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geltend machte.

Lastträger, Themseschiffer, Matrosen, Mäkler, selbst Schiffsrheder saßen und standen hier umher, schwatzend, aus seltsam geformten Apparaten das neumodische Kraut des überseeischen Tobacco schmauchend und aus steinernen Krügen das schäumende Ale schlürfend. Zwischen dieser muntern Gesellschaft sah man die runde Figur des allzeit aufgeräumten Wirths geschäftig hin und her laufen, eines Mannes, der durch die Wucht seiner Persönlichkeit die strengste Ordnung unter dem hier versammelten Völkchen aufrecht zu erhalten verstand, jeden seiner Gäste mit dem entsprechenden Getränke, aber auch mit dem rechten Worte zu bedienen und bei alledem die Würde eines unumschränkten Monarchen zu wahren wußte, hier zurückhaltend, dort ermunternd, immer auf das allgemeine Behagen wie auf prompte Bezahlung bedacht.

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,Platz da, Ihr Lümmel", rief Mr. Dumbleton einigen Matrosen zu; „müßt Ihr denn immer besseren Leuten den Weg versperren! Willkommen, Mr. Nash, Ihr habt Euch in der letzten Zeit gar zu rar gemacht; muß das sein? Ah, gewiß ein gelehrter Freund aus Cambridge oder Oxford. Nun, hier in der Meermaid sind wir auch gut akademisch unser Hörsaal ist zum Empfang solcher würdigen Gentlemen gerüstet."

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,,Schon Jemand da?" frug Nash.

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Wohl", entgegnete der Wirth mit wichtiger Miene, „Mr. Shakespeare hat bereits vor geraumer Zeit den Hausflur passirt."

Im Vorschreiten nach dem Hofraum zu kamen die beiden Gäste an einem geräumigen Zimmer vorbei, aus dem sich ein munteres Geplauder hörbar machte.

„Hier vergnügt sich", erklärte Nash seinem Begleiter, „die Bürgerschaft der City, das Mastvieh des Schachers, bei einem Glase Gascogner. Horcht, wie sie jobbern! Ich wette Zehn gegen Eins, die lebhafte Unterhaltung dreht sich um die neuliche Expedition Sir Walters nach dem Goldlande, mit dessen Reichthümern jeder elende Shopkeeper seinen Säckel schon gefüllt sieht. — Nehmt die drei Stufen in Acht, die hier herauf zum Herrenzimmer führen."

Der breitschulterige Satiriker schob seinen gelehrten Freund in ein über dem Steinpflaster des Hofraums um einige Fuß höher belegenes Vorgemach, woselbst man eine junge Frau damit beschäftigt fand, aus einem der Wandschränke Teller und Gläser hervorzuholen und blank zu putzen. Als sie sich umwendete, um die Eintretenden zu begrüßen, zeigte sie denselben ein auffallend

Jahrbuch XX.

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hübsches Gesicht von regelmäßigen Zügen, mit dunkeln, freundlich blickenden Augen. Ein knappes Mieder rahmte die volle Gestalt ein und das rothe, mit schmaler Silberschnur besäumte Röckchen war vorn gerade insoweit durch eine silberne Schnalle aufgerafft, um das kleine, mit spiegelblankem Schuh bekleidete Füßchen in das günstigste Licht zu setzen.

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„Ja, schmunzelt nur, mein gelehrter Freund", rief der Satiriker. Dies ist Mrs. Nelly Dumbleton, die Blume der BreadStreet, die Krone unter den Wirthinnen, der man nachsagt, sie bestimme die Güte wie das Alter ihrer vortrefflichen Weine mittels des unfehlbaren Prüfsteins ihres über alle Maßen feinen Geruchsinnes. Ihr seht hier die Kochkünstlerin xať ¿§oxy, die ihre Saucen nicht in dem plumpen Topfe der Empirie, sondern in dem Destillierkolben der Wissenschaft bereitet, das Ideal aller Gourmands, nebenher die ebenso bewunderns- wie beklagenswerthe Zielscheibe für die verliebten Sonette aller der Narren, die sich an ihren Weinen begeistern."

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,,Gemach, Mr. Nash", erwiderte das lachende Weibchen ,,so lange ich denken kann, habt Ihr mich niemals angesungen." Da habt Ihr's, Thomas. Mrs. Dumbleton scheint von den Stammgästen der Herrenstube noch mehr zu profitiren, als klingende Münze", warf der Gelehrte ein.

,,Umgekehrt, Freund! Bei ihr, ja selbst bei ihren Küfern

machen die Herrenstübler zuweilen eine Anleihe - für ihren Witz. Ihr glaubt mir nicht? Ich will es Euch ad oculos demonstriren. Franz!"

