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Biertes Capitel.

Robinet und Holbach.

In Diderot sist noch immer ein Stück Idealismus. Die urewigen Atome, aus welchen sich Diderot das All der Dinge entstanden denkt, sind in sich selbst thåtig und empfindend; es schafft und waltet in ihnen eine innewohnende organische Lebenskraft, eine gebundene aber treibende Weltseele.

Auf demselben Standpunkt steht Robinet, geboren 1735 zu Rennes, und gestorben ebendaselbst am 24. Januar 1820. Sein Buch de la Nature erschien 1761 in Holland. Es erregte seiner Zeit viel Aufsehen; vergl. Bachaumont, Mém. sécr. Bd. 1, S. 53. 66. Noch Hegel widmet diesem Buch in seiner Geschichte der Philosophie Bd. 3, S. 520. eine anerkennende Betrachtung.

Robinet geht von der berühmten Frage nach dem Ursprung des Uebels aus. Er leitet die Nothwendigkeit des Uebels aus dem Haushalt der Natur ab, in welcher Alles vergehe und doch Alles sich wiederherstelle. Woher aber die Mittel dieser Wiederher= stellung nehmen, wenn nicht aus dem Ganzen? Die Welt muß zwischen Leben und Tod getheilt sein; alle Individuen, verzehrend und verzehrt, tragen zur Dauer der Gattung nicht blos durch ihr Leben, sondern auch durch ihren Tod bei; die neuen Geschlechter leben auf Kosten der alten. So ist die Natur ein ewiges Auf und Ab. Und zwar nicht blos die Natur als Ganzes, sondern auch jeder einzelne Theil derselben. Jedes Wesen hat einen lebendigen Keim in sich, oder, wie Robinet sich ausdrückt, des animaux spermatiques; nicht blos das Thier

reich, sondern ebensosehr die Pflanzen, Mineralien, Luft, Feuer, Wasser, Erde, ja die Sterne. Das Leben des Individuum's ist nichts als die Entwicklung dieses Keimes. Der Geist ist nothwendig an das Nervenleben gebunden, alle Denk- und Willensthåtigkeit beruht auf ihm. J'ai une matière organisée, vivifiée, animée; mais peutêtre il faudrait que les autres eussent mes yeux pour voir le même phénomène."

Die Widersprüche und die Unklarheiten dieses Standpunktes werden gesteigert, indem in und neben dieser kraß materiellen Entwicklung doch noch der Glaube an Gott wiederkehrt, wenn auch allerdings nur unter dem Begriff einer in sich einheitlichen, schöpferischen, aber unfaßbaren Ursache, welcher Persönlichkeit und besondere Eigenschaften beizulegen nichts als trügerische und frevelhafte Vermenschlichung sei.

Es war daher immerhin eine Art Fortschritt, als sich dieser Materialismus auch der lehten idealistischen Hülle entledigte.

Dies geschah in dem berüchtigten Système de la Nature, welches im Jahr 1770 erschien und durch seine Kühnheit und Rücksichtslosigkeit die ganze gebildete Welt in Staunen und Schreck sette.

Nichts ist vorhanden, als die urewige durch sich selbst seiende Materie und deren Bewegung. Alles stammt aus dieser und kehrt in diese zurück. Ueberall strenge Nothwendigkeit, åußerer Mechanismus.

Bereits in der Vorrede ist der Grundgedanke klar ausge sprochen. Der Mensch, heißt es, müsse wieder zur Natur und Vernunft geführt werden; er sei nur unglücklich, weil er die Natur verkenne. Er habe Metaphysiker sein wollen, ehe er Physiker war; er habe die Wirklichkeit verachtet, um Hirngespinnsten nachzujagen, welche die Vernunft bethören und sie, wie Irrlichter den nächtlichen Reisenden, vom richtigen Weg verlocken. Daher ist das Werk in zwei Theile getheilt. Der erste giebt die Grund

linien der neuen Anschauung, welche sich als offenster Materialismus ankündigt; der zweite, rein polemisch, sucht die Theologie und ebenso die Philosophie, in so weit sich diese der theologischen Sahung und Gläubigkeit anschließt, durch den Nachweis ihres psychologischen Ursprungs aufzuheben und zu entkråften. Jener erste Theil führt die Ueberschrift: »Von der Natur und ihren Gesehen, vom Menschen, von der Seele und ihren Fähigkeiten, von der Unsterblichkeit und von der Glückseligkeit«<; der zweite: >>Von der Gottheit, von den Beweisen für das Dasein Gottes, von den göttlichen Eigenschaften, von der Einwirkung der Gottheit auf das Glück der Menschen.«

Der erste Theil ist der wichtigere. Er betrachtet von seinem Standpunkte aus die Hauptfragen der Natur-, Seelen- und Sittenlehre; freilich in sehr dürftigen und trocknen Umrissen.

