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die Propheten und die Apostel. Die alten Aegypter und Germanen find Deisten. Julianus Apostata ist einer der größten Helden und Weisen; nur aus Staatsklugheit mußte er sich dem Aberglauben des Heidenthums geneigt zeigen.

Es ist gewiß, diese Uebertreibungen sind thöricht und unwahr; und doch liegt in ihnen ein sehr bedeutender Zug. Man suchte in der Vergangenheit die Bürgschaft für die Zukunft. Man wollte zeigen, daß man sich nicht eitel für unausführbare Träumereien erhitze und daß in anderen Zeitaltern und unter glücklicheren Erdstrichen bereits verwirklicht gewesen, was man als zu erstrebendes Endziel hinstellte.

3.

Voltaire als Dichter.

Voltaire eröffnete seine glänzende Laufbahn mit dichterischen Werken und als Dichter ist er zunächst auch berühmt geworden. Und doch war die Dichtung für ihn niemals ein inneres Bedürfniß, niemals der angeborene und naturnothwendige Ausdruck seiner tiefsten Eigenthümlichkeit. Reim, Erzählung und Bühnendarstellung werden, insofern sie nicht lediglich aus Eitelkeit und åußerer Glanzsucht hervorgehen, von ihm besonders darum ergriffen, weil sie die faßlichste und gewinnendste Form sind, sein religiöses und politisches Denken in alle Kreise zu bringen. Seine Dichtungen sind Pamphlets. Von einem seiner Stücke, von Olympia, sagt Voltaire in einem Briefe an d'Alembert ganz ausdrücklich, er habe diesen Stoff gewählt, weniger um eine Tragödie zu schreiben, als vielmehr um am Ende des Stückes Anlaß für Betrach

tungen über Mysterien, über die Uebereinstimmung der alten und neuen Opfer, über die Pflichten der Priester und über die Einheit Gottes zu finden. Pflegt die neuere Kunstlehre solche ausschließlich auf äußere Rücksichten und Zwecke gerichtete Dichtung als Tendenzdichtung zu bezeichnen, so ist Voltaire vornehmlich ein solcher Tendenzdichter.

Nirgends daher der frische und belebende Hauch ächt dichterischer Stimmung. Seine Gestalten und Situationen sind nur verståndig ausgeklügelte Beispiele und Sinnbilder allgemeiner Begriffe. Alles ist lehrhaft; Alles geht auf epigrammatische Zuspihung, auf augenblickliche Nuhanwendung. In allen Dichtungen hat sich Voltaire versucht; die höchsten Gattungen des Drama, des Epos und der Lyrik dünkten seinem kühnen Wagen erreichbar. Aber ein Lied aus voller Brust ist ihm nicht gelungen, seine Hymnen und Oden sind zum größten Theil schwülstig; sein Epos ist ohne Gestalt und Leben; seine Dramen sind voll schdner und edler Gedanken, oft von überraschenden Einzelnheiten, aber ohne dramatische Handlung und Spannung. Heimischer dagegen ist er in der zwitterhaften Gattung des Lehrgedichts. Und am besten gelingen ihm die epigrammatischen kleinen Gedichte, die sogenannten Poésies fugitives, und die satirischen Erzählun= gen. Voltaire ist Meister, wo der Esprit ausreicht; er ist das Genie des Esprit.

Die Tragödien.

Die bedeutendsten Tragödien Voltaire's sind: Oedipus 1718, Brutus 1730, Zaire 1732, Cåsar 1735, Alzire 1736, Mahomet 1741, Merope 1743, Semiramis 1748, Rome sauvée 1752, L'Orphelin de la Chine 1755, Tancred 1760.

Einzelne dieser Stücke, wie besonders Zaire, verharren in den Schranken der ausschließlich auf den Einzelmenschen bezüglichen Leidenschaft der Liebe und Eifersucht; die meisten aber treten hinaus in das öffentliche Leben, in die drangvollen Kåmpfe des Staats und der Kirche. Corneille und Racine hatten das Königthum und den Glauben verherrlicht; Voltaire führt lieber die Größe römischer Freiheit und die Gråuel pfåffischen Trugs vor. In eine unterdrückte Zeit warf Voltaire die flammenden Gestalten eines Brutus, Cåsar, Catilina und Cicero, die, wenn nicht durch festumrissene Charakterzeichnung, so doch durch leidenschaftliche Begeisterung und volltönende Rede schlummernde Ideale wieder wachriefen. Ja Voltaire verargt sich dabei nicht, absichtlich die unleugbaren Ereignisse zu fålschen, wenn solche Fälschung von seinen Zwecken erfordert scheint. Hatte Shakespeare mit tiefblickendem Geschichtssinn die Darstellung Cåfar's bis zur verhångnißvollen Entscheidung der Schlacht von Philippi weitergeführt, so bricht Voltaire's Cåfartragödie, obgleich offenkundig von der Anregung Shakespeare's ausgegangen, mit dem Tode des Helden selbst ab und endet mit der berühmten Rede, daß die Knechtschaft nicht siegen solle über die Freiheit. Semiramis und L'orphelin de la Chine wurzeln in derselben Stimmung. Wie also erst die religiösen Stoffe, bei denen Voltaire's Hoffen und Streben noch so unendlich tiefer betheiligt ist? Hatte Voltaire schon als aufstrebender Jüngling im Oedip zu sagen gewagt, daß die Priester nur Kraft und Bestand håtten, weil das Volk thōricht genug sei, an sie zu glauben, so wird dieser Gedanke im Mahomet unbe denklich zum Grundmotiv des ganzen Stücks ausgesponnen. Mahomet ist nichts als ein kalter Betrüger oder, wie Voltaire selbst in einem Briefe an Friedrich den Großen (Bd. 58, S. 17) sich ausdrückt, ein Tartuffe mit dem Schwert in der Hand. Am 1. September 1742 schreibt Voltaire an César de Missy, den französischen Gesandtschaftsprediger in England (Lettres inédi

