Page images
PDF
EPUB

dem Glauben. Allein was das wahrhaftige und freie Gewissen für vernünftige Bestimmungen und Geseze enthalte, was das freie Glauben und Denken für Inhalt habe und lehre, diesen materiellen Punkt haben sie sich enthalten, zu berühren, und find in jenem Formalismus des Negativen und in der Freiheit, die Freiheit nach Belieben und Meinung auszufüllen, stehen geblieben, so daß überhaupt der Inhalt selbst gleichgültig sey. Auch darum konnten diese nicht einem Inhalt nahe treten, weil die christliche Gemeinschaft durch das Band eines Lehrbegriffs, eines Glaubensbekenntnisses, vereinigt seyn muß und es immer noch seyn soll, dagegen die Allgemeinheiten und Abstraktionen des abgestandenen,' nicht lebendigen rationalistischen Verstandeswafsers das Specifische eines in sich bestimmten, ausgebildeten christlichen Inhaltes und Lehrbegriffes nicht zulassen. Wogegen die Andern pochend auf den Namen Herr! Herr! frank und frei die Vollführung des Glaubens zum Geist, Gehalt und Wahrheit verschmähen.

So ist zwar viel Staub des Hochmuths der Gehässigkeit und Persönlichkeit, wie leerer Allgemeinheiten aufgeregt worden, aber er ist mit der Unfruchtbarkeit geschlagen, er konnte nicht die Sache enthalten, nicht zu Gehalt und Erkenntniß führen. Die Philosophie hat zufrieden seyn können, aus dem Spiel gelassen worden zu seyn; sie findet sich außerhalb des Terrains jener Anmaßungen, wie der Persönlichkeiten so der abstrakten Allgemeinheiten, und hätte auf solchem Boden gezogen nur des Unerfreulichen und Ungedeihlichen gewärtig seyn können.

Indem aus dem größten und unbedingten Interesse der menschlichen Natur der tiefe und reiche Gehalt verkommen, und die Religiosität, gemeinschaftlich die fromme und die reflektirende, dazu gekommen ist, die höchste Befriedigung ohne Inhalt zu finden, so ist die Philosophie ein zufälliges, fubjektives Bedürfniß geworden. Jene unbedingten Interessen sind bei beiden Arten von Religiosität, und zwar von nichts anderem als von dem Räsonnement, so eingerichtet worden, daß es der Philosophie nicht mehr bedarf, um jenen Interessen Genüge zu leisten; ja sie wird und zwar mit Recht dafür gehalten, jenem neuerschaffenen Genügen und solcher ins Enge gezogenen Befriedigung störend zu seyn. Die Philosophie ist damit ganz dem

freien Bedürfniß des Subjekts anheim gegeben; es`ergeht keine Art von Nöthigung dazu an daffelbe, vielmehr hat dieß Bedürfniß, wo es vorhanden ist, gegen Verdächtigungen und Abmahnungen standhaft zu seyn; es eristirt nur als eine innere Nothwendigkeit, die stärker ist als das Subjekt, von der sein Geist dann ruhelos getrieben wird, daß er überwinde," und dem Drange der Vernunft den würdigen Genuß verschaffe. So ohne Anregung irgend einer auch nicht der religiösen Autorität, vielmehr für einen Ueberfluß und gefährlichen oder wenigstens bedenklichen Lurus erklärt, steht die Beschäftigung mit dieser Wissenschaft um so freier allein auf dem Interesse der Sache und der Wahrheit. Wenn, wie Aristoteles sagt, die Theorie das Seligste und unter dem Guten das Beste ist, so wissen die, welche dieses Genuffes theilhaftig sind, was sie daran haben, die Befriedigung der Nothwendigkeit ihrer geistigen Natur: können sich enthalten, Anforderungen darüber an Andere zu machen, und können sie bei ihren Bedürfnissen und den Befriedigungen, die sie sich für dieselben finden, belassen. Es ist des unberufenen Herzudringens zum Geschäfte der Philosophie oben gedacht worden: wie dasselbe sich um so lauter macht, je weniger es geeignet ist, Theil daran zu nehmen, so ist die gründlichere, tiefere Theilnahme einsamer mit sich und stiller nach Außen; die Eitelkeit und Oberflächlichkeit ist schnell fertig und treibt sich zum baldigen Dreinsprechen; der Ernst aber um eine in sich große und nur durch die lange und schwere Arbeit vollendeter Entwicklung sich genügende Sache versenkt sich lange in stiller Beschäftigung in dieselbe.

Der baldige Verschluß der zweiten Ausgabe dieses encyklopädischen Leitfadens, welcher das Studium der Philosophie nach seiner oben angegebenen Bestimmung nicht leicht macht, hat mir die Befriedigung gegeben zu sehen, daß außer dem Lautwerden der Oberflächlichkeit und Eitelkeit eine stillere, belohnendere. Theilnahme statt gefunden habe, welche ich nun auch dieser neuen Ausgabe anwünsche.

Berlin, den 19. September 1830.

XXXV

Hegel's Anrede an seine Zuhörer

bei Eröffnung seiner Vorlesungen in Berlin, am 22. October 1818.

