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Coleridge und Hazlitt, und zwar beide nicht in größeren Werken, sondern nur in gelegentlichen Vorlesungen und Abhandlungen. Und von diesen beiden ist der erste und bedeutendste, Coleridge, erst durch seine Studien der deutschen Philosophen, seinen längeren Aufenthalt in Deutschland, die unmittelbare Berührung mit den Göttinger Dichtern und den Häuptern der romantischen Schule zu seiner wesentlich deutschen Auffassung Shakespeare's hingeführt worden. Und war es nur Zufall, daß beide, Coleridge wie Hazlitt, aus der unitarischen Sekte, dieser der englischen Orthodoxie am fernsten stehenden Religionsgenossenschaft, hervorgegangen sind?

Gewiß wird England dereinst aus seinem geistigen Schlaf erwachen, obgleich es in keinem Lande der Welt schwerer ist die herrschenden Richtungen zu ändern. Von den vielen erleuchteten Geistern, die schon heute dort ihre Stimmen erheben, unterstützt von dem niederen Mittelstand, der dort noch am treuesten zu Shakespeare steht, wird die Reformation unhaltbarer Zustände ausgehen.

Wir Deutsche aber, auf die Shakespeare vor dreihundert Jahren mit Ironie herabblickte, sind seine treuesten Söhne geworden. Seine Landsleute haben sich aus seinen geistigen Bahnen entfernt, wir sind in dieselben eingetreten. Von dem Humanitäts-Programm, welches in seinem Kopf und Herzen lebte, haben wir ein gut Stück mehr erfüllt; der Richtung, die sein Genius uns zeigte, haben wir treuer nachgelebt, als seine Landsleute. Wir haben uns Shakespeare erobert, er ist unser, er ist deutsch-national geworden. Und so und nicht anders faßten ihn die Dichter-Heroen auf, deren geistiger Tritt noch durch unsre Fluren hallt. Nicht in sklavischer Nachahmung - denn unser Jahrhundert hat andern Inhalt, andere Formen -- aber von seinem Geist angeweht, befruchteten sie ihr Inneres mit dem unsterblichen, über dem Wechsel der Jahrhunderte stehenden Inhalt seiner Werke und gebaren ihn neu im Geist und in den Formen ihrer eigenen Zeit. Als Dritter im Bund mit Schiller und Göthe, der Adoptivsohn deutschen Geistes, so und nicht anders feiern wir ihn. Spricht der Ewige

uns durch alle Zungen? ist der Geist an Formen, an irdische Kategorien gebunden? ist die Wahrheit minder wahr, die Schönheit minder schön, wenn sie nicht in unserer Gewandung zuerst in die Erscheinung trat? Nein; heilig sei uns der Zug deutschen Wesens, der neidlos und ohne Vorurtheil das Geistige nur am geistigen Maßstabe mißt. Freuen wir uns mit Herder,

daß wir noch im Stande sind, unsere Herzen an Shakespeare's unsterblichen Schöpfungen zu erwärmen. Denn es ist nicht bloß ein Genuß, es ist ein Verdienst, in die Seele großer Männer einzudringen; und in diesem Sinne sprach unser Altmeister Göthe das schöne Wort: „Von dem Verdienste, das wir kennen, haben wir eine Spur in uns!"

Shakespeare's Macbeth und Davenant's

Macbeth.

Von

Nicolaus Delius.

Ueber Sir William Davenant's Leben und Werke hat unser verehrter Kollege Professor Karl Elze im vierten Bande dieses Jahrbuchs eine so erschöpfende Monographie geliefert, daß es mir für meinen Zweck genügen kann, statt aller weiteren orientirenden Einleitung die Leser auf jene verdienstliche Arbeit, wieder abgedruckt in des Verfassers Abhandlungen zu Shakespeare", Halle 1873, zu verweisen. Wie in derselben Davenant der Reihe nach, durch alle seine wechselnden Lebensschicksale hindurch, als royalistischer Parteigänger, als Hofmann, als Dichter und endlich als Wiederhersteller der englischen Bühne nach und sogar noch während der Puritanerherrschaft eingehend charakterisirt wird, so erscheint er zu guter Letzt auch in dem zweifelhaften Lichte eines Shakespeareverbesserers in der Analyse, welche Elze von dessen 'A Law against Lovers' gegeben hat. Es ist dieses Drama eine monströse Verquickung zweier in ihrer Tendenz grundverschiedener Shakespearischer Schauspiele zu einem nicht einheitlichen, sondern zweiheitlichen Ganzen. Von einer andern Davenant'schen Probe, Shakespeare zum Besten des damaligen Publikums zu verbessern, zu welcher freilich sein Gehülfe Dryden das gute Beste geliefert, habe ich selbst in dem genannten Bande des Jahrbuchs in der Abhandlung „Dryden und Shakespeare" einen ausführlichen Bericht abgestattet.

