Page images
PDF
EPUB

Schneller noch als Lethe's Fluthen
Und der Todten stilles Haus,
Löscht der Liebe Kelch den Guten
Jedes Fehls Erinnrung aus.
Alles eilet euch entgegen

Und ihr kommt verklärt heran,
Und man fleht um euren Segen;
Ihr gehört uns doppelt an!

Gellerts Monument von Oeser.

Als Gellert, der geliebte, schied,
Manch gutes Herz im Stillen weinte,
Auch manches matte schiefe Lied
Sich mit dem reinen Schmerz vereinte;
Und jeder Stümper bei dem Grab
Ein Blümchen an die Ehrenkrone,
Ein Scherflein zu des Edlen Lohne,
Mit vielzufriedner Miene gab:
Stand Deser seitwärts von den Leuten
Und fühlte den Geschiednen, sann
Ein bleibend Bild, ein lieblich Deuten
Auf den verschwundnen werthen Mann;
Und sammelte mit Geistesflug
In Marmor alles Lobes Stammeln,
Wie wir in einen engen Krug

Die Asche des Geliebten sammeln.

Goethe, Gedichte.

19

Ilmenau.

am 3. September 1783.

Anmuthig Thal! du immergrüner Hain!
Mein Herz begrüßt euch wieder auf das beste;
Entfaltet mir die schwerbehangnen Aeste,

Nehmt freundlich mich in eure Schatten ein,
Erquickt von euren Höhn, am Tag der Lieb' und Lust,
Mit frischer Luft und Balsam meine Brust!

Wie kehrt' ich oft mit wechselndem Geschicke,
Erhabner Berg! an deinen Fuß zurücke.
Olaß mich heut an deinen sachten Höhn
Ein jugendlich, ein neues Eden sehn!

Ich hab' es wohl auch mit um euch verdienet:
Ich forge still, indeß ihr ruhig grünet.

Laßt mich vergessen, daß auch hier die Welt
So manch Geschöpf in Erdefesseln hält,

Der Landmann leichtem Sand den Samen anvertraut
Und seinen Kohl dem frechen Wilde baut;
Der Knappe targes Brod in Klüften sucht;
Der Köhler zittert, wenn der Jäger flucht.
Verjüngt euch mir, wie ihr es oft gethan,
Als fing' ich heut ein neues Leben an.

Ihr seyd mir hold, ihr gönnt mir diese Träume,
Sie schmeicheln mir und locken alte Reime.
Mir wieder selbst, von allen Menschen fern,
Wie bad' ich mich in euren Düften gern!

Melodisch rauscht die hohe Tanne wieder,
Melodisch eilt der Wasserfall hernieder;
Die Wolke sinkt, der Nebel drückt in's Thal,
Und es ist Nacht und Dämmrung auf einmal.

Im finstern Wald, beim Liebesblick der Eterne,
Wo ist mein Pfad, den sorglos ich verlor?
Welch seltne Stimmen hör' ich in der Ferne?
Sie schallen wechselnd an dem Fels empor.
Ich eile sacht zu sehn, was es bedeutet,
Wie von des Hirsches Ruf der Jäger still geleitet.

Wo bin ich? ist's ein Zaubermährchenland?
Welch nächtliches Gelag am Fuß der Felsenwand?
Bei kleinen Hütten, dicht mit Reis bedecket,
Seh' ich sie froh an's Feuer hingestrecket.
Es dringt der Glanz hoch durch den Fichtensaal;
Am niedern Herde kocht ein rohes Mahl;
Sie scherzen laut, indessen bald geleeret
Die Flasche frisch im Kreise wiederkehret.

Eagt, wem vergleich' ich diese muntre Schaar?
Von wannen kommt sie? um wohin zu ziehen?
Wie ist an ihr doch alles wunderbar!
Soll ich sie grüßen? soll ich vor ihr fliehen?
Ist es der Jäger wildes Geisterheer?
Sind's Gnomen, die hier Zauberkünste treiben?
Ich seh' im Busch der kleinen Feuer mehr;
Es schaudert mich, ich wage kaum zu bleiben.
Jst's der Aegyptier verdächtiger Aufenthalt?

Ist es ein flüchtiger Fürst wie im Ardenner-Wald?

Soll ich Verirrter hier in den verschlungnen Gründen
Die Geister Shakspeare's gar verkörpert finden?
Ja, der Gedanke führt mich eben recht:

Sie sind es selbst, wo nicht ein gleich Geschlecht!
Unbändig schwelgt ein Geist in ihrer Mitten,
Und durch die Rohheit fühl' ich edle Sitten.

Wie nennt ihr ihn? Wer ist's, der dort gebückt
Nachlässig stark die breiten Schultern drückt?
Er sitt zunächst gelassen an der Flamme,
Die markige Gestalt aus altem Heldenstamme.
Er saugt begierig am geliebten Rohr,
Es steigt der Dampf an seiner Stirn empor.
Gutmüthig trocken weiß er Freud' und Lachen
Im ganzen Cirkel laut zu machen,
Wenn er mit ernstlichem Gesicht

Barbarisch bunt in fremder Mundart spricht.

Wer ist der andre, der sich nieder
An einen Sturz des alten Baumes lehnt,
Und seine langen feingestalten Glieder
Etstatisch faul nach allen Seiten dehnt,
Und, ohne daß die Zecher auf ihn hören,
Mit Geistesflug sich in die Höhe schwingt,
Und von dem Tanz der himmelhohen Sphären
Ein monotones Lied mit großer Inbrunst singt?

Doch scheinet allen etwas zu gebrechen.
Ich höre sie auf einmal leise sprechen,
Des Jünglings Ruhe nicht zu unterbrechen,
Der dort am Ende, wo das Thal sich schließt,
In einer Hütte, leicht gezimmert,

Vor der ein lezter Blick des kleinen Feuers schimmert, Vom Wasserfall umrauscht, des milden Schlafs genießt. Mich treibt das Herz, nach jener Kluft zu wandern, Ich schleiche still und scheide von den Andern.

Sey mir gegrüßt, der hier in später Nacht
Gedankenvoll an dieser Schwelle wacht!
Was fizest du entfernt von jenen Freuden?
Du scheinst mir auf was Wichtiges bedacht.
Was ist's, daß du in Sinnen dich verlierest,
Und nicht einmal dein kleines Feuer schürest?

„O frage nicht! denn ich bin nicht bereit,
Des Fremden Neugier leicht zu stillen;
Sogar verbitt' ich deinen guten Willen;
Hier ist zu schweigen und zu leiden Zeit.
Ich bin dir nicht im Stande selbst zu sagen,
Woher ich sey, wer mich hierher gesandt;
Von fremden Zonen bin ich her verschlagen
Und durch die Freundschaft festgebannt.

Wer kennt sich selbst? wer weiß, was er vermag?
Hat nie der Muthige Verwegnes unternommen?
Und was du thust, sagt erst der andre Tag,
War es zum Schaden oder Frommen.

Ließ nicht Prometheus selbst die reine Himmelsgluth
Auf frischen Thon vergötternd niederfließen?

Und konnt' er mehr als irdisch Blut

Durch die belebten Adern gießen?
Ich brachte reines Feuer vom Altar;
Was ich entzündet, ist nicht reine Flamme.

« PreviousContinue »