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XX.

Das Lustspiel der Deutschen und des Nordens.

Unser Lustspiel ist das älteste in Europa, sollte also das beste sein; aber, gerade hier sind wir am ärmsten. In gebildeter Gestalt ist es jedoch auch wieder das jüngste, und so wollen wir, wie von Staatswissenschaften, auch das beste von der Zukunft hoffen und zufrieden sein. Bereits oben haben wir der Gandersheimer Nonne erwähnt, der Mysterien, Moralitäten und Fastnachtspoffen, der Meistersänger und Eulenspiegel. Das Drama des Nürnberger Rosenbluet gilt für das älteste deutsche Drama, das noch schriftlich vorhanden ist, worauf Ayrer und Hans Sachs folgten, gleichfalls Nürnberger. Hans Sachs war mehr Komiker als die Flemming, Hofmanswaldau, Pietsch, König, Gottsched, und wie die Edelleute, Hofräthe und Profefforen weiter hießen, die alle vor dem Genie jenes Meister Knieriems das Knie beugen müssen. Damals waren die Nürnberger luftiger als jegt, obgleich vielleicht weniger frei, aber fte glaubten reichsfrei zu sein und waren reich; fie sind es nicht mehr, aber noch beflzen fle das, was den Reichthum wohl aufwiegt, Frohsinn.

Konrad Celtes (Meusel), der überall herumwanderte, wenig schrieb, aber desto mehr zur Stiftung gelehrter

Verbindungen und zur Herausgabe der alten Schriften beitrug und viel Einfluß auf Große und Reiche hatte, war der erste, der eigentliche und anständigere Luftspiele durch den jungen Hofadel aufführen ließ, nach dem Beispiele Reuchlins; deffen luftige scenica progymnasmata, die den saubern Advokaten galten, wurden 1497 im Palaste des Bischofs von Dalberg zu Heidelberg, eines Mäcen der Wissenschaften wie sein Urenkel unserer Zeit, mit Jubel aufgeführt, die Schauspieler zur Tafel gezogen und mit Schaumünzen und goldenen Münzen beschenkt. Hoch! Reuchlin, du thatest viel für Griechen und Römer und noch mehr für hebräische Literatur gegen die Fanatiker Hoogstraten und Pfefferkorn! du warst einer der Morgenfterne, die nach langer Nacht am deutschen Himmel aufgingen, hell wie die Venus, verglichen mit dem Mönch Luther!

Hätte der wißige Frischlin seine Lustspiele deutsch geschrieben, wer weiß, ob wir nicht weiter wären. Dieser treffliche Württemberger, der die pedantische Methode der damaligen Philologen verließ und die Alten im Geiste zu erklären suchte, aber sich viele Feinde machte, darunter auch durch die allzuscharfen Waffen seines Wites gegen die Angreifer sein eifersüchtiger Lehrer Crustus, schrieb sein Luftspiel: Susanna und Rebecca, wofür ihm Kaiser Rudolph den Lorbeerkranz ertheilte; seine Venus und Dido nach Virgil war schon wieder beffer als das alttestamentische Stück, noch besser aber sein Julius redivivus, ber das Lob Deutschlands verkündet, Phasma, noch einige Stücke, sein beftes aber unstreitig Priscianus vapulans, das man noch heute mit Vergnügen lesen mag (f. Satire). Frischlin ahmte Terenz nach, ist in seinen fleben Komödien nüchtern wie Terenz, aber in seinem Priscian ift er ganz Plautus. Hätte er doch deutsch geschrieben, der Adel las ja doch die vita rustica des satirischen Fröschleins und ließ es quacken!

Hochberühmt war das echtdeutsche Lustspiel zur Jubelfeier der Reformation 1617, das sich auch ein Jahrhundert auf der Bühne erhielt: Die Tezelocramia; der Pabst kommt in einer Sänfte, aber die Träger lassen ihn fallen; er droht mit dem Bannstrahl, aber man lacht, und zusammengelaufene Kinder fingen Spottlieder hinter ihm her. Es ist eine robe Luftigkeit in feinern Zeiten, aber einheimisch, genialisch, frei, beffer als hundert hintendrein folgende langweilige korrekte Komödien, Schäferspiele und italienische Opern. Bei den vielen gedruckten Predigten zur Reformationsfeier 1817 hätte ich es zur Aufheiterung auch wieder abdrucken lassen, wenn ich im Beftz des Werkleins gewesen wäre.