Mein Versuch, diesen beiden Analysen noch eine dritte hinzuzufügen, könnte vielleicht überflüssig erscheinen, wenn nicht einerseits Davenant's Verfahren in diesem dritten Falle wesentlich abwiche von seiner Methode in den beiden anderen Fällen, und wenn nicht andererseits das unerhörte Glück, welches seine Bearbeitung des Macbeth beim englischen Publikum weit über seine eigne Zeit hinaus gemacht, eine nähere Betrachtung auch für uns zu verlohnen schiene. Sein Law against Lovers, in rohester Geschmacklosigkeit aus dem halben Measure for Measure und aus dem halben Much Ado about Nothing zusammengeschweißt, konnte allenfalls ein pathologisches Interesse, aber kaum ein ästhetisches erregen und hat denn auch sehr früh sein verdientes Loos allgemeiner Vergessenheit auf der Bühne wie in der Literatur gefunden, so daß es in Letzterer nur noch gelegentlich als eine bloße Kuriosität auftaucht. Demselben Schicksale ist denn auch sehr bald das Drama The Tempest anheimgefallen, nur daß Dryden's Löwenantheil an diesem Machwerk ihm einen Platz in dessen eigenen Schriften, wenigstens im Druck, unter seinen sonst längst verschollenen Dramen gesichert hat. Wenn sich aber, im Gegensatz zu diesen beiden lebensunfähigen Miß- und Fehlgeburten, Davenant's Macbeth fast achtzig Jahre lang auf der Bühne erhalten und, nach den wiederholten Auflagen zu schließen, auch dem Publikum außer der Bühne die Kenntniß des Shakespeare'schen Macbeth verkümmert, um nicht zu sagen gänzlich verdrängt hat, so kann das seinen hinreichenden Grund nicht allein, wie man vielfach annahm, in der brillanten scenischen Ausstattung, in den opernartigen Zuthaten von Tanz und Gesang haben, mit denen der Bearbeiter das Shakespeare'sche Original dem herrschenden Zeitgeschmacke anzupassen verstanden hat. Der wahre Grund dieses lange andauernden Beifalls ist eben so sehr das Verdienst Shakespeare's wie Davenant's und erklärt sich aus dem engen Anschluß an ein anerkanntes Dichterwerk ersten Ranges, das doch mit besserem Respekt in der Bearbeitung zu behandeln war, als man in den beiden anderen Fällen für erforderlich erachtet hatte. An dem so einfach und konsequent angelegten Plane und durchgeführten Bau des Shakespeare'schen Macbeth ließ sich ohne Zerstörung des Ganzen nicht rütteln, mochten auch in Einzelheiten noch so viele „,Verbesserungen" anzubringen sein. So hat denn Davenant im Allgemeinen das vorgefundene Scenarium beibehalten, abgerechnet den Einschub einzelner Scenen, die freilich mit der Tendenz und der Redeweise des ursprünglichen Verfassers

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in schroffstem, nur dem damaligen Publikum nicht auffälligem Widerspruch standen. Daß durch diese Zuthaten auch die von Shakespeare entworfene Charakteristik der Personen hie und da krassen Abbruch erlitt, das scheint weder Davenant gekümmert, noch sein Publikum gemerkt und ihm verübelt zu haben. Einer durchgängigen Reform, bei der Beibehaltung des überkommenen Shakespeare'schen Macbeth, hat aber Davenant die Sprache Shakespeare's bedürftig erachtet, und eine solche hat er denn mit peinlicher Sorgfalt durch das ganze Drama hindurch ins Werk gesetzt. Ihn leitete bei dieser nicht verlorenen Liebesmühe eine zarte Berücksichtigung des Bildungsgrades, den er bei seinem Publikum voraussetzen durfte. Diesem Publikum ließ sich ein Verständniß der Phraseologie Shakespeare's in ihrem Tiefsinne, ihrem prägnanten, kühnen, bilderreichen Ausdruck schlechterdings nicht mehr zumuthen. An die Stelle alles Ungewöhnlichen und Eigenartigen mußte überall das Gewöhnliche und Gemeine treten; mit einem Worte, diese Tragödie mußte aus der Sprache Shakespeare's in die Sprache Davenant's übersetzt werden, wenn sie bei ihrer Wiederauferstehung etwa sechzig Jahre nach ihrem ersten Erscheinen auf der Bühne - einen neuen Lebenslauf beginnen sollte, der denn auch wirklich, zur Bestätigung der Richtigkeit des Davenant'schen Kalküls, achtzig Jahre lang gedauert hat. Daß an dieser lange anhaltenden Popularität der glänzende Apparat einer augen- und ohrenfälligen Inscenirung, Hexentänze und Hexengesänge, reiche Kostüme und Maschinenkünste keinen geringeren Antheil hatten, als Davenant's Textrevision, das ist selbstverständlich und auch durch die überlieferten enthusiastischen Lobeserhebungen damaliger Theaterbesucher hinlänglich bezeugt; aber ebenso wahrscheinlich ist es, daß dieser äußerliche Aufputz erst zu seiner rechten Geltung gelangen konnte in Verbindung mit dem innerlichen Aufputz der Davenant'schen sprachlichen Umarbeitung. Wie unverständlich dem großen Haufen und wie ungenießbar der feineren Welt das echte Drama Shakespeare's im Laufe der Zeit und im Wechsel des Geschmacks geworden war, das konnte am wenigsten Davenant sich verhehlen, er, der als Knabe „seinen Gevatter Shakespeare" noch gekannt hatte und der sogar den ursprünglichen Macbeth vielleicht noch hatte aufführen sehen in seiner einfachen, alles scenischen Pompes baaren, nur durch die Kraft des Shakespeare'schen Wortes wirkenden Gestalt.

Das Gesagte mag zur vorläufigen Orientirung im Allgemeinen

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