„Gleich, Herr, gleich!" antwortete eine gellende Stimme aus dem Hintergrunde.

„Ecco! Da habt Ihr das Modell zu dem belustigenden Küfer aus Shakespeare's Historie. Was glotzest du mich an, Maulaffe? Eine Flasche Muskateller und zwei Humpen!"

„Gleich, Mr. Nash."

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nun,

,,Schade, daß Henry Chettle nicht zur Hand ist hoffentlich bleiben heut Abend die Urbilder der Fallstaffiaden1) nicht aus."

,,Sicherlich nicht", bemerkte die Wirthin, auf Nash zeigend, ,,ist doch bereits Korporal Bardolf zum Appell der lustigen Kompagnie angetreten."

1) cf. Elze, William Shakespeare, S. 173.

Erneutes Zornesfunkeln auf des Satirikers Nase!

,,Introite!" rief er dem Gelehrten zu.

Aus dem Vorgemache traten die Beiden in ein geräumigeres Zimmer mit ringsum getäfelten Wänden. In der Mitte der der Eingangsthüre gegenüberliegenden Langseite erhob sich ein mächtiger Kamin, von dem aus eine behagliche Wärme über den matt erleuchteten Raum sich verbreitete. Ein Kranz von kleineren Tischen nebst den dazu gehörigen eichenen Stühlen umschloß die bereits gedeckte Mitteltafel, während auf der Breitseite nach dem Hofraum zu in einer tiefen Fensternische ein besonderer Stammsitzplatz arrangirt war, den Mr. William Shakespeare einzunehmen pflegte.

„Da thront er schon auf seinem Dreifuß", murmelte Nash vor sich hin. Er muß ja überall der Erste sein. Ich sehe, Ihr seid beschäftigt, vermuthlich mit dem Entwurfe eines Eurer unvergleichlichen Sonette", fügte er laut hinzu, als Shakespeare sich zur Begrüßung erhob ,,wir wollen nicht stören."

,,Die Beachtung, die ein so seltner und so distinguirter Gast, wie Thomas Nash, solchem Mittelgute wie unser Einem angedeihen läßt, kann nur angenehm empfunden werden, zumal wenn sie von Wohlwollen und guter Laune diktirt ist", erwiderte Shakespeare mit höflicher Verbeugung. „Doch wen darf ich in diesem Herrn willkommen heißen?"

,,Mr. Joshua Sampson", stellte Nash vor, „Magister legens, Mathematiker und Astronom an der Universität Oxford, einer der Glücklichen, die berufen sind, in die gestirnten Sphären einzudringen und aus der Konstellation der Himmelskörper die Rathschlüsse der Vorsehung über die Geschicke der armen Erdenwürmer zu erforschen und festzustellen."

,,Mein Freund Nash", bemerkte der Gelehrte, „ist nicht umsonst auf den Namen Thomas getauft; er gehört zu den Ungläubigen, die den Einfluß der planetarischen Stunde leugnen und den Ernst unserer mystischen Kunst hinwegspotten.“

„Laßt das gut sein, gelehrter Herr, Mr. Nash ist ein Spötter von Beruf, ein Skeptiker, der alle Dinge zwischen Himmel und Erde ausnahmslos für eitel, nichtig und ungenügend erklärt."

„Richtig“, entgegnete Nash, „vornehmlich die heutigen Erzeugnisse unserer Dramatiker. Nur nimmt es mich Wunder, daß der Dichter des Hamlet, der dem Zweifel in so beredter Weise das Wort redet und die Skepsis in seinem Helden zu verherrlichen

weiß, aus den kritischen Bedenken eines armen Skribenten Vorwürfe so schwerwiegender Art zu schmieden kein Bedenken trägt.“

,,Ihr vergeßt", erwiderte Meister William, „daß Hamlet an seiner Skepsis zu Grunde geht."

,,Und dieses Prognostikon stellt Ihr vielleicht auch mir! Wollen sehen, wer's länger aushält, meine Kritik oder Euer Hamlet. Doch da kommen Eure Kollegen. Wir lassen Euch in besserer Gesellschaft."

Während sich Nash mit dem Astrologen an einen in der entgegengesetzten Ecke des Zimmers befindlichen Tisch zurückzog, stürmten drei junge Männer lachend aus dem Vorgemach herein, geradenwegs auf Meister Shakespeare's Stammsitz zu.

„Ein köstlicher Spaß!" rief der Vorderste.

