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Drittes Capitel.

Die Oekonomisten.

Quesnay und seine Schule.

An der Seite Voltaire's und Montesquieu's stehen die Dekonomisten. Wie Jene auf die kirchlichen und staatlichen Fragen, so wirken diese auf die wirthschaftlichen. Was ist Denkund Gewissensfreiheit, was Freiheit der Verfassung, wenn die Noth und der Druck des Lebens das Glück und den Genuß jener idealen Güter entweder völlig aufhebt oder doch wesentlich verkümmert?

Noch immer herrschten die Grundsätze des sogenannten Merkantilsystems, das die Vermehrung oder Verminderung des Nationalreichthums lediglich in der Vermehrung oder Verminderung des im Lande befindlichen Goldes und Silbers, in der Bemůhung um eine vortheilhafte Handelsbilanz sah. Daher entschiedene Bevorzugung der städtischen Erwerbszweige und besonders des auswärtigen Handels vermittelst vieler Privilegien, Monopole und Zölle, genauer Gewerbevorschriften und strenger Verbote der Ausfuhr der edlen Metalle und der zur inlåndischen Verarbeitung tauglichen Rohstoffe. Diese Grundsåße, so verkehrt und einseitig sie waren, hatten so lange Dauer, weil sie den Hauptzweck aller damaliger Staatskunst, die möglichst schnelle Herbeischaffung bedeutender Summen zur Bestreitung der Kriege und des Hofhalts am besten befriedigten. Aber endlich konnte doch der Rückschlag nicht ausbleiben. Vauban und Boisguillebert hatten ihn vorbereitet; seine volle Entwickelung fand er in Quesnay.

François Quesnay (geb. 1694, gest. 1774) war Leibarzt des Königs und hat sich auch durch årztliche Schriften einen geschäßten Namen erworben. Auf dem Lande geboren, hatte er der Lage der Landbevölkerung von Jugend auf sein tiefstes Nachdenken gewidmet; und seine Vorliebe für dieselbe war nur gesteigert worden, als sich im jåhen Schiffbruch der Law'schen Finanzunternehmungen der Grundbesitz als das einzig Feste und Bleibende zeigte. Er trat als erbitterter Feind der leitenden Volkswirthschaft auf. Sein Hauptwerk ist „Tableau économique", welches im Jahr 1758 zu Versailles erschien. Darauf folgte „Essai sur l'Administration des Terres, Paris 1759,« Physiocratie ou Constitution naturelle du Gouvernement le plus avantageux au Genre humain, Leyden und Paris 1768.“ Auch stammen von Quesnay einige volkswirthschaftliche Abhandlungen der Encyklopädie.

Grund und Boden, als alle Stoffe hervorbringend, gilt als die alleinige und ausschließliche Quelle des Reichthums; die Bodenbearbeitung ist die einzige Beschäftigung, welche die Gütermasse vermehrt. In dem Ertrage des Bodens allein ist ursprüngliches Einkommen; durch die Mitwirkung der Natur wird ein Ueberschuß, produit net, Reinertrag, über das gewonnen, was zur Erhaltung der dabei Beschäftigten nöthig war. Nur die Landwirthe, welche den Boden bebauen, und die Grundeigenthümer, welche die Grundrente beziehen, sind die »productiven« Klassen der Gesellschaft; alle übrigen Klassen, Künstler, Kaufleute, Aerzte, Gelehrte, Handwerker, welche keine neuen Dinge hervorbringen, sondern nur die Formen der vorhandenen verändern, sind »>unproductiv«, unfruchtbar, von ihnen geht keine Vermehrung des Gesammtkapitals aus, sie sind höchstens die besoldeten Diener der Ackerbauer. Der innerste Kern dieser Ansicht ist durch den Wahlspruch bezeichnet, welchen Quesnay seiner Schrift vorsezte: ,,Pauvres paysans, pauvre royaume; pauvre royaume, pauvre

roi." Daher der Name der Physiokratie, welchen sich diese Lehre beilegte. Die Natur ist das allein Herrschende und Maßgebende.

Wer durchschaut jeht nicht das Einseitige und Unzulängliche dieser Lehre? Ganze Gebiete fruchtbarster Reichthumserzeugung werden völlig verkannt und daher in höchst verderblicher Weise vernachlässigt und mißhandelt. Unter den Anhängern selbst erhob sich, namentlich in Vincent de Gournay, eine Schattirung, welche sich des geschmähten und vernachlässigten Handels und Gewerbfleißes annahm. Aber diese Einseitigkeiten und Unzulånglichkeiten wurden zunächst völlig aufgehoben durch die weitgreifenden und segensreichen Forderungen, welche diese Lehre an den Staat stellte. Je mehr der Landbau unter dem Druck der Frohnden und Abgaben, das Gewerbe unter dem Zwang der Zünfte, der Handel unter den Hemmungen der unzähligen örtlichen Mauthen, und jeder Erwerb ohne Ausnahme unter den kleinlichsten und rücksichtslosesten Maßregelungen und Gångeleien litt, desto lauter und fester erhob sich jetzt der Widerstand gegen diese Fesseln. Nicht långer sollten alle Lasten und Opfer, alle Bedrückungen und Entbehrungen einzig auf dem Landmann liegen, der doch einzig nur der Ernåhrer der unfruchtbaren Verzehrer sei. Theilbarkeit des Bodens, Beseitigung aller Monopole, freie Concurrenz wurde das Losungswort. Laissez faire, laissez passer.

