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Bierte Periode.

Von Schiller's bis Goethe's Tode.

CVIII.
Freie Kunst.

Singe, wem Gesang gegeben, In dem deutschen Dichterwald! Das ist Freude, das ist Leben, Wenn's von allen Zweigen schallt.

Nicht an wenig stolze Namen Ist die Liederkunst gebannt; Ausgestreuet ist der Samen Ueber alles deutsche Land.

Deines vollen Herzens Triebe Gieb fie tect im Klange frei! Säuselnd wandle deine Liebe, Donnernd uns dein Zorn vorbei!

Singst du nicht dein ganzes Leben, Sing doch in der Jugend Drang! Nur im Blüthenmond erheben Nachtigallen ihren Sang.

Kann man's nicht in Bücher binden,
Was die Stunden dir verleihn,

Gib ein fliegend Blatt den Winden!
Muntre Jugend hascht es ein.

Fahret wohl, geheime Kunden,
Nekromantik, Alchymie!

Formel hält uns nicht gebunden,
unsre Kunst heißt Poefte.

Heilig achten wir die Geister,
Aber Namen sind uns Dunst;
Würdig ehren wir die Meister,
Aber frei ist uns die Kunst.

Nicht in kalten Marmorsteinen,
Nicht in Tempeln dumpf und todt,
In den frischen Eichenhainen

Webt und rauscht der deutsche Gott.

CIX.

Das Sonett.

Zwei Reime heiß' ich viermal kehren wieder,

llud stelle sie getheilt in gleiche Reihen,

Daß hier und dort zwei, eingefaßt von zweien,

Im Doppelchore schweben auf und nieder.

Uhland.

Dann schlingt des Gleichlauts Kette, durch zwei Glieder

Sich freier wechselnd, jegliches von dreien.
In solcher Ordnung, solcher Zahl gedeihen
Die zartesten und stolzesten der Lieder.

Den werd' ich nie mit meinen Zeilen fränzen,
Dem eitle Spielerei mein Wesen dünket,
Und Eigenfinn die künstlichen Gesetze.

Doch wem in mir geheimer Zauber winket, Dem leih' ich Hoheit, Füll' in engen Grenzen Und reines Ebenmaß der Gegensätze.

A. W. Schlegel.

CX.
Sonette.

1.

Die Liebende schreibt.

Ein Blick von deinen Augen in die meinen, Ein Kuß von deinem Mund auf meinem Munde Wer davon hat wie ich gewisse Kunde, Mag dem was anders wohl erfreulich scheinen?

Entfernt von dir, entfremdet von den Meinen,
Führ' ich stets die Gedanken in die Nunde,
Und immer treffen sie auf jene Stunde,
Die einzige; da fang' ich an zu weinen.

Die Thräne trocknet wieder unversehens: Er liebt ja, denk ich, her in diese Stille, Und solltest du nicht in die Ferne reichen?

Vernimm das Lispeln dieses Liebewehens; Mein einzig Glück auf Erden ist dein Wille, Dein freundlicher zu mir; gieb mir ein Zeichen!

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2.

Die Liebende abermals.

Warum ich wieder zum Papier mich wende? Das mußt du, Liebster, so bestimmt nicht fragen, Denn eigentlich hab' ich dir nichts zu sagen; Doch kommt's zuletzt in deine lieben Hände.

Weil ich nicht kommen kann, soll, was ich sende, Mein ungetheiltes Herz hinüber tragen Mit Wonnen, Hoffnungen, Entzücken, Plagen: Das alles hat nicht Anfang, hat nicht Ende.

Ich mag vom heut'gen Tag dir nichts vertrauen, Wie sich im Sinnen, Wünschen, Wähnen, Wollen Mein treues Herz zu dir hinüber wendet:

So stand ich einst vor dir, dich anzuschauen, Und sagte nichts. Was hätt' ich sagen sollen? Mein ganzes Wesen war in sich vollendet.

3.

Sie kann nicht enden.

Wenn ich nun gleich das weiße Blatt dir schickte, Anstatt, daß ich's mit Lettern erst beschreibe, Ausfülltest du's vielleicht zum Zeitvertreibe Und sendetest's an mich, die Hochbeglückte.

Wenn ich den blauen Umschlag dann erblickte, Neugierig schnell, wie es geziemt dem Weibe, Riss' ich ihn auf, daß nichts verborgen bleibe; Da läs' ich, was mich mündlich sonst entzückte.

Lieb Kind! Mein artig Herz! Mein einzig

Wesen!

Wie du so freundlich meine Sehnsucht stilltest
Mit süßem Wort und mich so ganz verwöhntest.

Sogar dein Lispeln glaubt' ich auch zu lesen,
Womit du liebend meine Seele fülltest
Und mich auf ewig vor mir selbst verschöntest.

Goethe.

CXI.

Die erwachte Rose.

Die Knospe träumte von Sonnenschein, Vom Rauschen der Blätter im grünen Hain, Von der Quelle melodischem Wogenfall,

Von süßen Tönen der Nachtigall,

Und von den Lüften, die kosen und schaukeln,

Und von den Düften, die schmeicheln und gaukeln.

Und als die Knospe zur Ros' erwacht,
Da hat sie mild durch Thränen gelacht,
Und hat geschaut, und hat gelauscht,

Wie's leuchtet und klingt, wie's duftet und rauscht.
Als all' ihr Träumen nun wurde wahr,
Da hat sie vor süßem Staunen gebebt,
Und leis geflüstert: „Ist mir's doch gar,

Als hätt' ich das Alles schon einmal erlebt!"

Sallet.

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