M. H.

Indem ich heute zum ersten Mal auf hiesiger Universität in dem Amte eines Lehrers der Philosophie auftrete, zu dem mich die Gnade Sr. Majestät des Königs berufen hat, erlauben Sie mir dieß Vorwort darüber voraus zu schicken, daß ich es mir für besonders wünschenswerth und erfreulich hielt, sowohl gerade in diesem Zeitpunkt, als auf hiesigem Standpunkt in ausgebreitetere akademische Wirksamkeit zu treten. Was den Zeitpunkt anbetrifft, so scheinen diejenigen Umstände eingetreten zu seyn, unter denen sich die Philosophie wieder Aufmerksamkeit und Liebe versprechen darf, wo diese beinahe verstnmmte Wissenschaft ihre Stimme wieder erheben mag. Denn vor kurzem war es einestheils die Noth der Zeit, welche den kleinen Intereffen des täglichen Lebens eine so große Wichtigkeit gegeben, andererseits waren es die hohen Intereffen der Wirklichkeit, das Intereffe und die Kämpfe nur zunächst das politische Ganze des Volkslebens und des Staates wieder herzustellen und zu retten, welche alle Vermögen des Geistes, die Kräfte aller Stände, so wie die äußerlichen Mittel so sehr in Anspruch genommen, daß das innere Leben des Geistes nicht Ruhe gewinnen konnte. Der Weltgeist, in der Wirklichkeit so sehr beschäftigt und nach Außen gerissen, war abgehalten sich nach Innen und auf sich selbst zu kehren und in seiner eigenthümlichen Heimath sich zu genießen. Nun nachdem dieser Strom

1

der Wirklichkeit gebrochen und die deutsche Nation überhaupt, ihre Nationalität, den Grund alles lebendigen Lebens, gerettet · hat, so ist dann die Zeit eingetreten, daß in dem Staate, neben dem Regiment der wirklichen Welt, auch das freie Reich des Gedankens selbstständig emporblühe. Und überhaupt hat sich die Macht des Geistes so weit geltend gemacht, daß es nur die Ideen sind und was Ideen gemäß ist, was sich jezt erhalten. kann, daß was gelten soll, vor der Einsicht und dem Gedanken sich rechtfertigen muß. Und es ist insbesondere dieser Staat, der mich nun in sich aufgenommen hat, welcher durch das geistige Uebergewicht sich zu seinem Gewicht in der Wirklichkeit und im Politischen emporgehoben, sich an Macht und Selbstständigkeit solchen Staaten gleichgestellt hat, welche ihm an äußeren Mitteln überlegen gewesen wären. Hier ist die Bildung und die Blüthe der Wissenschaften eines der wesentlichen Momente im Staatsleben selbst. Auf hiesiger Universität, der Universität des Mittelpunkts, muß auch der Mittelpunkt aller Geistesbildung und aller Wissenschaft und Wahrheit, die Philosophie, ihre Stelle und vorzügliche Pflege finden. Nicht nur

ist es aber das geistige Leben überhaupt, welches ein Grundelement in der Eristenz dieses Staates ausmacht, sondern näher hat jener große Kampf des Volkes im Verein mit seinem Fürsten, um Selbstständigkeit, um Vernichtung fremder gemüthloser Tyrannei, und um Freiheit im Gemüthe seinen höhern Anfang genommen. Es ist die sittliche Macht des Geistes, welche sich in ihrer Energie gefühlt, ihr Panier aufgesteckt, und dieß ihr Gefühl als Gewalt und Macht der Wirklichkeit geltend gemacht hat. Wir müssen es für unschäzbar achten, daß unsere Generation in diesem Gefühle gelebt, gehandelt und gewirkt hat, einem Gefühle, worin sich alles Rechtliche, Moralische und Religiöse koncentrirte. In solchem tiefen und allumfassenden Wirken erhebt sich der Geist in sich zu seiner Würde, die Flachheit des Lebens und die Schaalheit der Intereffen

geht zu Grunde und die Oberflächlichkeit der Einsicht und der Meinungen steht in ihrer Blöße da und verfliegt. Dieser tiefere Ernst, der in das Gemüth überhaupt gekommen ist, ist denn auch der wahrhafte Boden der Philosophie. Was der Philosophie entgegen steht, ist einerseits das Versenktseyn in die Interessen der Noth und des Tages, andererseits die Eitelkeit der Meinungen. Das Gemüth, von ihr eingenommen, läßt der Vernunft, als welche nicht das Eigene sucht, keinen Raum in sich. Diese Eitelkeit muß sich in ihrem Nichts verflüchtigen, wenn es dem Menschen zur Nothwendigkeit geworden, sich um substantiellen Gehalt zu bemühen, wenn es so weit gediehen, daß nur ein solcher sich geltend machen kann. In solchem fubstantiellen Gehalt aber haben wir die Zeit gesehen, haben wir den Kern sich bilden sehen, dessen weitere Entwickelung nach allen Seiten, der politischen, sittlichen, religiösen, wiffenschaftlichen Seite, unserer Zeit anvertraut ist.

Unser Beruf und Geschäft ist die Pflege der philosophischen Entwickelung der substantiellen Grundlage, die sich neu verjüngt und bekräftigt hat. Ihre Verjüngung, die ihre nächste Wirkung und Aeußerung in der politischen Wirklichkeit zeigte, hat ihre weitere Erscheinung in dem größern sittlichen und religiösen Ernste, in der Forderung von Gründlichkeit und Gediegenheit überhaupt, welche an alle Lebensverhältnisse ergangen ist. Der gediegenste Ernst ist an und für sich selbst der Ernst, die Wahrheit zu erkennen. Dieß Bedürfniß, wodurch die geistige Natur sich von der bloß empfindenden und genießenden unterscheidet, ist eben deswegen das Tiefste des Geistes, es ist an sich allgemeines Bedürfniß. Der Ernst der Zeiten hat es Theils tiefer aufgeregt, Theils ist er ein näheres Eigenthum des deutschen Geistes. · Was die Auszeichnung des Deutschen in der Kultur der Philosophie betrifft, so zeigt nämlich der Zustand dieses Studiums und die Bedeutung dieses Namens bei den andern Nationen, daß der Name sich noch bei ihnen erhalten, aber seinen Sinn

« PreviousContinue »