Der Eifer dieser Schule war unermüdlich, der Erfolg der= selben tiefgreifend und glänzend. Für die wissenschaftliche Begründung und Fortbildung waren besonders thätig Gournay (Essai sur l'Esprit de la Législation favorable à l'Agriculture, 1766), Mercier de la Rivière (L'ordre naturel et essentiel des Sociétés politiques, 1767), Dupont de Nemours (Physiocratie ou Constitution naturelle du Gouvernement le plus avantageux au Genre humain, 1768), Letrosne (De l'Intérêt social, 1777), Turgot (Recherches sur la Nature et l'Origine des

Richesses, 1774, Réflexions sur la Formation et sur la Distribution des Richesses, 1784). Für die Verbreitung entstanden eine Reihe von Zeitschriften, das Journal d'Agriculture von Dupont de Nemours und dem Abbé Boubaud, die Éphémérides du Citoyen vom Abbé Baudeau und besonders l'Ami des Hommes von Mirabeau, dem Vater des berühmten Revolutionshelden. Voltaire sagt in der Abhandlung Blé des philosophischen Wörterbuchs: »Die Nation, ermüdet von Versen, Trauerspielen, Lustspielen, Opern, Romanen, abenteuerlichen Geschichten und theologischen Zånkereien, begann endlich über die Wichtigkeit des Getreides nachzudenken.« Erleuchtete und edle Fürsten und Staatsmånner, wie Türgot, Karl Friedrich, Markgraf von Baden, Mylord von Lansdown, Leopold von Toscana, Joseph II., wendeten diese Grundsäße werkthåtig in der Verwaltung an und find dadurch trok aller Mißgriffe und Uebertreibungen für das Emporblühen des Ackerbaues und für das Glück der ländlichen Bevdlkerung die ruhmwürdigsten Wohlthåter der Menschheit geworden.

Es ist geschichtliche Thatsache, daß diese Oekonomisten nur wenig Einsicht in freies Verfassungsleben hatten. Erst neuerdings wieder hat Tocqueville in seinem vortrefflichen Buch Sur l'ancien Régime (Bch. 2, Cap. 15, S. 240—58) mit großer Belesenheit hervorgehoben, wie das Verwaltungsideal derselben der sogenannte aufgeklärte Despotismus ist, weil dieser für alle Verbesserungen und Umgestaltungen die bequemsten und durchgreifendsten Mittel biete; le système de contreforces, sagt Quesnay ausdrücklich, est une idée funeste. Wir dürfen uns daher nicht wundern, wenn einige der angesehensten Zeitgenossen, wie Voltaire in der satirischen Erzählung des Homme aux quarante Ecus, Montesquieu in einer Abhandlung seines Esprit des Lois (Bch. 20, Cap. 23) und Grimm in der Liter. Correspondenz (Abth. 2, Th. 1, S. 1) diese Dekonomisten theils mit Ernst theils mit Spott verfolgen.

Es ist ferner geschichtliche Thatsache, daß der Standpunkt dieser Dekonomisten wissenschaftlich unhaltbar ist. Es war die epochemachende That Adam Smith's, daß er an die Stelle der Productionskraft des Bodens den Werth der menschlichen Arbeit sezte. Nicht die Rohstoffe allein, sondern ebenso sehr ihre Bearbeitung und kaufmånnische Vertreibung sind Gütergewinn.

Trok aller dieser Schwächen und Einseitigkeiten gehören diese Oekonomisten zu den verdienstvollsten Förderern des geschichtlichen Fortschritts. Adam Smith hat die Physiokraten gestürzt; aber es ist nicht zu vergessen, daß Adam Smith aus den Phyfiokraten hervorgegangen. Vergl. Literaturgeschichte des achtz. Jahrh. Th. 1, S. 370. Und schön sagt Blanqui in der Histoire de l'Économie politique Paris 1845. Th. 2, S. 94: >>Was diese hochherzigen Freunde der Menschheit auszeichnet, das ist vor Allem ihre bewunderungswürdige Rechtschaffenheit und unbedingte Selbstlosigkeit. Sie suchten weder Glanz noch åußeren Lårm; sie griffen keine der bestehenden Gewalten an und trachteten nicht nach eitler Volksthümlichkeit, obgleich sie aufrichtig das Volk liebten; sie waren Menschenfreunde im edelsten Sinne. Ihre Bücher find vergessen; aber sie haben eine fruchtbare Saat ausgestreut; ihre Lehren sind über die ganze Welt gewandert, haben den Gewerbfleiß entfesselt, den Ackerbau gehoben und die Freiheit des Handels vorbereitet.«

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