Der Misanthrop.
Erst sigt er eine Weile Die Stirn von Wolken frei; Auf einmal kommt in Eile Sein ganz Gesicht der Eule Verzerrtem Ernste bei. Ihr fraget, was das sey? Lieb' oder Langeweile? Ach, sie sind's alle zwei!
Laß mein Aug' den Abschied sagen, Den mein Mund nicht nehmen kann! Schwer, wie schwer ist er zu tragen! Und ich bin doch sonst ein Mann.
Traurig wird in dieser Stunde Selbst der Liebe süßtes Pfand, Kalt der Kuß von deinem Munde, Matt der Druck von deiner Hand.
Sonst, ein leicht gestohlnes Mäulchen, O wie hat es mich entzückt! So erfreuet uns ein Veilchen,
Das man früh im März gepflückt.
Doch ich pflücke nun kein Kränzchen, Keine Rose mehr für dich.
Frühling ist es, liebes Fränzchen,
Aber leider Herbst für mich !
Nun verlass' ich diese Hütte, Meiner Liebsten Aufenthalt, Wandle mit verhülltem Schritte Durch den öden finstern Wald: Luna bricht durch Busch und Eichen,
Zephyr meldet ihren Lauf,
Und die Birken streun mit Neigen Ihr den süßten Weihrauch auf.
Wie ergötz' ich mich im Kühlen Dieser schönen Sommernacht! O wie still ist hier zu fühlen, Was die Seele glücklich macht! Läßt sich kaum die Wonne fassen; Und doch wollt' ich, Himmel, dir Tausend solcher Nächte lassen, Gäb' mein Mädchen Eine mir.
Du hast uns oft im Traum gesehen Zusammen zum Altare gehen,
Und dich als Frau, und mich als Mann. Oft nahm ich wachend deinem Munde, In einer unbewachten Stunde,
So viel man Küsse nehmen kann.
Das reinste Glück das wir empfunden, Die Wollust mancher reichen Stunden Floh wie die Zeit mit dem Genuß. Was hilft es mir, daß ich genieße? Wie Träume fliehn die wärmsten Küsse, Und alle Freude wie ein Kuß.
Der Liebsten Band und Schleife rauben, Halb mag sie zürnen, halb erlauben, Euch ist es viel, ich will es glauben Und gönn' euch solchen Selbstbetrug: Ein Schleier, Halstuch, Strumpfband, Ringe Sind wahrlich keine kleinen Dinge; Allein mir sind sie nicht genug.
Lebend'gen Theil von ihrem Leben, Ihn hat nach leisem Widerstreben Die Allerliebste mir gegeben,
Und jene Herrlichkeit wird nichts. Wie lach' ich all der Trödelwaare! Sie schenkte mir die schönen Haare, Den Schmuck des schönsten Angesichts.
Soll ich dich gleich, Geliebte, missen, Wirst du mir doch nicht ganz entrissen: Zu schaun, zu tändeln und zu küssen Bleibt die Reliquie von dir. — Gleich ist des Haars und mein Geschicke; Sonst buhlten wir mit Einem Glücke Um sie, jezt sind wir fern von ihr.
Fest waren wir an sie gehangen; Wir streichelten die runden Wangen, Uns loct' und zog ein süß Verlangen, Wir gleiteten zur vollern Brust. Nebenbuhler, frei von Neide,
Du süß Geschenk, du schöne Beute, Erinnre mich an Glück und Lust!
Trink', o Jüngling! heil'ges Glücke Laglang aus der Liebsten Blicke; Abends gaukl' ihr Bild dich ein. Kein Verliebter hab' es besser; Doch das Glück bleibt immer größer, Fern von der Geliebten seyn.
Ew'ge Kräfte, Zeit und Ferne, Heimlich wie die Kraft der Sterne Wiegen dieses Blut zur Ruh. Mein Gefühl wird stets erweichter; Doch mein Herz wird täglich leichter Und mein Glück nimmt immer zu.
Nirgends kann ich sie vergessen Und doch kann ich ruhig essen, Heiter ist mein Geist und frei; Und unmerkliche Bethörung Macht die Liebe zur Verehrung, Die Begier zur Schwärmerei.
Aufgezogen durch die Sonne Schwimmt im Hauch äther'scher Wonne So das leichtste Wölkchen nie,
Wie mein Herz in Ruh und Freude. Frei von Furcht, zu groß zum Neide, Lieb' ich, ewig lieb' ich sie!
Schwester von dem ersten Licht, Bild der Zärtlichkeit in Trauer! Nebel schwimmt mit Silberschauer Um dein reizendes Gesicht; Goethe, Gedichte.
« PreviousContinue » |