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Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.

JUN 24 1907

B
.D47

Vorwort zur ersten Auflage.

Der Plan eines Philosophischen Lesebuches ist aus folgenden Erwägungen entstanden.

Die Gegenwart scheint sich zur Philosophie wieder freundlicher zu stellen; es ist jetzt ein stärkeres und allgemeineres Interesse vorhanden als in den letzten Jahrzehnten. Nun beginnt freilich, wer heutzutage auf eigenem Wege der Philosophie sich nähert, in der Regel mit neuester Literatur. Bald aber muß er bemerken, daß in der Philosophie geschichtliche Kenntnisse zum Wesen der Sache gehören und daher nicht entbehrt werden können. Infolgedessen sieht er sich einer unübersehbaren Schriftenmasse aller Zeiten und Länder gegenüber. Gesetzt, er habe das ernsthafte Streben, aus der Quelle selbst zu schöpfen, verfüge aber nur über durchschnittliche Mußezeit. Wo soll er beginnen? Wie das Wichtigste herausfinden? Dieser Verlegenheit will unser einführendes Büchlein abhelfen, indem es ausgewählte Stellen bietet und durch sie zur Versenkung in das Ganze und zu weiterem Fortschreiten aufmuntert.

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Bei unseren Studenten verhält es sich ähnlich, obgleich sie den Vorteil einer geordneten Unterweisung genießen. An den Universitäten leider noch nicht an allen Technischen Hochschulen wird regelmäßig über Geschichte der Philosophie vorgetragen. Wie verschieden nun auch diese Vorlesung gehandhabt werden magein Merkmal bleibt ihr immer: sie kann ebensowenig wie die zahlreichen, Grundrisse der Geschichte der Philosophie" die Meister selber sprechen lassen. So kommt der Lernende leicht dahin, daß er seine Lektüre auf moderne Schriften einschränkt und im übrigen sich mit umformenden Berichten begnügt. Dagegen muß angekämpft werden. Wer sich in den Studienjahren mit Philosophie befaßt, soll Achtung vor Wert und Ausdehnung des Geleisteten empfinden, und dazu ist unerläßlich, daß er das Ursprüngliche in seiner ganzen Lebendigkeit kennen lernt. Als Ergänzung zu den Vorlesungen ist

daher dies Lesebuch gedacht: es liefert erläuterndes Anschauungsmaterial, setzt die Hörer in einen unmittelbaren Verkehr mit den großen Philosophen der Vergangenheit und ermöglicht es, im gleichen Schritt mit dem Fortgang der Vorlesung eine ungefähre Anschauung von der Denk- und Schreibweise zu erhalten, die diesem oder jenem Klassiker der Philosophie eigentümlich ist.

Dem gerügten Mangel können im akademischen Unterricht die „Übungen" abhelfen. Da sie jedoch in der Regel die genauere Kenntnis nur eines Autors vermitteln, so würde ihnen eine Reihe von Büchern entsprechen müssen, deren jedes Auszüge aus den Werken eines Philosophen enthielte. Wir haben in der Tat an ein solches Unternehmen gedacht, das in etwa zwanzig Bändchen die Hauptpunkte der Systeme in der ursprünglichen Fassung bieten soll. Aus vielen Gründen ist vorläufig aber nur dies bescheidenere und leichter verwendbare Lesebuch bearbeitet worden.

Von diesen Gründen sei einer erwähnt. Das vorliegende Buch denken wir uns für jene Zukunft mitbestimmt, wo die philosophische Propädeutik in den Lehrplan aller höheren Schulen aufgenommen sein wird. Wie die Dinge sich jetzt gestaltet haben, werden Elemente der Philosophie den Schülern der obersten Klasse zum Ersatz für andere, ihnen verlorene Bildungsbestandteile dargeboten werden müssen; im Grunde kann nur fraglich sein, ob eine historische oder eine systematische Unterweisung vorzuziehen ist. Mit Hilfe dieses Werkchens kann beides miteinander verbunden und das Selbstdenken des Jünglings, das hitzig zur Weltanschauung emporstrebt, auf die bestimmten Probleme hingeleitet werden. Selber denken lernt man am besten an einem Stoff, der durch und durch Gedanke ist; und dieser Stoff kann nicht anders als durch Eigentätigkeit wahrhaft aufgenommen werden.

Wenn bisher über den Zweck des Buches gesprochen wurde, so muß wohl auch über seine tatsächliche Gestalt einiges gesagt werden. Es wäre eitel, zu hoffen, daß die Fachgenossen mit der Beschränkung auf siebzehn Philosophen und mit der Auswahl der Stücke durchgängig einverstanden sein können. Aus inneren und äußeren Gründen hatten wir die Grenzen aufs engste zu ziehen und damit uns selber die Pein des Wählens zu steigern. Aber wir planen eine allmähliche Erweiterung und vertrauen auf die freundliche Hilfe derer, die

Philosophie lehren, um bei etwa nötig werdenden späteren Auflagen Lücken und Fehler ausgleichen zu können; wir bitten alle Benutzer des Buches, daß sie die aus ihrer Erfahrung entsprungenen Verbesserungsvorschläge uns mitteilen wollen. Eine empfindliche Schwierigkeit lag ferner darin, zwischen den geschichtlich und den sachlich wichtigsten, den schönsten und den kennzeichnendsten Stellen zu wählen. Wie wir uns jeweilig entschieden haben, wird der Kundige leicht erkennen; maßgebend blieb, ob die Stelle in den Zusammenhang des Ganzen - denn es besteht ein solcher unmittelbar sich fügte. In Bezug auf die Schwierigkeit sind wir nicht sehr ängstlich gewesen. Philosophie ist eine ernste Angelegenheit und kann die Aufbietung aller geistigen Kräfte beanspruchen. Ein Lesebuch, das diesen Sachverhalt vertuschen und bloß der Erholung dienen wollte, würde Verwirrung und Schaden stiften.

Zur Hilfe sind die „Erläuterungen" da. Wir haben sie so einzurichten versucht, daß zwar keine wirkliche Schwierigkeit übergangen ist, anderseits jedoch dem Forschen des Lesers und der Tätigkeit eines Lehrers genug Spielraum bleibt. Nach Möglichkeit lassen wir auch in ihnen die Philosophen selber zu Worte kommen, fügen aber mancherlei hinzu, um das Fortspinnen des Fadens nach verschiedenen Richtungen zu erleichtern. Die literarischen Hinweise geben nur das, was bequem zu erreichen und für den heutigen Stand der Forschung das bedeutsamste ist. Bei dem Zweck dieses Buches — scheint uns — würde alles philologische und historische Detail mehr stören als fördern. Damit die Aufmerksamkeit nicht durch die Form in Anspruch genommen, sondern lediglich auf den Inhalt gesammelt werde, bieten wir die Stücke fremder Sprache in deutscher Übertragung. Aus gleichem Grunde sind die deutschen Texte in der jetzt geltenden Rechtschreibung gegeben. Zur Verdeutlichung sind in vielen Fällen Überschriften von uns hinzugefügt worden.

Die Anordnung der Lesestücke ist die zeitliche. Inhaltlich beziehen sich die meisten auf die allgemeine Richtung des Denkens und die Grundfragen der Erkenntnistheorie; von Beiträgen zur Psychologie, Ästhetik und Pädagogik haben wir vorläufig abgesehen. Der wachsenden Schwierigkeit nach können die Lesestücke vielleicht in drei Gruppen geordnet werden: II, V, VII, IX, X, XVII; I, IIa, VI, XII, XIV, XVa; IIo, III, IV, VIII, XI, XIII, XV, XVI.

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