tes, rec. par Cayrol, Paris 1856, Th. 1, S: 453): »Mahomet ift Tartufe le Grand. Ich habe in diesem Werk zeigen wollen, zu welch fürchterlichen Ausschweifungen der Fanatismus schwache Seelen führt, wenn diese unter der Leitung eines Schuftes stehen; mein Stück stellt unter dem Namen Mahomet's den Prior der Jacobiner dar, welcher den Dolch in die Hand Jacques Clement's legt. Es ist ebenso verwunderlich, daß Benedict XIV., als Voltaire die Frechheit hatte, ihm den Mahomet zuzusenden, ihm mehrere Dankbriefe schreiben konnte, wenn auch ziemlich äußerliche und gemessene, wie es verwunderlich ist, daß Napoleon bei der großen Fürstenzusammenkunft in Erfurt grade den Tod Casar's aufführen ließ.

Bei dem ersten Erscheinen des Oedipe erklärte der alte Lamotte staunend, Corneille und Racine håtten jeht einen würdigen Nachfolger gefunden. Auch Laharpe ist noch derselben Meinung. Wie man aber auch über den dichterischen Werth jener beiden Tragiker denke, von einer Ebenbürtigkeit Voltaire's kann unter keinen Umständen die Rede sein. Die Angriffe Lessing's und A. W. Schlegel's bestehen in unveränderter Kraft. Selbst in Frankreich sind Voltaire's Tragödien jeht veraltet.

Man pflegt Voltaire auch in der Tragik als einen Neuerer zu betrachten. Und, freilich sind Neuerungen vorhanden. War bisher die französische Tragödie ohne Liebesintriguen undenkbar gewesen, so legt Voltaire Werth darauf, daß er Tragödien ohne diese pflichtschuldige Zuthat geschrieben; ja er giebt, der in seinem Jugendwerk dargestellten Leidenschaft Philoktet's für Jokaste spottend, in der Widmungsvorrede zur Zulime den von Liebesintriguen befreiten Stücken den entschiedensten Vorrang. Voltaire wagte in der Zaire französische und in anderen Stücken sogar chinesische, amerikanische und afrikanische Helden, so wie in der Alzire eine Begebenheit aus der neueren Geschichte darzustellen, während bis dahin die Hoffähigkeit der tragischen Helden und

Fabeln in weit engere Grenzen eingeschlossen gewesen; in der Eriphyle und in der Semiramis wagte er sogar die mahnenden Geister der Abgeschiedenen herbeizurufen. Aber die finnlose Art, wie er hier englische Vorbilder handhabt, zeigt hinlänglich, daß es nur auf einige äußerliche Theaterwirkungen abgesehen ist. Alles, was nur im Geringsten tiefer in die alten Verschanzungen eindringt, findet in Voltaire einen unerbittlichen Gegner. Der innerste Kern des Klassizismus gilt auch ihm als unangreifbar.

Damit ist von Hause aus bezeichnet, wie das Verhältniß war, welches Voltaire zu den Alten und zu Shakespeare hatte. Voltaire kennt die Alten nicht und spricht daher von ihnen immer nur mit jener selbstgefålligen Ueberhebung, welche einzig der Unwissenheit eigen ist. Nach seiner Ansicht (vergl. Essai sur les Moeurs, Goth. Ausg. Bd. 18, S. 99) wiegt die Mandragola Macchiavelli's den ganzen Aristophanes auf, der rasende Roland die Odyssee, das befreite Jerusalem die Iliade; nach einigen Jahrhunderten, meint er, werde man gar nicht erst solche unnüße Vergleiche anstellen. Die griechischen Tragödien, sagt L'Ingénu im zwölften Capitel (Bd. 44, S.395), find gut für die Griechen; wer aber die Iphigenie, die Phädra, die Andromache, die Athalie der Franzosen kennt, kann freilich an ihnen weder Entzückung noch Rührung finden. Ebenso schreibt Voltaire im Jahre 1768 an Horace Walpole (Bd. 67, S. 507), daß alle griechischen Tragödien gegen Corneille und Racine Schülerarbeiten seien, Paris habe viel mehr Menschen von Geschmack als Athen je gehabt habe; wie er auch im März 1737 Friedrich dem Großen die wunderliche Schmeichelei sagt, daß Athen dereinst weit hinter Berlin zurückstehen werde. Als Voltaire diese abgeschmackten Prahlereien auch in der Vorrede zur Semiramis wiederholte, fertigte ihn Lessing in der Dramaturgie (Lachm. Bd. 7, S. 47) mit der kurzen Bemerkung ab, hie und da möchte vielleicht ein Ausländer, der die

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