,,Was giebt es, Richard Burbage?" frug Meister Shakespeare. ,,Denke dir, Willy: draußen in der Vorhalle begegnen wir Franz, dem Küfer, an den ich die einfache Aufforderung richte, uns die Delikatessen aufzuzählen, die uns Mrs. Dumbleton heute zugedacht hat. Da schneidet ihm Kemp eines seiner Gesichter, die, wie du weißt, die Todten aufzuerwecken im Stande sind. Eben will der Junge das Register der gebratenen Hühner, Wildschweinsköpfe, Pasteten und Hammelschnitten ableiern, als ihm das Wort im Munde buchstäblich einfriert. Die küssenswertheste Verblüfftheit malt sich in seinen Gesichtszügen und wie unter den Blicken der Meduse schlottert sein ganzes armseliges Ich zusammen. Dabei verfärbte er sich, daß er aussah, als wäre er aus einer Käserinde geschnitzt. - Heulend lief er davon, indem er Mr. Kemp beschuldigte: der brächte ihn noch um seinen Verstand, der doch bisher immerhin ein ganz respektabler Verstand gewesen wäre! Und solchen Erfolgen gegenüber wagt es Chettle, denselben William Kemp einen Hanswurst zu nennen, höchstens dazu befähigt, ein altes Hökerweib zum Lachen zu bringen."

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,,O! Chettle leistet noch mehr", erwiderte Shakespeare. „Der fette Schlingel schimpft auf Alles, was mit Blackfriars im Zusammenhange steht. Aber sieh doch, Richard, wie geputzt du bist! Dieser taftne Mantel, dieses Wams von karmoisinrothem Sammt!" ,,Wunderst du dich, Will? Bleibe ich ja doch nur in der Glosterrolle, die du mir selbsteigen auf den Leib geschrieben hast: Ich will auf einen Spiegel was verwenden,

Und ein paar Dutzend Schneider unterhalten1)

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1) Richard III, I, 2.

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,,Ei! was gehen dich meine Schulden an, mein theurer Willy?" ,,Dem Himmel sei Dank, daß ich damit Nichts zu schaffen sie würden mich unfehlbar um meine Nachtruhe bringen! Nein! Richard Deine Passiva lasse ich dir ganz und gar! Aber um Eins beneide ich dich wirklich."

habe

,,Nun ?"

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„Um deine Beine. Wie prächtig sie sich in dem geflammten Strumpfe ausnehmen, obwohl ihnen ein wesentlicher Schmuck fehlt: die kreuzweis gegürteten Kniebänder, das Hosenband der Malvolios. 1) Heminge! Du spielst ja den alten Gecken, und, wie ich einschalte, unvergleichlich. Bitte, leihe Richard Burbage deine Malvolio-Kniegürtel!"

„Um Alles in der Welt nicht", warf Heminge ein; „er würde sich so in sie verlieben, daß ich ihrer nie wieder habhaft werden möchte."

„Aber, Jungens", rief Kemp dazwischen,

um aus dem raschen Anlauf unsres Witzes
In einen mehr gesetzten Ton zu fallen,2)

hätte ich Euch einen Vorschlag zu machen. Wenn Ihr mir einen Augenblick Gehör schenken wolltet "

,,Sprich, Orakel", fiel Burbage ein,,,es rührt sich keine Maus.")

„Nun wohl! der Henry Chettle wird nachgerade unerträglich“, erklärte Kemp, sein kaustisches Gesicht in ernste Falten zwingend; ,,Blackfriars muß mit ihm ins Gericht gehen!"

„Nicht so laut, Will Kemp", flüsterte Shakespeare, „Nash da drüben spitzt die Ohren."

,,Also piano: Wie Ihr wißt, weidet das dicke Vieh jetzt auf Henslowe's, unseres Konkurrenten, Wiese. Er schreibt gegenwärtig bis auf Weiteres seine Stücke ausnahmslos für die ,,Rose" drüben in Bankside, und ist dort neuerdings mit einer Tragödie vor die Lampen getreten, die, ein beabsichtigtes Gegenstück unseres Hamlet, diesen unseren Prinzen von Dänemark mausetodt schlagen soll."

,,Ich weiß, ich weiß", warf Shakespeare ein; sie ist betitelt: Rache für meinen Vater. Der Held ist ein Deutscher mit dem sonderbaren Namen „Hoffmann", der, um den Tod seines wegen Seeräuberei gehängten Vaters zu rächen, ein halb Dutzend Fürsten und Fürstensöhne umbringt, einer alten Herzogin in Liebe nach

1) Was Ihr wollt, III, 4. 2) Richard III, I, 2.

8) Kaufmann von Venedig I, 1,

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