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lichkeit und Parlament schritten ein, und die öffentliche Meinung stand auf ihrer Seite. Wir können es getrost als den Ausdruck der allgemeinen Stimmung betrachten, wenn Goethe im elften Buch von Dichtung und Wahrheit (Bd. 22, S. 51) bekennt, daß, obschon er auf gar Manches gefaßt gewesen, was dem gemeinen Menschen als schädlich, der Geistlichkeit als gefährlich, dem Staat als unzulässig erscheinen möchte, er dennoch in diesem Buch Alles so grau, cimmerisch, so todtenhaft gefunden habe, daß er kaum seine Gegenwart auszuhalten vermochte, und vor ihm wie vor einem Gespenste zurückschauderte. Auch die Partei felbst kam in Zerwürfniß. Besonders die Deisten fühlten sich unangenehm aufgeschreckt. Voltaire wurde nicht müde, das Buch bald im Ernst, bald im Spott zu vernichten; vergl. Gotha'sche Ausg. Bd. 39, S. 308 ff.; Bd. 62, S. 67; Bd. 67, S. 522 ff.; Bd. 68, S. 360. 379. 390. 400. 459. Friedrich der Große veröffentlichte eine besondere Gegenschrift. Nicht minder entrüstet war der milde d'Alembert. Schrieb doch sogar der harmlose, ewig låchelnde Abbé Galiani mit unverhohlenem Aerger, daß eine solche Denkweise der Bankerott des Wissens, des Vergnügens und des menschlichen Geistes sei; vergl. Corresp. inéd. de l'Abbé Galiani. Paris 1818, Bd. 1, S. 142 und 120. Nur Diderot und sein nächster Kreis hielten Stand. Ja, Naigeon, der Freund und Schüler Diderot's, verzerrte in freche Leichtfertigkeit, was das Système de la Nature mit lehrhaftem Ernst vorgetragen hatte. Der Militaire philosophe, welcher von Naigeon stammt, ist wißig, aber frech, und noch schamloser ist die Théologie portative, von welcher Damiron in seinen Denkwürdigkeiten zur Geschichte der Philosophie mit Recht sagt, daß es eine skandalsüchtige Aneinanderreihung aller låsternden Wißworte sei, welche damals von den Zweiflern und Spöttern mit bewunderndem Låcheln von Mund zu Mund getragen wurden.

Als das Système de la Nature erschien, erschien es unter

dem Namen von Jean Baptiste Mirabaud, welcher am 24. Juni 1760, fünfundachtzig Jahre alt, als ståndiger Sekretår der Ukademie gestorben war. Schon damals ließ sich Niemand durch die angenommene Maske täuschen. Voltaire meint (Bd. 38, S.405) der gute Mirabaud sei nicht fåhig gewesen, auch nur eine einzige Zeile dieses Buches zu schreiben. Jekt unterliegt es keinem Zweifel mehr, daß Holbach der Verfasser ist. Grimm hat nach Holbach's Tod in der literarischen Correspondenz (Abth. 3, Bd. 5, S. 213 ff.) das langbewahrte Geheimniß verrathen; und die Berichte anderer Zeitgenossen sind übereinstimmend; vergl. Morellet, Memoiren, Paris 1823, Bd. 1, S. 138. Bei einzelnen Ausführungen wa ren auch Diderot, Lagrange und Naigeon betheiligt.

Paul Heinrich Dietrich Baron von Holbach war deutschen Ursprungs. Er war 1723 zu Heidenheim in der Pfalz geboren, war aber schon früh nach Paris gekommen und hatte eine durchaus französische Erziehung. Seine ersten Studien waren naturwissenschaftliche, hauptsächlich chemische gewesen. Er hatte, wie Grimm (a. a. D.) erzählt, mehrere deutsche chemische Werke in das Französische überseht; auch stammen viele chemische Aufsäge in der Encyklopädie von ihm. Später hatte er sich jedoch, be sonders auf Anregung Diderot's, der Philosophie zugewendet. Unermeßlich reich, machte er sein Haus zu einem der beliebtesten Vereinigungspunkte der philosophischen Kreise.

Das Système de la Nature ist das hervorragendste Buch Holbach's; eine Reihe anderer Schriften stehen neben ihm, es zu schüßen und weiter auszuführen. Es ist nicht leicht, sie mit Sicherheit zu erkennen; sie erschienen immer ohne Holbach's Namen und mit falschem Druckort. Vergl. Querard, La France littéraire, Vol. 4, S. 118 ff. Wir können zwei Klassen unterscheiden. Die einen Schriften behandeln die mehr metaphysische Seite, die anderen die ethische. Zu der ersten Klasse gehören die Lettres à Eugénie ou Préservatif contre les Préjugés

