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Sache und die Nüglichkeit. Der Mann, der gelebt hat, gibt ein Dußend über die Menschheit erhabene Tragödien für eine gute Komödie aus der Wirklichkeit. Ein prosaischer Weltblick ist ihm mehr als tausend poetische Bücherblicke; wir denken jezt freier und schreiben freier als je, troß des Geschreies über Mangel an Preßfreiheit ; die Ideen der Deutschen find offenbar größer geworden, und selbst beim gemeinen Bürger weniger kleinstädtisch als bei der alten Kleinftaaterei; Gott verdamme fle!

Courage, Molière!

XXI.

Die komische Oper.

Menetrier hat die Oper recht alt gemacht, denn er erklärte das Büchlein Hiob, das Moses geschrieben haben foll, für eine Oper, die aber offenbar italienischen Ursprungs ist, die große und ernste Oper, wie die komische Oper, Operette ober Opera buffa. Jene ging aus der monströsen Vermischung des Trauerspiels mit Muftk, Tanz, Malerei und Baukunft hervor, diese aber aus dem sogenannten Intermezzo, das man zwischen den Aufzügen ernster Stücke zu geben pflegte. Die Oper oder das musikalische Drama, Singspiel, verdrängte an manchen Orten das Trauer- und Luftspiel, und noch wichtiger wurden die Opernsängerinnen, die auch Operisten heißen, die schon oft Männer nöthig machten, welche fich ungefähr eben so nennen, aber nicht fingen, sondern schneiden! Jener Kapuziner muß davon gewußt haben, den man einft in eine Oper brachte; in seiner nächsten Predigt rief er: Oui, oui! mes amis! l'opéra est le vestibule de l'enfer, (1) und hatte vielleicht auch von Pythagoras gelesen, der bereits seinen Crotonern zurief: Haltet stets eure Thore verschlossen vor den Tänzerinnen Aftens, die Europa verweichlichen!"

(1) Ja, ja, meine Freunde, die Oper ist das Vorhaus zur Hölle.

Rinuccini's Drama: Daphne, soll die erste Oper gewesen sein zu Florenz im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts; zu Ferrara führte man Guarini's Pastor fido auf, und zu Venedig gab es 1485 die erfte Opera buffa. Cardinal Mazarini ließ 1646 die ersten Italiener nach Paris kommen, und zu Nürnberg wurden schon zu Hans Sachsens Zeit gesungene Fastnachtsspiele aufgeführt, und Augsburg folgte nach; Opig brachte oben genannte Daphne auf das deutsche Theater. Die Oper ist das Land des Wunderbaren; das dramatische Epos, unterflüßt von der Geschichte wie von der Fabel und Mythologie, von allem Zauber der Künste, der Phantaste bis zur Magie. Die ernste und die komische Oper sind nicht selten ein seltsamer Wirrwarr des Schönen und Aben= teuerlichen, des Großen und Kleinen, des Rührenden und Lächerlichen, des Widersinnigen, Läppischen und Unnatürlichen. Garrik soll einmal das ABC auf eine Art deklamirt haben, daß Alle weinten. Aber die poetische Bildung unserer Zeit ist durchaus romantisch, nichts vom Vorhandenen oder Gegebenen, oder Wirklichen, sondern erhabene Sehnsucht nach dem Geahnten, Unbekannten, Unendlichen; ist also die Oper, diese Vereinigung der Poefte mit der Musik, nicht rein romantisch? Ist das Schicksal nicht ein Sohn der Nacht?

Mythologie und Geschichte, Feen- und ZaubermährHen, Schlachten und Triumphzüge, Donnerwetter und Schiffbrüche, Geister und wilde Bestien, Götter, Menschen und seltene Ungeheuer, die keine Naturgeschichte kennt, wechseln mit einander. Die Feldschlachten werden geliefert von ein paar Dugend Miethsoldaten, die den Komödiantengeneral selten verstehen, und lachen, wenn sie unter Violinentönen mit ihren hölzernen Schwertern auf die Schilde von Pappendeckel schlagen. Dort fliegt einer durch die Luft an einem Strick, dort stürzt ein anderer

