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Schlußscene handeln, und eben hierauf haben wir die vier uns vorliegenden Bearbeitungen zu prüfen.

Was zunächst die Anordnung des Schauplatzes anbelangt, stehen wiederum je zwei einander gegenüber. Devrient und Oechelhäuser haben einen einzigen Schauplatz, die beiden andern ihrer zwei, und zwar nur verschiedene Partien des nämlichen britannischen Lagers nebst angrenzendem Schlachtfeld, ziemlich genau nach den Weisungen des Originals, aus welchem also nur die kurze Scene 2 entfällt. Folgt man aber in solcher Weise dem Original, daß die seitens der Britannier gewonnene Schlacht mitten in den Akt verlegt wird, so möchte man fast ohne Bedenken das Verfahren Oechelhäuser's vorziehen, der für beide dem Dichter entlehnte Scenen den nämlichen Schauplatz verwendet. Freilich bleibt das Mißliche der auf offener Bühne vor sich gehenden Schlacht bestehen, welche bei Possart und Köchy durch die statthabende Verwandlung dem unmittelbaren Eindruck des Zuschauers entrückt wird. Weitaus vortheilhafter dünkt uns aber Devrient's Verfahren zu sein, das nicht nur die für den Schlußakt störende Unterbrechung der Handlung durch statthabenden Scenenwechsel, sondern auch die Fatalität der niemals zur vollen Illusion zu erhebenden Bataille zwischen gedrillten Komparsen glücklich umgeht. Devrient beginnt nämlich sofort mit der dritten Scene des Originals, also nach erfolgter Schlacht, welche in die Zwischenzeit vor dem fünften Akte fällt. Die wesentlichen Züge aus der bei ihm gestrichenen Anfangsscene des Aktes hat er geschickt an geeigneten Stellen des von ihm verwendeten Textes angebracht, so daß sowohl die zwischen Edmund und Albanien entstandene Spannung, wie auch das Verhältniß Goneril's und Regan's unter einander und zu dem von ihnen geliebten Edmund mit hinlänglicher Deutlichkeit hervortreten. Auch für die nöthige Ankündigung von Edgar's später erfolgendem Zweikampf mit Edmund, welche bei Possart und Köchy dem Original entsprechend durch Jenen persönlich geschieht, während Oechelhäuser dies Detail als in mancher Hinsicht störend streicht, hat Devrient einen sehr glücklichen Ausweg gewählt, indem er diese Meldung durch einen Boten erfolgen läßt. Ebenso geschickt verfährt er auch bei einer andern Einzelheit des Originals, die durch seine Anordnung einen richtigeren Verlauf erhält. Es handelt sich um Lear's Wiederkehr auf den Schauplatz mit der entseelten Cordelia. Während die drei übrigen Bearbeiter hierin dem Original folgen und auf Edmund's reuevollen Widerruf einen Boten nach dem Kerker

entsenden, der dann mit dem unglücklichen Vater, sein geliebtes Kind im Arm haltend, fast unverzüglich wiederkehrt, bleibt es ungewiß, ob Lear's Verschonung noch durch den diesbezüglichen Befehl oder durch dessen eigene Tapferkeit bewirkt worden, die ja textlich durch den ins Gefängniß abgeschickten Boten bestätigt wird. Devrient läßt die widerrufende Botschaft nicht in den Kerker gelangen. In dem Augenblick, wo Edgar dieserhalb hinwegeilen will, tritt ihm der greise König, die Tochter auf seinen Armen, entgegen und von einigen der Hauptleute begleitet, welche die beiden Gefangenen im Beginn des Aktes hinweggeführt. Indem nun diese Begleiter die Vertheidigungsthat des Königs bezeugen, ist es diese allein, welche sein Erscheinen in der Schlußscene erklärt, wodurch das Uneigentliche entfällt, daß der gegebene Befehl im Gefängniß, welches doch schwerlich dicht beim Feldlager sein kann, einen so unmittelbaren Vollzug findet, wie dies bei einer Zeitkürze von fünf Textzeilen angenommen werden muß, welche im Original zwischen den beiden Ereignissen liegen.

Fassen wir nun das Ergebniß der obigen Untersuchung kurz zusammen, so würde eine vortheilhafte Bühnenbearbeitung der Tragödie sich so gestalten, daß man die drei letzten Akte nach Devrient zu ordnen hätte, den ersten aber nach Köchy, mit dem von uns vorgeschlagenen Zusatz der für die Annäherung zwischen Edmund und den beiden Königstöchtern zu verwendenden Eingangsscene des Originals, während der zweite Akt nach Köchy und Possart zu kombiniren und des Letzteren Verfahren für den Abschluß des ersten Aktes mit zu berücksichtigen wäre.

oder zu

Verzeichniß noch zu erklärender emendirender Text-Lesarten in Shakespeare's

Dramen.

Zusammengestellt

von

F. A. Leo.

In dem nachfolgenden Verzeichnisse bringe ich eine annähernd vollständige Aufführung derjenigen Stellen im Shakespeare, welche bisher entweder ganz unaufgeklärt geblieben sind, oder in Bezug auf welche sich die Ansichten der Autoritäten noch nicht geeinigt haben. Selbstverständlich kann es sich hierbei nur um Textfragen drehen, weil man bei ihnen an ein Positives heranzutreten im Stande ist, während in der über die Text-Lesarten hinausgehenden Kritik, der individuellen Auffassung ein so weites Feld gelassen ist, daß jede Stelle im Shakespeare zu den diskutirbaren gerechnet werden könnte. Zeilen also wie z. B.

Tempest I, 2. 169:

Now I arise!

sind nicht in den Kreis des hier Aufzuführenden zu ziehen.

Es werden sich in dem Verzeichnisse natürlich viele Stellen finden, deren Anführung von Diesem und Jenem für überflüssig es werden viele fehlen, deren Anführung von Anderen für nothwendig erachtet wird; aber eine, einen jeden Fachmann befriedigende Korrektheit und Vollständigkeit dürfte kaum zu erreichen sein. Jede Hinweisung aber, welche zur Vervollständigung dienen könnte, werde ich dankbar annehmen.*)

Bis auf Perikles und einige Stellen des Hamlet hat mir die I. Folio als Quelle für die Schreibweise der Citate gedient. Oft erstreckt sich die emendationsbedürftige Stelle über mehrere Zeilen hinaus, doch wird das im Verzeichnisse aufgeführte Citat für den Sachkundigen als Hinweis genügen. Die Zählung ist die der Globe Edition.

Am Schlusse bringe ich zugleich ein Verzeichniß einiger Stellen in der Globe Edition, welche einen Fehler in der Zählung enthalten.

*) Für den Zweck nachträglicher, handschriftlicher Ergänzungen ist das Verzeichniß mit weißem Papier durchschossen.

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