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V.

Die Satire des Mittelalters.

Das Mittelalter zählt eine Menge lateinischer Sati= ren, die jest vergessen sind, denn die Pfaffen, wie fle in dummer Gefühllosigkeit und vollendeter Unfittlichkeit ftolzund heuchlerisch hinter ihren Schmeerbäuchen hertrabten, gaben wahrlich Stoff genug; dann kamen die Höfe und Höflinge, die Pedanten und die Weiber an die Reihe ; die Sprache ist roh und die Satire nicht minder, wie es die Zeit mit sich brachte, wo man, statt unserm „Verzeihen Sie" oder "Erlauben Sie gütigft" einem hinter die Ohren schlug, kraft der altdeutschen Sprüchwörter : "Auf ein et caetera gehört eine Maulschelle," "auf eine Maulschelle gehört der Dolch." Freiheit und Grobheit find überall Geschwisterkinder, und Zoten und Schweinigeleien gelten in ungebildeten Zeiten für Wiß, wie selbst noch Bocaccio, epistolae obscurorum virorum, (1) Nabelais und Luther beweisen, der am Ende des Mittelalters noch Beispiel aller Beispiele ist.

Jurist Styck untersuchte noch in seiner Diss. de Alapa s. Ohrfeigen und Maulschellen, nachdem er sie in vollkommene und unvollkommene, in patschende und nicht patschende, in ernste und scherzhafte, in strafende und

(1) Briefe obfcurer Männer. (Die Briefschreiber dieser einst sehr geles fenen Werke sind unwissende Mönche.)

lohnende (bei einer Maulsperre oder von schöner vertrau licher Hand) logisch geordnet hat, die Fragen: Kann eine Hand ohne Finger eine Ohrfeige geben? der Vater dem Sohn nach dem zwölften Jahr noch? oder der Mann die Frau beohrfeigen ohne Scheidungsklage? und bejaht fle, da das biblische ein Fleisch nur figürlich zu nehmen sei, ob man sich zu Maulschellen contraftmäßig verbinden und das alte „auf eine Lüge eine Maulschelle" üben dürfe? Ob man einen Vortanzenden, ein den Tanz verweigerndes Mädchen, einen, der beim Trunk nicht Bescheid thun will, beohrfeigen dürfe? Ob es endlich erlaubt sei, einem hochlöblichen Oberamt oder wohllöblicher Stadtschultheißerei, wenn fle zehn Thaler Strafe wegen einer Ohrfeige erkannt haben, noch weitere zehn Thaler Hinzulegen und ihnen selbst eine Ohrfeige zu geben?

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Wenn in jenen finstern Zeiten schon ein Kaiser Friedrich II. frei dachte über seine Zeit, über ihre Albernheiten kaiserlich erhaben war und nur lachte, so daß ihn Dante als Kezer in die Hölle sezte wegen seiner Aeußerung: "Gott muß Neapel gar nicht gekannt haben, weil er das elende Palästina zum Erbtheil seines Volks erwählte," und man ihm das räthselhafte Werkchen de tribus impostoribus (Moses, Jesus und Mahomed) zuschrieb wenn schon König Johann von England von der Klerisei gehaßt wurde, nicht weil er ein schlechter Mensch war, sondern weil er beim Anblick eines schönen fetten Hirsches ausrief: "Wie schön und feist und doch nie in der Meffe!“so ging der satirische Tanz erst los, als er mit Luther Mode wurde, dem Pabst an die Dreikrone, den Pfaffen an die Bäuche und den Mönchen an die Bettelsäcke zu greifen.

Luther verfolgte das Wild, das Melanchthon, der Bruder Philipp, der weniger in Mönchsvorurtheilen fest= ftack, aufftörte, wild und mächtig, Erasmus lachend und

fein, Hutten satirisch beißend; Luther konnte eigentlich nur schimpfen, wie alle Volemiker feiner Zeit; Ec, Fmfer, Cochläus 2c. schimpften wie Rohrsperlinge, und so schimpfte der Cholerifer wieder, obgleich nicht verkannt werden mag, daß seine kraftvollen Worte das deutsche Volk begeisterten und seine kleinen Blättchen von einer Grenze zur andern flogen, denn nie war noch zu deutschen Ohren so deutsch, so verständlich und wohltönend gesprochen worden; fle gingen zu Herzen. Im Geifte seiner Zeit nannte Luther ohne weiteres die päbstlichen Dekrete und Dekretalen Dreckete, die Bulle in coena domini das Abendfressen des Herrn Pabstes und die Papiften eitel Esel; er wünschte, daß jeder gute Chrift das päbstliche Wappen anspeie und mit Koth bewerfe zur Ehre Gottes; daß man Pabst, Cardinälen und dem ganzen Gesindel die Zunge als Gottesläßterern hinten zum Hals herausreiße und an Galgen nagele, wie die Siegel an den Bullen, dann sollten fle Concil halten am Galgen oder in der Hölle unter allen Teufeln ; -wünschte, der Kaiser koppele fie zusammen und ließe fle nach Ostia führen, da sei das rechte Bad für fle, und zur Sicherheit könne man ihnen noch den Felsen mitgeben, worauf ihre Kirche gegründet fet. So satiristrte Luther die Papiften; den Herzog von Braunschweig aber hieß er einen Hans wurst, folglich mußte er sich gefallen laffen, daß man ihn einen wilden Eber, Doktor Dreckmårten; Doktor Sauhund 2c. hieß, und das Alles galt für die herrlichste Satire!