von einem Felsen sechs Fuß hoch oder wandelt durch Flammen und Meereswogen, dort erdolcht sich einer trillernd, und dort fingt der Herr dem Diener seine Befehle, oder der Freund dem Freunde sein Geheimniß zu, und die ernste Rathsversammlung berathschlagt sich in lauter Gesängen. Der ernste Cato fingt seine Rede an das Volk, der Eilbote, der viel von Gefahr auf Verzug gesprochen hat, hustet, stellt sich vors Parterre und gurgelt eine Arie. Alexander, auf den Mauern einer Stadt, gibt den Belagerten völlig den Rücken preis; denn er hat dem Publikum von der Leiter eine Arie zu trillern, und seine Armee muß warten, bis er ausgetrillert hat. Sollte man nicht glauben, wir wären in Sina und Japan?

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Metastasio mußte in seinen Cato einen Liebeshandel einmischen, weil die besten Sängerinnen sich hören lassen wollten, und so sang denn die Wittwe des Pompejus und Marcia, die Tochter Cato's, allerliebst; in höchster Eile wird noch eine Arie gesungen und dieselben Worte fünf bis sechsmal wiederholt in vollkommener Weile, in Passagen, Läufen und Cadenzen. Welchen dramatischen oder lyrischen Eindruck macht nicht eine speisende Operngesellschaft, die da ftngt: "Mir schmeckt der Wein! vortrefflich ist der Braten, noch besser ist die Brühe!" und erst wenn in der ernsten Oper der Held den Himmel zum Zeugen seines Selbstmords nimmt, und der Chorus fingt: "Gebt acht, er wird sich jezt erstechen!" und gar aus dem Parterre ein Dacapo erschallt? Nirgendswo mehr, als in der Oper, muß man mit Horaz ausrufen:

Spectatum admissi risum teneatis amici!(1)

Selten kann man daher eine Oper lesen, ohne den Zauber der Mustk ist fte so fade und leer wie der

(1) Werdet ihr euch, zum Schauen gerufen, des Lachens enthalten?

hochberühmte Metastaflo selbst; der Wiener Hofdichter, der für seine viertausend Gulden Gehalt wohl etwas Befferes hätte liefern sollen, und ganz ungenießbar wäre, ohne die Harmonie der italienischen Engelssprache. Seine Verwicklungen find immer dieselben; wenn man ein Stück von ihm gelesen hat, kennt man sie alle; in seinem Antigono gibt es so viele vereitelte Selbstmorde, daß die Selbstmorde selbst lächerlich werden; so oft sich ein bedolchter Arm gegen die eigene Bruft erhebt, streckt fich augenblicklich ein anderer Arm, um das Unglück zu verhüten. Metaftaflo hieß eigentlich Grapafft, was auf Durchstechen, aber auch auf Vergänglichkeit hindeutet, aber sein Gönner, der berühmte Jurist Gravina, übersezte ihn ins Griechische, und er konnte sich solches wohl gefallen laffen gegen dessen ansehnliche Erbschaft.

Unser Mozart componirte die Zauberflöte, Don Juan, Figaro, die Entführung aus dem Serail 2c., und baute, als musikalischer Architekt, korinthische Portale vor wahre Misthaufen; was wäre das Donauweibchen ohne Muftk, oder Beaumarchais' so beliebte Tarare ohne Salieri's Muftk? Mimik, ja selbst das liebe Vieh unterstüßt Opern Elephanten, Pferde, Kameele, Hunde, Affen, Schlangen spielen ihre Rollen; Ochsen und Esel haben wir schon unter den Dichtern, und die Viehstücke nehmen so überhand, daß wir bald in Aesops Fabelwelt leben werden. In Franconi's Cirque olympique spielt in dem Stüc l'Elephant du roi de Siam die Hauptrolle; er theilt Blumen unter die Damen aus, er speist und tanzt, und verneigt sich dreimal gegen die Versammlung ; Niemand ist noch eingefallen, daß in diesem Elephanten= stück das Thier plöslich den Elephanten in natura wild spielen möchte, selbst nicht einer hochlöblichen Polizei! Die Musik muß das Beste thun; aber selbst diese wird in der Regel überladen, folglich langweilig, oder wie

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