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Die Welt ist wie ein Opernhaus,

Man kommt, fieht, lacht und geht heraus.

Opern und Operetten werden alle Dramen, weinerliche und lächerliche, überleben, und die Welt es halten, wie jenes Parterre, das dem, der einem schlechten Sänger eine Maulschelle zu geben hatte, zurief: Ancora! ancora!

XXII.

Die Romane der Alten.

Provençalen, Italiener und Spanier.

Die Romane, von denen wir bereits im fünften Bande im Ganzen sprachen, müssen hier, dem Zweck unsers Werks gemäß, en détail behandelt, d. h. die besten genannt werden; denn wenn wir eine Literatur derselben liefern wollten, so hätten die Leser das Recht, das Werk hinter die Thüre zu werfen. In keiner Dichtungsart, die doch die nüzlichste sein könnte, gibt es so viele und so schlechte und so wenig gute Waare; wer sonst nichts zu schreiben hat, schmiert einen Roman; der Verleger zahlt ein Lumpengeld, gewinnt folglich bei dem schlechtesten Produkt; denn die Lesewuth unserer Zeit fällt dennoch darüber her: ein Roman, ein neuer Roman! die Dienstmädchen laufen fich bald die Füßchen ab, wie Münchhausens Jagdhund.

Wir haben tragische und komische, satirische und humoristische, empfindsame, historische und Reiseromane, der Gegenstand kann so verschieden sein als bei der Satire und dem Luftspiel; wir haben auch viele philosophische Romane, wo bloß die Romanform gewählt ist, um Moral oder Politik defto anschaulicher zu machen, in welcher Hinsicht das Buch Hiob der älteste Roman sein

dürfte, eine Theodiceam lange vor Leibniz und - genießbarer. Xenophons Cyropädie ist politischer Noman, wie Fenelons Telemach, und wollte Gott, es gäbe keine größere Menge philosophischer Romane oder langweiliger Phantafteprodukte und in Systeme gebrachter trockener Hirngespinste der Metaphyfiker, von den Griechen an bis herab zum neuesten Aprioriften! Sonderbar, daß Sulzer in seiner berühmten Theorie der Künfte, der die Artikelchen romanhaft und Romanze hat, kein Wörtchen über die Romane sagt, und das eigene Buch des Hauptmanns von Blankenburg über den Roman, 1774. 8., ist unbedeutend, zu deffen Zeit das Gebiet des Romans nur noch wenig angebaut war, noch nicht so wie zur Zeit, wo ein C. Nicolai seine Theorie des Romans Herausgab 1819, da doch Romane den größten Einfluß gerade auf die Menge haben, so ungeheurer Unfug damit getrieben wird, und solche zeitförmlicher Lesewuth weit mehr sind, als die alten geistlichen Scharteken; fle find förmlich an die Stelle der alten Erbauungs- und Andachtsbücher ge= treten die wahren Stunden der Andacht in mehr als acht Bänden!

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Die Alten kannten, streng genommen, unsere Romane nicht; die Griechen gelangten nie zu jener schönen Profa des gesezten Alters, die das eigentliche Gebiet des Nomans ist; ihr Roman war Vater Homer, und fte gingen vom Epos sogleich zur Geschichte über; bei uns Neuern aber lag der Roman in der Mitte; die milesischen verToren gegangenen Mährchen möchten als ihre ersten Romane gelten. Die fleben aus dem griechischen Alterthume übrigen sogenannten Romane gehören, streng genommen, so wenig hieher, als die hebräischen Büchlein Tobiä und Judith, wovon das erste religiösen, das zweite politischen Inhalts ist, als die wundervollen und nicht selten unzüchtigen Mährchen der Araber; die Cyropädie des

Xenophon gehört gerade zur schlechtesten Romangattung, zur historischen, kurz die Alten hielten fich an das Epos, an ihre Homere und Virgile.