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Leo X. hatte Wissenschaften groß und edel begünstigt; aber fle erregten eine Gährung der Geifter, wie die Res volution Frankreichs; Niederdeutsche gewöhnten jezt die Völker, das zu verlachen, was sie bisher als heilig verehrt hatten; Italien ftaunte über dies deutsche gente barbara! (') (1) Barbarisches Volk.

In England hatte der Mönch Wireker schon um das Jahr 1200 in seinem Brunellus s. speculum stultorum derb gespottet; unter einem Esel, der gern einen größern Schwanz haben möchte, stellte er den unzufriedenen Mönch vor, der nach höhern Würden und endlich gar nach der Dreikrone strebt; Mappes hatte Gleiches gethan, und nun kamen gar Erasmus, die Verfaffer der epist. obscurorum virorum, und Crocus sammelte auch die bekannten Pasquillorum T. II. Diese merkwürdigen epistolae obscurorum, im Gegensag von des Kölner Theologen Ortuinus Gratius herausgegebenen epist. clarorum virorum, (') woran Crotus, den Luther nur den Tellerdecker des Cardinals von Mainz oder Doktor Kröte nannte, und Hutten wohl den meisten Antheil hatten, wurden zur wahren deutschen Nationalsatire, die viel nüşte. Ihre vorzüglichste vis comica besteht freilich in dem KüchenLatein, wie es jene elenden Kölner Theologen schrieben, folglich ist das Buch nicht mehr für unsere unlateinische Zeiten, hat aber seinen großen Zweck erreicht. Kaiser und Pabst vermochten nichts gegen das Bettelkuttengeschmeiß, denn das Volk hing ihm an, fle zählten nach Millionen, folglich waren fie furchtbarer als Legionen, Janitscharen und Strelißen; aber was Päbste, Kaiser und Könige nicht vermochten, vermochte die verkannte geistige Macht - lachender Spott!

Die Anspielungen auf die Bibel z. B., wenn der Beischlaf entschuldigt wird: "Wenn zwei bei einander liegen, wärmen fte sich, wie mag ein Einzelner warm werden,“ øder manche Zote, da unsere Obscuri oft und viel in der Herberge mit Supponiren zu thun haben, und das Famule, aliquid pro genibus! Dactylus stat ita dure, `vellem nuces percutere cum eo an der Tagesordnung

(1) Briefe obscurer Männer,

Briefe berühmter Männer,

ift, können nicht mehr gefallen; aber zu ihrer Zeit war das Buch ein Leibbuch sogar des trefflichen Morus und vertrat sogar Chirurgenstelle bei dem geiftvollen Erasmus; er lachte sich über das diaboliter inutilem me faciam ein Geschwür auf, das geschnitten werden sollte. Das Allerkomischste war, daß die dummen Mönche lange glaub ten, das Buch sei zu ihren Gunsten geschrieben, fle kauf ten sogar viele Eremplare, um damit den Ordensobern Geschenke zu machen zu spät schleuderte Leo X. seinen Bannstrahl.

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Hutten, voll Eifer für Wissenschaft und Kunst, der verschmähte, sich um ein Vläßchen in der Bürgerwelt, in. der Theologie oder im Jus, das ihm wenigstens Dach und Fach und eigenen Herd gewährte, umzusehen, hatte bereits seinen Nemo geschrieben, seine Aula (der Hof von Mainz) und Febris, fein Vatiscus und Pasquillus exul (gegen Rom), seine Inspicientes, Fortuna, Triumphus Capnionis c. folgten. Sein Aufenthalt zu Rom hatte dieselbe Wirkung auf ihn wie auf Luther; beide überzeugten sich. defto anschaulicher, daß Rom die Hure Babels sei, und entbrannten; Hutten wäre unter glücklichern Umständen der Demosthenes der Deutschen. Der fränkische Edelmann kämpfte mit seiner Feder wie mit dem Schwerte, starb schon im 36ften Jahre; die Verirrungen seiner Jugend hatten ihm jenes schreckliche Uebel zugezogen, das man damals noch nicht zu heilen verstand, und es zerfraß feine Kraft; seine Asche ruht auf der kleinen Insel Ufenau im Züricher See, und er hatte zulegt nicht, wo er das Haupt hinlegte, war sein ganzes Leben durch ein herumirrender Nemo, und damit er auch dies im Tode bliebe, bekamen wir erst im neunzehnten Jahrhunderte die Sammlung seiner Werke sein schönstes Grabdenkmal.

Erasmus, deffen fich Batavien rühmt, wie Böotien des Pindars, der Mann, der in der ungestümen Refor

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