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CIV.

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Schmerz der Trennung.
Oft am Rande stiller Fluthen
Sitz' ich einsam da und zähle,
Zähl' an ihrem trägen Lauf,
Ach, die schleichenden Minuten
Unfrer langen Trennung auf.
Dann geh' ich hin und wanke
Durch Hain und Thal und Flur!
Mein einziger Gedanke
Bist du, Geliebte, nur.

Bei jedem Lispeln
Aus dunklem Laube,
Bei jedem Flügelschlag
Der Turteltaube,
Wie lauscht mein Ohr,
Wie klopft mein Herz!
Und wenn ich Tage lang
Gelauscht, gesucht wie bang

Ist dann mein Schmerz!

CV.

Der Jüngling am Bache.
In der Quelle saß der Knabe,
Blumen wand er sich zum Kranz,

Und er sah sie, fortgerissen,
Treiben in der Wellen Tanz.

Und so fliehen meine Tage,
Wie die Quelle, rastlos hin!
Und so bleichet meine Jugend,

Wie die Kränze schnell verblühn!

Wieland.

Fraget, nicht, warum ich traure
In des Lebens Blüthenzeit!
Alles freuet sich und hoffet,

Wenn der Frühling sich erneut.
Aber diese tausend Stimmen
Der erwachenden Natur
Wecken in dem tiefen Busen

Mir den schweren Kummer nur.

Was soll mir die Freude frommen,
Die der schöne Lenz mir beut?
Eine nur ist's, die ich suche,

Sie ist nah und ewig weit.
Sehnend breit' ich meine Arme

Nach dem theuren Schattenbild, Ach, ich kann es nicht erreichen,

Und das Herz bleibt ungestillt!

Komm' herab, du schöne Holde,

Und verlaß dein stolzes Schloß!
Blumen, die der Lenz geboren,

Streu' ich dir in deinen Schooß.
Horch, der Hain erschallt von Liedern,
Und die Quelle rieselt klar!
Raum ist in der kleinsten Hütte
Für ein glücklich liebend Paar.

Schiller.

CVI."

Das Mädchen aus der Fremde. In einem Thal bei armen Hirten Erschien mit jedem jungen Jahr, Sobald die ersten Lerchen schwirrten, Ein Mädchen schön und wunderbar.

Sie war nicht in dem Thal geboren,
Man wußte nicht, woher sie kam;
Und schnell war ihre Spur verloren,
Sobald das Mädchen Abschied nahm.

Beseligend war ihre Nähe, Und alle Herzen wurden weit; Doch eine Würde, eine Höhe Entfernte die Vertraulichkeit.

Sie brachte Blumen mit und Früchte,
Gereift auf einer andern Flur,
In einem andern Sonnenlichte,
In einer glücklichern Natur.

und theilte jedem eine Gabe,
Dem Früchte, jenem Blumen aus;
Der Jüngling und der Greis am Stabe,
Ein jeder ging beschenkt nach Haus.

Willkommen waren alle Gäste; Doch nahte sich ein liebend Paar, Dem reichte sie der Gaben beste, Der Blumen allerschönste dar.

Schiller

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Die deutsche Muse.

Kein Augustisch Alter blühte,
Neines Medicäers Güte

Lächelte der deutschen Kunst;
Sie ward nicht gepflegt vom Ruhme,
Sie entfaltete die Blume

Nicht am Strahl der Fürstengunst.

Bon dem größten deutschen Sohne, Bon des großen Friedrichs Throne Ging fie schußlos, ungeehrt. Nühmend darf's der Deutsche sagen, Höher darf das Herz ihm schlagen: Selbst erschuf er sich den Werth.

Darum steigt in höherm Bogen, Darum strömt in vollern Wogen Deutscher Barden Hochgesang; Und in eigner Fülle schwellend Und aus Herzens Tiefen quellend, Spottet er der Regeln Zwang.

Schiller

Bierte Periode.

Von Schiller's bis Goethe's Tode.

CVIII.
Freie Kunst.

Singe, wem Gesang gegeben, In dem deutschen Dichterwald! Das ist Freude, das ist Leben, Wenn's von allen Zweigen schallt.

Nicht an wenig stolze Namen Ist die Liederkunst gebannt; Ausgestreuet ist der Samen Ueber alles deutsche Land.

Deines vollen Herzens Triebe Gieb sie keck im Klange frei! Säuselnd wandle deine Liebe, Donnernd uns dein Zorn vorbei!

Singst du nicht dein ganzes Leben, Sing doch in der Jugend Drang! Nur im Blüthenmond erheben Nachtigallen ihren Sang.

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