnend! - Voltaire's so eben erschienenes Mémoire sur la Satire durch eine eigene kleine französische Schrift den Deutschen zu empfehlen; eine Absicht, welche freilich, wahrscheinlich aus Mangel an einem Verleger, unterblieben ist. Am 18. Dezember 1728 meldet Grimm seinem Leipziger Gönner, daß er eine Reise nach Frankreich beabsichtige. Er begleitete einen Grafen Schönberg, welcher in Paris den Oberbefehl über das Regiment der deutschen Dragoner erhalten hatte, den Sohn seines früheren Herrn. Und seitdem ist er mit Un

terbrechung vereinzelter Reisen bis in sein spåtes Alter in Paris geblieben.

Leichtigkeit des Lebens, gewinnende åußere Formen, große Rührigkeit brachten den fünfundzwanzigjährigen jungen Mann schnell zur Geltung. Vom Erzieher der Kinder des Grafen Schönberg wurde er in kurzer Zeit Vorleser bei dem Prinzen von SachsenGotha, dann Sekretår des Grafen von Friesen, des jungen und genußsüchtigen Erben und Neffen des Marschalls Moriz von Sachsen Er wurde beliebt in der vornehmen Gesellschaft, machte durch die Vermittlung Klüpfel's, des Predigers des Prinzen von Gotha, die Bekanntschaft Jean Jacques Rousseau's und Diderot's; und gab bereits, wie Marmontel in seinen Denkwürdigkeiten erzählt, allwöchentlich ein „diner de garçon", bei welchem die jungen französischen Schriftsteller heitere Gåste waren. In einem Briefe an Gottsched vom 30. November 1751 rühmt sich Grimm erfreut seiner engen Freundschaft mit d'Alembert, Diderot und mit der Familie Voltaire's. Und bald trat er selbst keck und thẳtig in die französische Literatur ein. Er schrieb in die damals beliebteste französische Zeitschrift, in den Mercure, Briefe über die deutsche Literatur, schrieb die Vorrede zum neubegründeten Journal étranger und betheiligte sich, namentlich kraft seiner tiefen musikalischen Bildung, sehr lebhaft an dem großen Kampf, welcher 1752 durch die Ankunft italienischer Sånger in Paris zwischen italienischer und französischer Musik ausgebrochen war. Grimm kämpfte entschieden gegen die in Frankreich herrschende Geschmacksrichtung, und verwies dafür auf Pergolesi, Rameau und Rousseau's Devin du Village. Er that dies in der Lettre de Mr Grimm sur Omphale, Tragédie lyrique reprise par l'Academie de la Musique le 14. Janvier 1752, noch mehr aber in der kleinen Flugschrift: Le petit Prophète de Boemischbroda". Diese Schrift (in deutscher Uebersetzung abgedruckt in dem Brandenburger Auszug der Correspondenz 1823. Bd. 2, S. 209) ist in der That

so wikig und selbst heut, losgelöst von allen Zeitanspielungen, noch so ergößlich, daß man vollständig begreift, wie sie in weniger als einem Monat drei Auflagen erlebte. De quoi s'avise donc ce bohémien d'avoir plus d'esprit que nous? sagte Voltaire. Es zeigt sich auch äußerlich, wie Grimm immer mehr und mehr Franzose wird und sich in Denk- und Lebensart ganz und gar nach französischem Muster modelt. Er schreibt noch eine Zeitlang an Gottsched; aber nur französisch, obgleich er wußte, daß in solchen Dingen Gottsched jeder prahlerischen Ausländerei feind war. Der Brief vom 23. Juni 1753 endet: ,,Mon adresse est à l'hôtel de Frise Rue basse du Rempart Faubourg St. Honoré, sans autre qualité, car je n'ai plus celle de Sécrétaire du Comte de Frise. Les gens de lettres de ce pays-ci aiment mieux n'être rien que dêtre attaché à quelqu'un; j'ai suivi leur exemple et je me suis fait un petit revenu d'une occupation littéraire, mais quoique je n'aye plus l'honneur d'être attaché à Mr le Comte de Frise, j'ai pourtant celui de demeurer dans sa maison."

Es ist leicht zu sagen, welche schriftstellerische Beschäftigung es war, welcher Grimm hier Erwähnung thut. Es ist vornehm lich die Literarische Correspondenz.

Die Literarische Correspondenz, d. h. die briefliche Mitthei= lung über die laufenden französischen Literaturerscheinungen, war zunächst vom Abbé Raynal, dem Verfasser der Geschichte beider Indien, begonnen worden. Wie es scheint, auf Veranlassung der edlen und geistvollen Herzogin von Sachsen-Gotha-Altenburg, Louise Dorothea. Diese Correspondenz Raynal's befindet sich noch handschriftlich im herzoglichen Archiv zu Gotha Cod. Chart. B. 1138 b; sie beginnt am 29. Juli 1747 und erstreckt sich bis in das Jahr 1754. Seit der Mitte des Jahres 1753 erscheint neben der Correspondenz Raynal's daselbst auch Grimm mit seinen Tagesberichten und nach Kurzem behauptet er allein den Play.

Allmålich gewann das Unternehmen einen immer größeren Aufschwung. Wie aus noch ungedruckten Privatbriefen Grimm's an die Herzogin hervorgeht (Geheimes Archiv. Fürstl. Privatan= gel. 1751-1765 E. XIII. a 14-16. Bd. 336. 338. 363), trat im Jahre 1763 Friedrich der Große und 1764 die Kaiserin von Rußland bei; ebenso die Königin von Schweden, der König von Polen, der Herzog von Zweibrücken, die Erbprinzessin von Hessen-Darmstadt, die Prinzeß Georg von Hessen - Darmstadt, die Prinzessin von Nassau-Saarbrück; auch eine große Anzahl nichtfürstlicher Theilnehmer meldete sich. Die Correspondenz wurde alle vierzehn Tage, am ersten und fünfzehnten jedes Monats verschickt. Sie giebt Alles, was heutzutage ein gutgeleitetes Feuilleton einer großen Zeitung giebt. Dazu wurden die wichtigsten Schriften Voltaire's und Diderot's, welche damals aus polizeilichen Gründen nur handschriftlich umliefen, wie z. B. von Voltaire einige Gesånge der Pücelle, von Diderot La Religieuse, Jacques le Fataliste, La Rève de d'Alembert, Lettres à Falconet, der Salon und andere Mittheilungen dieser Art beigefügt. Die Mannichfaltigkeit und Wichtigkeit der Gegenstände, die Beweglichkeit und Frische der Besprechung, das regelmäßige periodische Erscheinen hielten selbst bei Männern wie Goethe (Bd. 32, S. 233) Neugierde und Aufmerksamkeit von Sendung zu Sendung rege; und so erstreckt sich das Unternehmen bis in das Jahr 1790, d. h. bis zur Zeit, da die alte französische Gesellschaft unter der Wucht der Ereignisse zusammenbrach.

Grimm war und blieb in diesem langen Zeitraume unverändert die Seele des Ganzen; nur hie und da, besonders während einzelner Reisen Grimm's, trat Diderot an die Stelle; in den Jahren 1773-75 Heinrich Meister, ein junger Züricher, der Sekretår Grimm's, welcher seinem Herrn spåter in seinen Mélanges de Philosophie et de Littérature eine liebevolle Lebensbeschreibung gewidmet hat. Diese Correspondance littéraire ist zuerst 1812

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