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verhaßter waren, je mehr er zuleht von Jesuiten beherrscht wurde. Es konnte scheinen, als habe der König gesiegt; aber thatsächlich war der Sieg eine sehr empfindliche Niederlage. Durch die Vertreibung der Huguenotten waren Handel und Gewerbfleiß in ihrer triebkräftigsten Wurzel angegriffen; und auch für die åußere Lage wurde es entscheidend, daß fortan die protestantischen Mächte sich gereizt und erbittert zeigten. Und auf die Seite der verfolgten Jansenisten stellte sich Alles, was inmitten des gesteigerten allgemeinen Druckes sich an Freifinn und Widerstand regte. Die Losung zu öffentlicher Mißachtung und Bekämpfung der königlichen Befehle war gegeben; die Haltung der Parlamente wurde störrischer. Der König sollte sich nicht einmal rühmen, daß die volle Geltung jener vier gallicanischen Såhe langen Bestand habe. Schon im Jahre 1693 konnte Papst Innocenz XII., ermuthigt und unterstüßt durch die gegen Ludwig verbündeten Mächte den Gegenschlag durchsehen, daß der größte Theil jener Prålaten, welche an der Versammlung von 1682 theilgenommen, bei dem påpstlichen Stuhl demüthig um Entschuldigung bat und daß sogar der König selbst jene Såße, wenn auch nicht widerrief oder verbot, so doch in ihrer bindenden Ausschließlichkeit mildern mußte. Aber seine grausame religiöse Verfolgungssucht blieb nichtsdestoweniger unveråndert dieselbe und wurde sogar immer heftiger.

Plöhlicher noch und weit handgreiflicher unterwühlten die unausgesetzten Kriege den Boden. Ludwig XIV. war von Natur nicht kriegerisch; nie hat er selbst Truppen in die Schlacht geführt.. Gleichwohl suchte und liebte er den Krieg. Man hat gesagt, eine französische Regierung könne nur Halt gewinnen, wenn sie Furcht und Bewunderung zu erwecken wisse; Furcht durch ihre Stärke und Gewalt, Bewunderung durch die Kunst, die öffentliche Meinung unaufhörlich durch aufregende Thaten und Ereignisse zu beschäftigen und zu überraschen. Wie spåter Napoleon, so hatte auch Ludwig gåhrende Unruhen und Bürger

kriege niederzuhalten und fühlte daher eben so wie Jener die mit Begier ergriffene Nothwendigkeit, die kampfluftigen Kräfte, welche sich sonst zerstörend nach Innen gewendet håtten, zum Nußen des Landes nach Außen zu kehren. Die ersten glänzenden Erfolge wirkten berauschend auf ihn. »Ihr Reich zu vergrößern,« schreibt er noch am 8. Januar 1688 an den Marquis von Villars, »ist die würdigste und angenehmste Beschäftigung der Kdnige. Auch in ihm erwachte der hochstrebende Plan einer allgemeinen Weltbeherrschung. Herr von Frankreich wollte er auch Herr von Europa sein oder doch wenigstens das unbestrittene Uebergewicht haben. Nun folgen alle die zahllosen, ungerechten und mörderischen Kriege, welche mehr als zwei Menschenalter hindurch die ganze Welt in Schrecken und rastlose Bewegung sehten. Trotz aller Schwankungen und Wechselfålle blieb allerdings der Vortheil des Krieges entschieden auf der Seite Frankreichs. Jedoch die tiefen Wunden, welche diese Kriege dem Lande schlugen, verharschten nicht.

Dazu kommen die alles Maß übersteigenden Summen, welche der König für seine Gårten und Bauten und für seinen kostspieligen Hofhalt beanspruchte. Glanz und Pracht hielt er für die Erscheinung der Majeståt unerläßlich; überdies hatte er den furchtbaren Grundsaß, daß ein König Almosen gebe, indem er verschwende.

In kurzer Zeit waren die großen Bestrebungen Colbert's um Ordnung und Hebung des Staatshaushaltes völlig vernichtet. Die niederträchtigste Beutesucht trat an die Stelle; nicht die Leistungs-, sondern die Entbehrungsfähigkeit des Volkes war der Maßstab der Steuerkraft. Das Land war verödet und entvölkert, Handel und Ackerbau stand verlassen, das Volk war verarmt und nahrungslos, die Sitten waren verwildert. Durch alle Schichten der Bevölkerung ging in gleicher Weise Groll und tiefste Unzufriedenheit. Die Verzweiflung seufzte nach Be

freiung und machte sich sogar bereits in einzelnen Aufstånden Luft.