1768, welche, fichtlich Toland's Briefen an Serena nachgebildet, bereits den Materialismus in grellster Unumwundenheit predigen, sodann Le Bon Sens ou Idées naturelles opposées aux Idées surnaturelles 1772, ein Buch, von welchem Grimm (Abth. 2, Bd. 2, S. 412) boshaft sagt, daß es den Atheismus für Zofen und Haarkråusler zurechtlege, und das Examen critique sur la Vie et les Ouvrages de St. Paul 1770. Zu der zweiten Klasse da= gegen La Politique naturelle ou Discours sur les vrais Principes du Gouvernement 1773, Système social 1773, L'Éthocratie ou le Gouvernement fondé sur la Morale 1776, La Morale universelle 1776, Élémens de la Morale universelle 1790. Alle diese auf Sittenlehre bezüglichen Schriften find be= sonnen und maßvoll, aus dem Streben des Menschen nach Glückseligkeit alle Pflichten des Einzelnen wie des Staatslebens ableitend. Gewöhnlich werden Holbach auch noch einige Flugschriften zugeschrieben, welche zu jener Zeit viel Aufsehen erregten, besonders Le Christianisme devoilé ou Examen critique des Principes et des Effets de la Religion chrétienne, die Contagion sacrée, Le Militaire philosophe, die Théologie portative. Mit Unrecht. Jenes erste Buch ist von Damilaville; vergl. Voltaire's Werke Goth. Ausg. Bd. 67, S. 592; und die übrigen find von Naigeon, vergl. Damiron, Mém. pour servir à l'Hist. du 18me Siècle Bd. 2, S. 395 ff.

Holbach starb am 21. Februar 1789 in Paris, sechsundsechszig Jahre alt. Die Gerechtigkeit erfordert zu sagen, daß Holbach ein hartschaaliger Mensch mit weichem Kern war, durchaus edel und hochherzig. Diderot nennt ihn in seinem ersten Briefe an Mlle Voland (Bd. 1, S. 73) einen heiteren, wißigen und kräftigen Satyr; aber seinen Freunden war er ein treuer Freund, den Armen und Gedrückten ein hilfreicher Retter. Es werden die herzgewinnendsten Züge seiner aufopfernden Wohlthåtigkeit erzählt; in seinem Reichthum sah er nur das Mittel, das

Gute zu befördern und zu befestigen. Vergl. Damiron a. a. D. Bd. 1, S. 99 ff. Morellet, Denkwürdigkeiten Bd. 1, S. 132.

Rousseau hat Holbach in der Neuen Heloise als den edlen Engländer Wolmar geschildert. Und Grimm widmete ihm in der literarischen Correspondenz (Abth. 3, Bd. 5, S. 213) folgenden Nachruf: »Ich habe wenig so gelehrte und allgemein gebildete Månner wie Holbach angetroffen; ich habe deren nie gesehen, welche es mit weniger Eitelkeit und Ruhmsucht gewesen wåren. Ohne den lebendigen Eifer, welchen er für den Fortschritt aller Wissenschaften hatte, ohne den ihm zur zweiten Natur gewordenen Drang, Anderen Alles mitzutheilen, was ihm nüßlich und wichtig schien, hätte er seine beispiellose Belesenheit wohl niemals verrathen. Es verhielt sich mit seiner Gelehrsamkeit wie mit seinem Vermögen. Nie hätte man es geahnt, håtte er es verbergen können, ohne seinem eigenen Genuß und besonders dem Genuß seiner Freunde zu schaden. Einem Menschen von dieser Gesinnung mußte es nur wenig Mühe kosten, an die Herrschaft der Vernunft zu glauben; denn seine Leidenschaften und Vergnügungen waren grade so wie sie sein müssen, um das Uebergewicht guter Grundsåke geltend zu machen. Er liebte die Frauen, er liebte die Freuden der Tafel, er war neugierig; aber keine dieser Neigungen hatte ihn unterjocht. Er vermochte es nicht, Jemand zu hassen; nur wenn er von den Beförderern des Despotismus und des Aberglaubens sprach, verwandelte sich seine angeborene Sanftmuth in Bitterkeit und Kampflust.«

Fünftes Capitel.

Büffon.

Wenn das Système de la Nature es als den Grundmangel der überkommenen Metaphysik bezeichnet, daß sie über die Natur philosophire, ohne doch die Natur zu kennen, so trifft dieser inhaltschwere Vorwurf vor Allem den französischen Materialismus selbst. Er glaubte bereits über die lehten Spigen dreist absprechen zu können, während doch die naturwissenschaftliche Forschung kaum noch die ersten Grundlagen der ausschlaggebenden Thatsachen und Erscheinungen festgestellt hatte.

Büffon ist daher eine sehr wesentliche Ergänzung in den Bestrebungen jenes Zeitalters. Er ist ein Naturforscher im großen Stil. Büffon hat nicht minder als seine philosophirenden Zeitgenossen die Ergründung der höchsten Ideen im Auge; aber er betritt den Boden der Wirklichkeit, der erfahrungsmåßigen, auf Einzelkenntniß gestüßten Wissenschaft.

Georg Louis Leclerc, Graf von Büffon, am 7. September 1707 zu Montbard in Burgund geboren, ist einer jener einfach tüchtigen Menschen, welche ihr ganzes Leben auf ein einziges großes Ziel stellen und sich vor nichts sorgsamer als vor jeder Zersplitterung hüten. Im Jahr 1739 zum Vorsteher des Jardin des Plantes ernannt, ergriff er mit tiefster Begeisterung den ihm durch seine amtliche Stellung nahe gelegten Plan, der Geschichtsschreiber der Natur zu werden. Nach zehnjähriger Vorarbeit erschienen 1749 die ersten drei Bånde seiner großen „Histoire universelle générale et particulière", welche allmålich bis auf sechsunddreißig Bånde anwuchs. Die Vollendung wurde

Hettner, Literaturgeschichte. II.

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