Opiz kam und übersezte die Trojanerinnen des Seneca und die Antigone des Sophokles und einige italienische Schäferdramen nach Guarini, die man Waldkomödien nannte. Der weit genialere Gryphius schrieb zwar auch solche Dingerchen neben Sonnetten und geistlichen Ge= dichten, die ohnehin nicht fehlen durften; seine Trauerspiele verglich man damals gar mit Shakspeare, und jezt mag man sie nicht mehr ansehen; aber er schrieb auch seinen Horribilicribifar und Peter Squenz, die man noch heute lesen mag. Er war zehn Jahre lang in Holland, Frankreich, England und Italien gewesen, und hätte wohl mehr im Luftspiel thun können; doch er war Syndicus des Fürstenthums Glogau, Mitglied. der fruchtbringenden Gesellschaft, mit dem Beinamen der Unsterbliche, und was ihn bei mir unsterblich macht, ift - er erhielt den Adelsbrief, von dem er aber keinen Gebrauch machte! Auf Beide folgten die pedantischen Schulfomödien des Zittauer Rector Weise, die sammt und sonders des J. G. Schochs Komödie vom Studentenleben nicht aufwiegen.

Die Veltheimische Truppe spielte 1699, neben

armseligen sogenannten Haupt- und Staatsactionen, spanische und Molière'sche Stücke und ist als die erfle regelmäßige deutsche Theatergesellschaft anzusehen, auf welche Elendson folgte, der zu Langenschwalbach schlummert unter einem Denkmal, das ihm ein Kurfürft von Köln sezen ließ. Jene Gesellschaft spielte zu Breslau und Nürnberg und wurde stets auf der Grenze empfangen, vor den Thoren bewirthet und mit Geschenken entlassen, benn fie bestand meistens aus Leipziger und Jenaer Studenten. Der besoffene Bauer und Prinz Pickelhering waren die beliebtesten Stücke, wie später bei der gleich berühmten Schünemannischen Truppe (aus der Koch und Ackermann hervorgingen), der Bocksbeutel, eine Satire auf die Hamburger Schildbürger. In Niedersachsen und Pyrmont hatte ein Schauspieler König Crösus zu machen und blieb in seiner Thronrede nicht öfter als fünfundzwanzigmal ftecken. "Eole Lydier! Stüßen meines Reichs, dann stockte er; fünfundzwanzigmal fiel der Vorhang; das Publikum, voll Respekt vor Sr. Majestät, blieb ruhig! So stand es mit unserer Bühne noch 1720!

Gottsched erschien, der Pedant aller Pedanten, der durchaus auch Dichter sein wollte, ohne eine Ader vom Dichter, und Jeden mit Dichterftolz verfolgte, der ihm und seinem Anhang nicht huldigte, so daß man faft wünschen müßte, der König von Preußen hätte das Langgestreckte Landeskind unter die Potsdamer nehmen können; aber er flüchtete nach Sachsen. Wir wollen jedoch nicht vergessen, daß er den Lohensteinischen Schwulst bekämpfte, viel Verdienste fich um die deutsche Sprache erwarb und die französische Literatur bekannter machte; wenn er nur sich nicht um die deutsche Bühne auch bekümmert hätte ohne allen Geschmack. Die Oper und Operette wollte er ganz ausgerottet wiffen und das Lustspiel dadurch veredeln und reinigen, daß er den

Hanswurst ganz vom Theater jagte; ja er und die Directrice des Theaters, Neuberin, veranstalteten 1757 eine öffentliche feierliche Leiche des ehrlichen Gesellen, der noch allein die Langweile aus dem Theater vertrieben hatte. Je dictatorischer er auf die Spötter losging, desto mehr wurde gelacht; er überlebte selbst seine Dictatur, stieg aber hinab in die Grube 1766, im beglückenden Wahn, daß er der wissenschaftliche Mefstas der Deutschen gewesen sei!

Gottsched gab seine Schaubühne in sechs starken Bänden heraus, war Rathgeber der Neuberin und regte doch manchen bessern Kopf auf zum Studium des Schönen und der damals uns weit vorausgeeilten Franzosen, und feine und auch seiner Frau Gemahlin Uebersezungen waren boch immer besser als die alten Haupt- und Staatsactionen und die Schulkomödien. Es ist eine nicht unwichtige Erziehungsaufgabe: ist es gut auf Schulen Theaterstücke aufzuführen? Ich will die Frage nicht verneinen, aber das weiß ich, daß Theater nichts taugen auf Universitäten. Gottsched war überzeugt, er habe uns ein deutsches Theater gegeben in seinen vergottschedeten Uebersetzungen, und man sagte, er hätte beffer gethan, wenn er einen Elbekahn gehalten und Leute überseßte, als die Franzosen und Holberg - Molière geftel dem Pedanten weniger. Neuberin, mit der sich Gottsched abwarf, brachte ihn auf die Bühne als Tadler, gekleidet in den Sternenmantel der Nacht, eine Flittersonne auf dem Haupte, Fledermausflügel an den Schultern und eine Blendlaterne in der Hand. Sie ging nach Kiel, wo fie in eigener Person wieder den Harlekin machte, der in seinem kleinen Finger mehr vis comica hatte als der Potsdamer in seinem ganzen hochansehnlichen Corpus. Rabener sagte einft: „Man muß den Namen Gottes nicht mißbrauchen und den Mann schlechtweg Sched nennen !4 Schade, daß der Mann nicht Gottschote hieß!

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