Erstens. Die Metaphysik oder Naturlehre, Cap. 1–5. Der Mensch ist das Werk der Natur; er ist nur in ihr und ist an ihre Geseze gebunden; selbst in Gedanken vermag er nicht, sich von diesen Naturgesehen zu befreien. Wesen, welche als über der Natur stehend und von ihr abgetrennt gedacht werden, sind immer nur Hirngespinnste; von der Beschaffenheit und von dem Aufenthaltsort solcher Wesen ist ein klarer und wahrer Begriff schlechterdings unmöglich. Also füge sich der Mensch in diese Schranken und mache die ihn umgebende Natur selbst ausschließlich zum Gegenstand seiner Forschung! Thut er dies, so wird sich ihm zeigen, wie ungehörig die beliebte Trennung in einem sinnlichen und geistigen Menschen ist. Der Mensch ist wesentlich sinnlich; seine geistige Natur ist ebenfalls diese seine Sinnlichkeit, nur unter einem bestimmten Gesichtspunkt betrachtet. Alle unsere Gedanken, Willensbewegungen und Handlungen sind nur die nothwendigen Wirkungen der Wesenheit, welche die Natur in uns gelegt hat, und der Umstände, durch welche die Natur uns nöthigt, åußere Eindrücke und durch diese auch innere Stimmungen zu

erleiden. Einzig Unkenntniß der Natur und Mangel an Erfahrung ist es, daß der Mensch sich Götter gemacht hat, welche seine Hoffnung und seine Furcht beherrschen. Die Natur, gleich fern von Güte wie von Haß, befolgt ihre nothwendigen und unverbrüchlichen Geseze, indem sie Wesen hervorbringt und vernichtet und Gutes und Uebles austheilt. Die Natur zeigt uns nur eine unendliche und ununterbrochene Kette von Ursachen und Wirkungen. Sehr mannichfaltige und sehr verschiedenartig zusammengesetzte Stoffe oder Materien empfangen und erwidern unaufhörlich verschiedene Bewegungen; aus diesen verschiedenartigen Bewegungen und Verbindungen entspringen mit Nothwendigkeit die verschiedenen Eigenschaften und Daseinsformen der Dinge. Auch der Mensch mit seinem Fühlen, Denken und Handeln ist das Ergebniß und der Niederschlag solcher bewegter und durch diese Bewegung untereinander verbundener Stofftheile. Was die Menschen Gott nennen, ist also vielmehr nur die Materie selbst und deren unablåssige Bewegung und Thätigkeit. Bewegung und Thätigkeit ist der Grundzug der Natur. Alles vergrößert und verkleinert sich, entsteht und vergeht. Alles ist in unausgesetzter Veränderung; kein Ding ist in Ruhe, obgleich es mit der stårkeren Bewegtheit anderer Dinge verglichen in Ruhe zu sein scheint. Daher die ewige Verwandlung der Natur, der stete Stoffwechsel, der Kreislauf aller Theilchen. Die Theilchen (Molecůlen) trennen sich, um neue Körper zu bilden; der eine Körper nåhrt den andern; die entlichenen Grundstoffe kehren sodann wieder in die allgemeine Masse zurück; die Summe der Materie bleibt immer dieselbe. Daher aber auch die unentrinnbare Nothwendigkeit in der Natur. Der sichtbare Zweck aller Bewegungen der Körper ist Erhaltung ihrer gegenwärtigen Daseinsform, d. h. Anziehen des Günstigen, Abstoßen des Feindlichen. Alle diese Bewegungen des Körpers aber sind nothwendig, denn die Ursachen derselben liegen in seinem Wesen und Dasein; jedes Wesen

kann nach seinen ihm innewohnenden Eigenschaften nur so handeln wie es handelt. Die Wahrnehmung der nothwendigen und regelmäßigen Bewegungen in der Natur erzeugte den Begriff der Weltordnung; was dieser Ordnung zuwiderläuft, wird meist als Unordnung bezeichnet. In Wahrheit aber kann weder Ordnung noch Unordnung, weder Regelmäßigkeit noch Unregelmäßigkeit in der Natur sein, da ja Alles mit Nothwendigkeit und nach ewigen Gesezen geschieht. Diese Begriffe sind nur willkürliche Vorstellungen, welchen die Wirklichkeit nicht entspricht. Der Tod z. B. erscheint uns als die größte aller Unordnungen und doch ist er nur eine Verånderung unserer Bestandtheile, ein Uebergang in eine andere Daseinsform. Wunder, d. h. Wirkungen, welche den unabånderlichen Gesehen der Natur widersprechen, sind unmöglich; was als Wunder auftritt, ist entweder Erdichtung und Betrug, oder eine Erscheinung, welche wir, weil uns ihre wahre Ursache unbekannt ist, auf ertråumte Ursachen zurückführen. Ebenso ist es nur eine unseren menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten angepaßte, ganz willkürliche Vorstellung, wenn wir von einer die Ordnung der Natur leitenden, bewußten Vernunft sprechen. Weil der Mensch sich selbst außer Stand fühlt, jene gewaltigen Wirkungen der Natur hervorzubringen, sucht er sich dieselben dadurch zu erklåren, daß er sich die Fähigkeiten jenes Wesens, welches er zum Urheber und Erhalter der Welt erhebt, nach Maßgabe seiner eigenen Eigenschaften und Fähigkeiten vorstellt, nur größer und mächtiger. Wie aber? Müßte nicht ein solches bewußtes, denkendes und handelndes Wesen bestimmte sinnliche Organe haben, denn ohne sinnliche Organe keine Ideen und Handlungen? Damit fållt die Annahme eines über- und außerweltlichen Wesens. Sie ist aber auch durchaus nicht erforderlich. Die Materie selbst auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung angelangt, nimmt Handlung, Bewußtsein und Leben an.

Zweitens. Die Seelenlehre, Cap. 6-14. Der Mensch steht

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