Page images
PDF
EPUB

Auf einmal schien die Sonne durchzudringen,
Im Nebel ließ sich eine Klarheit sehn;
Hier sant er leise sich hinabzuschwingen,
Hier theilt' er steigend sich um Wald und Höhn.
Wie hofft' ich ihr den ersten Gruß zu bringen!
Sie hofft ich nach der Trübe doppelt schön.
Der luft'ge Kampf war lange nicht vollendet,
Ein Glanz umgab mich und ich stand geblendet.
Bald machte mich, die Augen aufzuschlagen,
Ein inn'rer Trieb des Herzens wieder kühn;
Ich konnt' es nur mit schnellen Blicken wagen,
Denn Alles schien zu brennen und zu glühn.
Da schwebte, mit den Wolken hergetragen,
Ein göttlich Weib vor meinen Augen hin,
Kein schöner Bild sah ich in meinem Leben;
Sie sah mich an und blieb verweilend schweben.

Kennst du mich nicht? sprach sie mit einem Munde,
Dem aller Lieb' und Treue Ton entfloß,
Erkennst du mich, die ich in manche Wunde
Des Lebens dir den reinsten Balsam goß?
Du kennst mich wohl, an die zu ew’gem Bunde
Dein strebend Herz sich fest und fester 1) schloß.
Sah ich dich nicht mit heißen Herzensthränen
Als Knabe schon nach mir dich eifrig sehnen?

Ja! rief ich aus, indem ich selig nieder
Zur Erde sank, lang' hab' ich dich gefühlt;

Du gabst mir Ruh, wenn durch die jungen Glieder
Die Leidenschaft sich rastlos durchgewühlt;
Du hast mir wie mit himmlischem Gefieder
Am heißen Tag die Stirne sanft gekühlt:

Du schenktest mir der Erde beste Gaben,

Und jedes Glück will ich durch dich nur haben!

1) Von Goethe sehr beliebte Form. Vgl. S. 6, lezte Stanze: schwer und Ichwerer; ferner S. 150 Naß und nässer, Zart und zärter, roth und töther, Jus Weit' und Weitre.

Dich nenn' ich nicht. Zwar hör' ich dich von Vielen
Gar oft genannt, und jeder heißt dich sein;
Ein jedes Auge glaubt auf dich zu zielen,
Fast jedem Auge wird dein Strahl zur Pein.
Ach, da ich irrte, hatt' ich viel Gespielen,
Da ich dich kenne, bin ich fast allein;

Ich muß mein Glück nur mit mir selbst genießen,
Dein holdes Licht verdecken und verschließen.

Sie lächelte, sie sprach: Du siehst, wie klug,
Wie nöthig war's, euch Wenig zu enthüllen!
Kaum bist du sicher vor dem gröbsten Trug,
Kaum bist du Herr vom ersten Kinderwillen,
So glaubst du dich schon Uebermensch 1) genug,
Versäumst die Pflicht des Mannes zu erfüllen!
Wie viel bist du von Andern unterschieden?
Erkenne dich, leb' mit der Welt in Frieden!

Verzeih' mir, rief ich aus, ich meint' es gut;
Soll ich umsonst die Augen offen haben?
Ein froher Wille lebt in meinem Blut,
Ich kenne ganz den Werth von deinen Gaben!
Für Andre wächst in mir das edle Gut,

Ich kann und will das Pfund nicht mehr vergraben!
Warum sucht' ich den Weg so sehnsuchtsvoll,
Wenn ich ihn nicht den Brüdern zeigen soll?

Und wie ich sprach, sah mich das hohe Wesen
Mit einem Blick mitleid'ger Nachsicht an;
Ich konnte mich in ihrem Auge lesen,
Was ich verfehlt und was ich recht gethan.
Sie lächelte, da war ich schon genesen,
Zu neuen Freuden stieg mein Geist heran:
Ich konnte nun mit innigem Vertrauen
Mich zu ihr nahn und ihre Nähe schauen.

1) Ueber die Schwächen der Andern erhabener Mensch. Vgl. Faust I: „Welch erbärmlich Grauen faßt Uebermenschen dich!"

Da reckte sie die Hand aus in die Streifen
Der leichten Wolken und des Dufts umher;
Wie sie ihn faßte, ließ er sich ergreifen,

Er ließ sich ziehn, es war kein Nebel mehr.
Mein Auge konnt' im Thale wieder schweifen,
Gen Himmel blickt' ich, er war hell und hehr.
Nur sah ich sie den reinsten Schleier halten,
Er floß um sie und schwoll in tausend Falten.
Ich kenne dich, ich kenne deine Schwächen,
Ich weiß, was Gutes in dir lebt und glimmt;
So sagte sie, ich hör' sie ewig sprechen,
Empfange hier, was ich dir lang' bestimmt!
Dem Glücklichen kann es an nichts gebrechen,
Der dies Geschenk mit stiller Seele nimmt:
Aus Morgenduft gewebt und Sonnenklarheit,
Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit.
Und wenn es dir und deinen Freunden schwüle
Am Mittag wird, so wirf ihn in die Luft!
Sogleich umsäuselt Abendwindes - Kühle,1)
Umhaucht euch Blumen-Würzgeruch und Duft,
Es schweigt das Wehen banger Erdgefühle,
Zum Wolkenbette wandelt sich die Gruft,
Besänftiget wird jede Lebenswelle,

Der Tag wird lieblich und die Nacht wird helle.

