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Rüge vollkommen gegründet. Viele deutsche Juristen werden sich auch noch Selchows und Kochs erinnern, die so hoch gingen und doch die gemeinsten Schimpfredner waren, vorzüglich wenn sie beide sich zu widerlegen hatten ; Gießen und Marburg liegen fich ein bischen zu naheman weiß, wie Nachbarn find - Selchow schloß also einst eine Vorlesung über die Erzämter des heiligen römischen Reichs: Nun kennen Sie alle Erzämter, nur an eins werden Sie schwerlich denken, das Koch zu Gießen bekleidet, das Erzflegelamt!”

Der lateinische Satyr erwachte wieder zu einer Zeit, wo man es nicht geglaubt hätte, und über einen Mann, mit dem er sich schon sattsam in fast allen lebenden Sprachen befaßt hatte, über Napoleon; Dr. Bispink lieferte vierhundert lateinische Gedichtchen in seinem Werkchen: Napoleon ad praecipua regiminis et bellorum suorum momenta satiricis versibus adumbratus. Hal. 1815. 8., (1) worunter nur wenige gelungen und die Farben im Ganzen gar zu schwarz aufgetragen find. Mehr Beifall fand eine furze lateinische Satire: Passio Christi (2) betitelt, am Congreß zu Rastatt; das Leiden Chrifti und die Worte der Passionsgeschichte wird auf das deutsche Reich und die Abgeordneten angewandt, und was man am wizigsten fand, waren die Worte, an die Abgeordneten, die nicht zur Reichsdeputation gehörten: Et calefaciebant se; (3) aber wärmen sich nicht die ersten Diplomaten bis herab zu den Dorfdeputirten? das diaetas agere (4) war dem Regensburger Reichstage nicht allein vorbehalten Diäten find baar Geld, und das, was der Franzose faire diète nennt, die Diät oder Lebensordnung geht den Arzt an.

(1) Napoleon nach den hauptsachlichsten Momenten seiner Regierung und feiner Kriege erläutert. (2) Christi Passion. — (3) Sie wärmten sich. (4) Diät halten (Reichstag halten oder Diäten bekommen).

VI.

Die Satire der Neuern.
Italiener, Spanier, Franzosen.

Wir haben nun ein befferes Feld vor uns; die menschliche Vernunft erwachte im 14ten Jahrhundert zuerst wieder in Italien; Griechen und Römer standen wieder auf, man schrieb aber in der Muttersprache, und die ersten Aeußerungen der freiern Vernunft waren kühner Tadel des Pabst- und Pfaffenunwesens. Dante, der Shakspeare der Italiener, der Ernst und Scherz mischt und an dem selbst die Taffo, Metastaflo und Milton ihre Feuer anzündeten, nahm keinen Anstand, als verbannter Gibelline Päbstein die Hölle zu sehen, während er im Paradiese bloß scholastische Theologie auskramt; er stößt auf Pabst Nikolaus III., der kopfunterwärts im Höllenloch steckt, ihn für seinen noch lebenden Nachfolger Bonifaz VIII. hält, und fragt: Se' tu costi ritto Bonifacio? (1) Dante nannte fein berühmtes Werk Comedia, weil es nicht in dem erHabenen Styl des Tragos geschrieben ist; seine Bewunderer sezten divina hinzu, und das war schon damals zuviel !

Der sanftere Petrarca sprach dennoch von Rom wie von einem zweiten Babel, und Bocaccio's Novellen, (1) Auch Du stehst aufrecht hier, o Bonifaz.

wo ausschweifende Mönche und Nonnen die Hauptrollen spielen und es an Seitenblicken auf Fegefeuer und Ohrenbeicht, auf Heilige und Reliquien auch nicht fehlt, vollendeten das Ganze. Der Satyr war nun auf den Beinen, und jenes heilige Kleeblatt öffnete selbst dem Pöbel die Augen; die höhere Welt hatte längst gelacht und die Kle= risei verachtet, im hohen Gefühle ihres Wohlstandes, aber auf italienische, d. h. burleske Weise in groben Lokal- und Personalsatiren, von Lorenzo Medici, dem Mäcen der Gelehrten an, bis herab zum liederlichen Aretino und Buchiello's Barbierstube. Baretti meint, daß es bei der natürlichen Spottsucht seiner Nation ein wahres Glück sei, daß keine Preßfreiheit in Italien herrsche; es kann sein, aber es fehlt darum nicht an Satiren, die mit Preßfreiheit vielleicht beffer wären dem Auslande können sle nicht gefallen der Geschmack ist feiner; aber in Italien fand selbst noch Don Ciccio großen Beifall 300 Spnetti, und jedes Sonett schließt mit dem Worte coglione das Verbum auxiliare des italienischen Wizes, der eigent= lichen Coglionerie nicht zu gedenken, deren recht eigenes Vaterland Italien zu sein scheint.