Die sogenannten Romane Heliodors, den seine hochwürdigen Amtsbrüder wegen seiner Aethiopica um sein Bisthum christmildest brachten, Achilles Tatius, und der beste darunter, Longus' Daphnis und Chloe, fallen schon in die Zeit des gesunkenen Geschmacks, wie die Liebesbriefe der Philostrate, Alciphrone und Aristänete. Sie find fade, finnliche Liebesgeschichten ohne Salz und Wig, ohne Plan und Intereffe, die nur Philologen gefallen mögen. Noch tiefer stehen die spätern Xenophon und Chariton, Euftathius und Theodorus Prodromus, welche leştere erst um das Jahr 1100 schrieben. Bei Longus geht es so natürlich und gemein prosaisch zu, wie zwischen Michel und Grete auf unsern Dörfern, und sein deutscher Uebersezer Grillo hat zur Kastration seine Zuflucht genommen; die franzöftsche Uebersetzung aber ist ganz getreu, natürlich ohne die griechische Grazie.

Die Römer find noch unbedeutender hier als die Griechen, und haben höchstens ihren Apulejus mit seinem gezierten und obscönen Asinus aureus, dem noch überdies die Dichtung eines gewiffen Lucius von Patra zu Grunde liegt. Wie tief steht der alte goldene Esel unter unserm goldenen Kalb, obgleich satirischer Wiz nicht ganz mangelt! Und im vierten bis sechsten Buch macht die Episode der Psyche Alles gut, das Zartefte und Höchfte, was die Dichtkunst der Alten geschaffen hat. Gewiffer= maßen könnte man noch Petronius hieher rechnen, der noch unzüchtiger sein mußte als Apulejus; war er nicht Kaiser Nero's Arbiter, das heißt f. f. maître des plaisirs, () und in einer Seestadt geboren, in Marseille ?

Der eigentliche Roman entstand in der Provence und (1) Vergnügungsleiter.

in Catalonien, wie schon der Name Roman, geschrieben in der romanischen Volkssprache, beweist. Die Geschichte weiß so wenig Bestimmtes von Turpins Carl dem Großen und seinem Roland, als von Arthurs Tafelrunde; die Grundlagen der ersten Romane, worauf Rittermährchen und verliebte Schäfereien in Haufen folgten. Natur und Wahrheit kam gar spät in den Roman, und wird noch heute nur zu oft vermißt. Dante, Petrarca, Boccaccio verschmähten nicht die Troubadours mit ihrer gaya sienza; (1) daher ihnen aus Dante einen Plag in seinem Paradiese einräumte, wie wir S. Palaye's Auszügen aus ihren mühsam gesammelten Schriften_ein= räumen, die auch für den Ernst der Geschichte und Sitten ihrer Zeit wichtig sind. Die Ritterpoefte bildete fich zur Schriftsprache, und die Dichter gehen mit dem lieben Gott noch vertrauter um als unsere Pietisten, so vertraut als mit den Damen. So beklagt de Prades den Tod des Dichters Brunet: Il chantait si bien, que les rossignols se taisaient d'admiration, aussi Dieu l'a-t-il pris pour lui, et si la Vierge aime les gens courtois, qu'elle prenne celui là. (2)

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In jenen Göttergegenden der Provence und der Pyrenden (Dank dem Geschicke, daß ich sie genoß) entstand unser Roman, oder eigentlich die Knospe desselben; fle entwickelte sich durch die Kreuzfahrten nach Jerusalem und Conftantinopel und durch den Umgang mit den geiftigen Arabern, die auf den abendländischen bloßen Soldatengeist zurückwirkten; zu Conftantinopel fanden sich auch noch immer Spuren des Geistes der alten Griechen, aber die Früchte kamen erst in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in England. Der herrliche und frühere

(1) Fröhliche Wissenschaft. (2) Er fang fo gut, daß die Nachtigallen aus Bewunderung schwiegen, auch nahm ihn Gott zu sich, und wenn die Jungfrau artige Leute liebt, so mag sie diesen nehmen.

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