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keit, die ernftes Nachdenken flieht, Kopf und Herz leer läßt, und statt große und würdige Gegenstände oder die Pflichten des Berufes zu umfaffen und fich dazu immer würdiger zu machen, allein huldigt dem Esprit de bagatelle. Alles wird klein in dieser feinen Modewelt vor dem höchftzuversichtlichen Benehmen in Worten, Geberden und Werken, zumal wenn das mächtige Gefühl äußern Glücks und Reichthums dieses Imponiren begleitet, und der Minderglückliche ist noch glücklich, wenn er nichts merkt, unglücklicher aber, wenn er sich bloß stellen muß, als ob er nichts merke und nicht wisse, daß z. B. der imponirende, regierende Kleingroße im größten Pomp vor zwanzig Jahren als Offizier von seinen Gläubigern verfolgt, aus einem großen Staate entwichen und lange dürftig auf einem Dörfchen gelebt habe, bis das Glück ihm wieder lächelte. Mechanische Geschäfte verursachen zwar auch Leere des Kopfes, aber das Herz bleibt dabei den Gefühlen der Menschheit offener, und der Mensch der niedern Welt ist dem Menschen mehr Mitmensch.

Jene Perftflage der höhern Welt vertrocknet Herz und Kopf, was schon ohnehin hohe Geburt, geerbter Reichthum und vornehme Familienverbindungen nur allzu gerne thun. Ist la matière du jour abgehandelt, so vertieft man sich ins Theater, Muftk, Ball, Spiel, Ankunft berühmter Fremden, in Anekdoten und Charaden, spricht etwa noch ein leises Wörtchen vom Hofe und dem Einfluß dieses oder jenes Ministers und Generals, und dann libre cours à la persiflage et à la chronique scandaleuse. (1) Große wie kleine Höfe find die eigentliche Reftbenz ver Perfiflage, denn da treffen in der Regel die metften leeren öpfe und leeren Herzen zusammen — mais il est plus honteu de persifler que d'être persiflé. (2)

(1) Freien Lauf der Verho, Scham, zu verhöhnen, wie verhöß und Klatscherei.

werden.

- (2) Es bringt mehr

Eine Art Persiflage der Bürgerwelt findet man im sogenannten Sticheln, d. h. Jemanden auf verblümte Weise die Wahrheit geigen, und diese Geige spielt Niemand besser als die Weiber; am liebsten bringen fle ihre Stiche bei Wizigen an, nachdem fte lange gebrütet und in größter Geduld den Augenblick abgepaßt haben, wo dieselben eine Blöße geben. Man nennt die kleinen gelben Bachftelzen und die Fischchen mit stachlichten Floßen Stichlinge, aber mit mehr Recht könnte man die Weiber so nennen; fle merken auch gar wohl, wenn der Mann roth oder verlegen wird, daß der Stich fizt, und lächeln sich traulich zu. Jener Schaffnecht, der einigemal aus Furcht vor dem Wolf die Heerde verlassen hatte und am Sonntag die Worte hörte: »Der Miethling fleucht, wenn er den Wolf fleht, denn er ist ein Miethling," lockte seinen Fir: Komm, Fir, komm! he stichelt up uns."

Am Schluß meiner Betrachtung muß ich Jean Pauls Wunsch erneuern, daß Männer von Kenntniß, Wiß und Laune fich vereinen und über das ungeheure Lesepublikum erbarmen, d. h. eine allgemeine deutsche Bibliothek schlechter Bücher bloß ironisch herausgeben möchten, da Nicolat entschlafen ist... Aber würde solche nicht noch bändereicher werden als erstere? Unser Heer von Schmierern hat mehr Muth als die besten Köpfe, die Ehre kennen fle so wenig als die Sinesen, die fich für Missethäter körperlich prügeln lassen fürs Geld, und so laffen fle fich Jährlich zweimal kritisch abprügeln für Ehrenfold des VerLegers, während manche treffliche Feder bei der ersten Hämischen Kritik Unberufener niedergelegt wird. Hier wäre die alternde Ironie ganz an rechter Stelle.

XI.

Voltaire.

Foenum habet in cornu, longe fuge! dummodo risum
Excutiat sibi, non hic cuiquam parcet amico. (1)

Es

Voltaire ist der Abgott des spottenden Wiges und der Franzosen und franzöftrenden Nichtfranzosen; Lucian schont weder Götter, noch Philosophen, noch Menschen, aber was ist der Grieche gegen diesen Helden, dessen unerschöpflicher Wiz Alles überflügelt, und der gerade der Religion der Christen am gröblichsten spottet, wenn er mit Verehrung und Anbetung zu sprechen scheint. schien schon ominös, daß der kleine Arouet (sein eigentlicher Name) sehr spät getauft wurde wegen Schwächlichkeit, wie Fontenelle zu früh. Schon in der Jesuitenschule rief sein Lehrer über ihn Malheureux, tu seras un jour le coryphé du déisme en France! (2) krates ist in der Ironie nur ein Kind gegen ihn, er ift wie gemacht für Franzosen und noch heut bewundert und gelesen, wie hätte man sonst 1812 bei Duclos Verlassen

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(1) Er trägt heu auf dem Horn!* Entfliehe, wenn er nur Lachen Sich erregt, dann pflegt er die Freunde nie zu verschonen. (2) Unglücklicher, einst wirst du das Oberhaupt der Deisten in Frankreich werden.