So kommt denn, Freunde, wenn auf euren Wegen
Des Lebens Bürde schwer und schwerer drückt,
Wenn eure Bahn ein frischerneuter Segen

Mit Blumen ziert, mit goldnen Früchten schmückt;
Wir gehn vereint dem nächsten Tag entgegen!

So leben wir, so wandeln wir beglückt.

Und dann auch soll, wenn Enkel um uns trauern,

zu ihrer Lust noch unsre Liebe dauern.

1) In den drei ersten Ausgaben ohne Bindestrich, in den späteren Abend, windeskühle. Wir haben analog dem folgenden Blumen-Würzgeruch den Bindestrich hinzugefügt, da es nicht die Kühle eines wirklichen Abendwindes, son, dern Kühle wie vom Abendwind bedeuten soll.

Lieder.

Dorklage.')

Spät erklingt, was früh erklang
Glück und Unglück wird Gesang.

Wie nimmt ein leidenschaftlich Stammeln
Geschrieben sich so seltsam aus!

Nun soll ich gar von Haus zu Haus2)
Die losen Blätter alle sammeln.

Was eine lange weite Strecke

Im Leben von einander stand,
Das kommt nun unter Einer Decke
Dem guten Leser in die Hand.

Doch schäme dich nicht der Gebrechen,
Vollende schnell das kleine Buch;
Die Welt ist voller Widerspruch,
Und sollte sich's 3) nicht widersprechen?

An die Günstigen. 1)

Dichter lieben nicht zu schweigen.
Wollen sich der Menge zeigen:
Lob und Tadel muß ja sein!
Niemand beichtet gern in Prosa;
Doch vertraun wir oft sub Rosa
In der Musen stillem Hain.

1) 1814 als Einleitung zu den Liedern für die Ausgabe von 1815 gedichtet.

2) Von den Freunden, denen die Gelegenheitsgedichte gewidmet waren.

[ocr errors]

4) 1799 bei der Sammlung der neuen Gedichte als

3) Es: das Buch. Einleitung der Lieder geschrieben.

Was ich irrte, was ich strebte,
Was ich litt und was ich lebte,
Sind hier Blumen nur im Strauß;
Und das Alter wie die Jugend,
Und der Fehler wie die Tugend
Nimmt sich gut in Liedern aus.

Der neue Amadis.')

Als ich noch ein Knabe war,
Sperrte man mich ein;
Und so saß ich manches Jahr
Ueber mir allein,
Wie in Mutterleib.

Doch du warst mein Zeitvertreib,
Goldne Phantasie;

Und ich ward ein warmer Held,
Wie der Prinz Pipi,2)
Und durchzog die Welt.

Baute manch krystallen Schloß
Und zerstört es auch,
Warf mein blinkendes Geschoß
Drachen durch den Bauch;
Ja, ich war ein Mann!

Stirbt der Fuchs,

Nach Mittage saßen wir

Junges Volk im Kühlen;
Amor kam, und stirbt der Fuchs
Wollt' er mit uns spielen,

Ritterlich befreit' ich dann
Die Prinzessin Fisch;
Sie war gar zu obligeant,
Führte mich zu Tisch,
Und ich war galant.

Und ihr Kuß war Götterbrod,
Glühend wie der Wein.
Ach! ich liebte fast mich todt!
Rings mit Sonnenschein
War sie emaillirt.

Ach! wer hat sie mir entführt?
Hielt kein Zauberband
Sie zurück vom schnellen Fliehn?
Sagt, wo ist ihr Land?
Wo der Weg dahin?

so gilt der Balg.")

Jeder meiner Freunde saß Froh bei seinem Herzchen; Amor blies die Fackel aus, Sprach: hier ist das Kerzchen!

1) Amadis von Gallien war der Held des aus dem Don Quixote bekannten gleichnamigen Ritterromans, der um 1370 von Vasco de Lobeira von Oporto verfaßt und gegen Ende des 15. Jahrhunderts von Garcia Ordoñez de Montalvo ins Spanische überseht, zahlreichen Nachahmungen zum Muster diente. Buerst in J. G. Jacobi's „Iris“, Januarheft 1775.

2) Bezeichnung eines kaum flügge gewordenen, pipsenden Vögelchens, scherzhaft auf einen kindlichen Abenteurer übertragen.

3) Ein Spiel, das Goethe im Briefwechsel mit Zelter also beschreibt: „Man

« PreviousContinue »