Herder sagt in der Adrastea von Ludwig XIV.: »Wenn in der Lebens- und Regierungsgeschichte eines Königs die strengmilde Nemesis sichtbar geworden, so ist es in der seinigen; er lebte und regierte lange genug, um ihr langsames Rad sich um und um kehren zu sehen, und was er mit sorglos königlicher Hand reich gesåef hatte, auch sorgenvoll königlich zu ernten.«< Es ist tragisch erschütternd, daß, wie die Denkwürdigkeiten von Saint Simon (Bd. 12, S. 483) erzählen, der König vier Tage vor seinem Tode den dereinstigen Thronfolger, seinen Urenkel, rufen ließ und an ihn folgende Worte richtete: »Mein Kind, Du sollst bald ein großer König werden; ahme mich nicht nach in der Lust am Bauen und Kriegen; im Gegentheil, suche den Frieden mit Deinen Nachbaren zu erhalten. Folge ohne Unterlaß guten Rathschlägen; strebe darnach, die Lasten Deiner Unterthanen zu erleichtern; ich habe es unglücklicherweise nicht immer thun können.« Der König sprach sich selbst sein Urtheil.

Am 1. September 1715 starb er. Die Kunde vom Hinscheiden des Königs erregte überall die unverholenste Freude. Jenes Geschlecht, welches die Segnungen seiner Regierung empfunden, war långst vor ihm ins Grab gesunken; die Lebenden kannten nur den Druck und das Unglück der letzten Jahre. Die schreckliche Gedächtnißrede Massillon's auf der Kanzel und die ausgelassenen Spottreden auf der Straße athmen denselben langverhaltenen Ingrimm. Die erste Handlung, welche der Regent und das von ihm berufene Parlament von Paris vornahm, war die Umstoßung des königlichen Testaments. Als Palastrevolution begann, was wenige Jahrzehnte spåter in offene Volksrevolution ausbrach.

War es unter diesen Umstånden zu verwundern, daß auch in der Literatur dieselbe tiefberechtigte Wendung eintrat? Der

Widerstand ist sowohl ein politischer wie ein religiöser. Und er erhebt sich selbst in der nächsten Nähe des Thrones.

Der politische Widerstand geht auf die naturgemäße Befreiung des Volkes als der einzig sicheren Aenderung und Lösung der bestehenden Mißstånde. Hierher gehört das höchst merkwürdige, aber jetzt sehr seltene Buch, welches 1690 unter dem Titel: Les Soupirs de la France" zu Amsterdam erschien; es fordert gegen die eigensüchtigen Uebergriffe der unumschränkten königlichen Macht die Wiedereinsehung der alten Generalstånde, vergl. Lemontey Essai sur l'établissement monarchique de Louis XIV. Paris 1818. S.429. Aber der wirksamste und hervor ragendste Ausdruck dieser Richtung sind die politischen Schriften und Rathschlåge Fenelon's und die volkswirthschaftlichen von BoisGuillebert und vom Marschall Vauban.

Leidenschaftlicher noch und noch rückhaltsloser und eingreifender entbrannte der religiöse Kampf. Besonders laut erhoben sich die Stimmen der vertriebenen Huguenotten, deren auf Frankreich berechnete Schriften auf allen Wegen und Stegen und in alle Volksschichten aus den Niederlanden herüberdrangen. Sie fanden um so lebhafteren Nachhall, da die Jansenistenverfolgungen ohnehin alle Gemüther im Tiefsten aufregten. Das Haupt ist Bayle.

Wir stehen an einer großen Wetterscheide. Hier ist der Ursprung jener gewaltigen politischen und religiösen Kämpfe, welche das achtzehnte Jahrhundert zu einem der bedeutendsten der ganzen Geschichte machen. Mit ungestümer Raschheit wuchsen sie von Tage zu Tage, bis sie zuleht zum völligen Umsturz des bestehenden Staates und der bestehenden Kirche führten.

Grade diese Anfänge aufs sorgsamste zu belauschen, ist die unerläßliche Aufgabe des Geschichtschreibers. Sie sind die Schlußkatastrophe in der Tragödie Ludwigs XIV. und als solche

zugleich die Grundlage der neueren staatlichen und kirchlichen Entwickelung, an deren Werden und Reifen wir Alle noch mit unserem tiefsten Lieben und Hassen betheiligt sind.

3weites Capitel.

Die Anfänge der Oppositionsliteratur.

1.

Fenelon.

Erst die neuere Zeit hat einen vollen Einblick in Fenelon's innerste Thätigkeit gewonnen. Diese Thätigkeit ist eine vorwiegend politische. Ja, vielleicht haben Diejenigen nicht Unrecht, welche meinen, Fenelon habe gehofft, dereinst, wie Richelieu und Mazarin, selbst an das Staatsruder zu kommen.

François Salignac de Lamothe-Fenelon wurde am 6. August 1651 auf dem Schloß Fenelon, im jeßigen Departement Dordogne, als Sprößling eines altadligen Geschlechts geboren. Zum Geistlichen bestimmt, wurde er in Paris erzogen. In seiner Jugend tråumte er von fernen Missionen, besonders Griechenland lockte ihn; Delphi, den Parnaß und das Tempethal wollte er sehen; und er wollte in Athen predigen, wo seine Vorbilder, Sokrates und der Apostel Paulus, gewirkt und gelehrt hatten. Aber schon früh waren Bossuet und die Herzöge von Beauvilliers und Chevreuse auf ihn aufmerksam geworden. Man übertrug ihm

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