(* D. h. er ist wie ein gefährlicher Stier, dem man heu nach römischer Sitte auf die Hörner bindet, um ihn als gefährlich zu bezeichnen, oder um seinen Stoß unschädlicher zu machen.)

schaftsversteigerung für seinen Stock 1650 Pfo. Sterling geben mögen?

Und wir Deutsche, wir pflegen Voltaire zu tief herabzusehen, während ihm zu hoch von uns bewun= derte Britten, Robertson und Gibbon, zugestehen, daß fle in historischer Kunst viel von ihm gelernt hätten. Unsern Historikern scheint es an Geschmack zu fehlen — Wig ist ihnen ohnehin für den Ernft der Geschichte, felbft wenn solcher der Wahrheit huldigt, tadelhaft; Viele sehen gar noch lieber nach Citaten als nach dem Geiste, und was ist Geschichte eigentlich anders als eine Satire auf die Menschheit? Indessen möchte ich gerade in diesem Fache am wenigften Voltaire's Vertheidiger machen; Voltaire hat längst aufgehört, mein Abgott zu sein, wie der trübsinnige Sophift Rousseau auch; aber schwärmte nicht auch der große Friedrich für den Erstern? Wo find unsere Voltaire und Rousseau ? Voltaire hatte, weit mehr als Jean Jacques, ungeheuren Einfluß auf ganz Europa.

Wig und Hang zum Spott, sein feiner Takt für alles Lächerliche macht Voltaire zum Nationalheiligen Frankreichs und zum Abgott des nordischen Salomo. Wenn jener böse wurde, daß er, verglichen mit Arnould, schon à son couchant sein sollte: Ah quelle sottise! qu'il se mêle de régner! (1) wenn er keine Citrone sein wollte, die man auspreßt und dann wegwirft und der König wieder umgekehrt seine Poesten für mehr als schmuzige Wäsche ansah, die Voltaire reinigen sollte, und nicht auf fich kommen lassen wollte, daß sein Antimacchiavell bloß in die Schüffel gespien habe, um Andern die EßIuft zu vertreibenso vereinte gemeinschaftlicher Spottgeist Beide bald wieder. Friedrich gab dem Dichter weit

(1) Im Untergehen. — Welche Dummheit, er will sich in die Regierung mischen.

mehr nach, als der Dichter dem König, sagte ihm aber doch schon 1759 echtdeutsche Wahrheiten, während d'Alembert schmeichelte: Etes vous sage à soixante-dix ans, apprenez de quel style il vous convient de m'écrire; comprenez qu'il y a des libertés permises et des impertinences intolérables si vous n'aviez pas eu affaire

à un fou amoureux de votre beau génie, vous ne Vous en seriez tiré pas aussi bien. (') Friedrich schrieb diese Zeilen im Gedränge des flebenjährigen Krieges und war schon als bloßer Mensch unendlich erhaben über ben bloßen Spötter und eiteln Dichter, ob sich gleich die Gefangennehmung im schwarzen Bock zu Frankfurt nicht recht reimen läßt; Voltaire konnte diesen Bock nie vergessen, und wenn Maria Theresia vom bösen Manne" sprach, so sprach er vom diable de Salomon, qu'il ne voulait plus voir ni dans ce monde ci, ni dans l'autre. (2) Er nannte ihn sogar in seinen Briefen nur St. Luci so hieß sein Affe. Bettinelli tadelte solches mais, ne mord il pas tout le monde? (3) entgegnete Voltaire, der wohl mit mehr Recht St. Luci I. genannt werden fonnte; und dennoch schrieb ihm noch 1778 der König; folglich dauerte die Korrespondenz des großen Königs von 1736 bis 1778 mit dem literarischen Affen, der sich vor allen unter die großen Männer zählte und doch unter seinen eigenen Augen zu Berlin so klein und erbärmlich fich benommen hatte, nicht bloß gegen Maupertuis, Formey 2c. und erst gar seinen bekannten Judenhandel?

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Voltaire ist der Alexander der französischen Literatur, der von Eroberung zu Eroberung eilte, nie die Provinzen genau kennen lernte, in die er einfiel; ein Dußend Ideen

(1) Seid Ihr mit 70 Jahren verständig, so lernt, in welchem Style mir zu schreiben Euch geziemt; begreift, daß es erlaubte Freiheiten und unerträgliche Impertinenzen gibt. Hättet Ihr nicht mit einem Narren zu thun, der in Euer schönes Genie verliebt ist, so wäret Ihr nicht so leicht weggekommen.(2) Teufel vom einem Salomo, den er weder in dieser noch in jener Welt sehen will, — (3) Aber beißt er nicht alle Welt?

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