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Poggio, Valla, Philelphus, Mantuanus, Palingenius wußten nur noch lateinische Invektiven vorzubringen; aber nun erschien Macchiavelli, ein brauchbarer Geschäftsmann und nebenher Schriftsteller, der mir noch heute lieber ist als alle andern Italiener. Wer seine freifinnigen Discorsi sopra Livio gelesen hat, begreift nicht, wie man hinter seinem Principe den Lobpreiser des Despotismus finden mochte hinter der Satire und noch heute das System eines Cesare Borgia Machiavellismus nennen mag. Friedrich schrieb seinen gleichberühmten Antimachiavell als Kronpring, was er hätte unterlassen können, und noch schöner wäre es gewesen, als König die Grundsäge praktisch zu widerlegen. Seine treffliche florentinische

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Geschichte drückte gleiche freie Grundsäge aus, und alle seine Schriften find noch jezt angenehm zu lesen, wie seine eigentlichen Satiren, der goldene Esel und seine Novelle Belfagor, nach welcher dieser Erzteufel des Pluto nach der Oberwelt sich verfügen muß, um zu erforschen, warum so viele Sünder die Schuld auf ihre Weiber schieben; Belfagor kommt unverrichteter Dinge wieder zurück, aber so unerwartet bald, daß er befragt wird: „Ach! ich hatte mich auf der Oberwelt verheirathet -daher machte ich, daß ich wieder nach der Hölle fam!" é troppo! (1)

Ariosto's sleben Satiren, im Geifte des Horaz, machen seinem Orlando gewiß keine Schande. Der Ruhm, den Italienern die Satire gegeben zu haben, gebührt eigentlich ihm; ste zeugen von seiner edlen Denkart und find voć geläuterter Lebensweisheit und Ernst, denn er schrieb fle erst am Abend seines Lebens; ich stelle fle neben Caftiglione's Cortegiano, eines der lieblichsten italienischen Bücher. Sehr ernst find auch die sechs Satiren des berühmten Malers Salvator Rosa, und noch überdies wegen der vielen Anspielungen dunkel, während Ariosto sogar nicht ohne Zötlein ist, wie z. B. in der fünften Satire über den Eheftand, und oft, gar oft gedachte ich seiner Worte. in der ersten Satire:

Pazzo! chi al suo Signor contradir vuole,
Se ben dicesse, ch' hà veduto il giorno
Pieno di stelle e a mezza notte il sole! (2)

Für die komische Satire hatte wohl Berni das meiste Talent, der aber leider nebst seinen Nachfolgern auf Soten

(1) Das ist zuviel.

(2) Thor; wer dem Fürst zu widersprechen wagt,
Von folchem heißt es, daß an hellem Tage
Er Sterne sah, die Sonn' um Mitternacht.

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verfiel, und nach ihm wird fle von Italienern auch Bernesca genannt. Lanfillo in seinem Vindemiatore (Winzer) geht weiter, als daß er bloß beim Vergleich des Mannes mit dem Winzer und der Frau mit dem Weinberge stehen bliebe, und sein Gedicht über die Thränen des heiligen Petrus machte es nicht wieder gut; doch brannte er nicht auf dem Scheiterhaufen, wie Bruno, Deffen Spaccio della bestia triomfante nur bewies, daß die Bestie noch triumphire. Das Buch ist so selten, daß es Graf von Bünau mit 200 Thlr. bezahlte - et tanti poenitet non emere. (1) 3m 17ten Jahrhundert war Boccalini der berühmteste; sein Ragguagli di Parnasso ift fast in alle Sprachen übersezt, und seine Pietra del Paragone politico (2) (gegen Spanien) koftete ihn das Leben; spanische Soldaten zerschlugen ihm die Glieder mit Sandsäcken zu Venedig, und so kostete auch der Coriere suogliato und die Bucinata dem Pallavicino das Leben, deffen Rhetorica delle puttane und Divorzio celeste (3) sich heute noch lesen läßt. Die Idee ist doch gewiß wißig, daß Jesus mit seiner Braut, der Kirche, nichts mehr zu schaffen haben will, daher der Vater Petrus auf Kundschaft schickt, der die Sachen noch weit schlimmer findet, als fte der Sohn machte; die Scheidung geht daher vor fich, Luther, Calvin und noch Andere tragen nun ihre Kirche zur Braut an, Jesus aber machte es, wie viele auf Erden, er blieb ledig, und im Himmel!

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Nun folgten die Alamanni, Capilupi, Doni, Men= zini, Caporali, Frugoni, Curio, Garzoni, Lasca oder Grazzini, Bettinelli, vorzüglich aber Bondi, Rossi, Parini, Gozzi 2.; des legtern Marfisa bizarra geißelt die Sitten des 18ten Jahrhunderts, wie Parini in seinen Lagszeiten die Pasticetti oder Petitmaitres geißelt, und (1) Es reut mich nicht, dasselbe um so hohen Preis zu kaufen. — (2) Fleckenloser politischer Diamant. Himmlische ·(3) Rhetorit der H... Scheidung.

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