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O leite meinen Gang, Natur!
Den Fremdlings-Reisetritt,

Den über Gräber

Heiliger Vergangenheit
Ich wandle.

Leit' ihn zum Schußort,

Vorm Nord gedeckt,

Und wo dem Mittagsstrahl

Ein Pappelwäldchen wehrt.
Und kehr ich dann

Am Abend heim

Zur Hütte,

Vergoldet vom leßten Sonnenstrahl,
Laß mich empfangen solch ein Weib,
Den Knaben auf dem Arm!

Künstlers Morgenlied. ')

Der Tempel ist euch aufgebaut,

Ihr hohen Musen all,

Und hier in meinem Herzen ist

Das Allerheiligste.

Wenn Morgens mich die Sonne weckt,

Warm, froh ich schau' umher,
Steht rings ihr Ewiglebenden
Im heil'gen Morgenglanz.
Ich bet' hinan, und Lobgesang
Ist lauter mein Gebet,
Und freudeklingend Saitenspiel
Begleitet mein Gebet.

Ich trete vor den Altar hin
Und lese, wie sich's ziemt,

Andacht liturg'scher Lection

Im heiligen Homer.

1) Zuerst gedruckt nebst vier anderen Gedichten („Kenner und Künstler“, „Kenner und Enthusiast“, „Guter Rath“, „Sendschreiben“) in H. L. Wagners „Neuer Bersuch über die Schauspielkunst. Nach dem Französischen des Mercier. Mit einem Anhang aus Goethe's Brieftasche. Leipzig 1776."

Und wenn er ins Getümmel mich
Von Löwenkriegern') reißt,
Und Göttersöhn' auf Wagen hoch
Rachglühend stürmen an,

Und Roß dann vor dem Wagen stürzt,
Und drunter und drüber sich
Freund', Feinde wälzen in Todesblut
Er 2) sengte sie dahin

Mit Flammenschwert, der Heldensohn,
Zehntausend auf einmal,

Bis dann auch er, gebändiget
Von einer Götterhand, 3)

Ab auf den Rogus 4) niederstürzt,
Den er sich selbst gehäuft,

Und Feinde nun den schönen Leib
Verschändend tasten an:5)

Da greif' ich muthig auf, es wird
Die Kohle zum Gewehr,

Und jene meine hohe Wand

In Schlachtfeld-Wogen braust.

Hinan! Hinan! Es heulet laut

Gebrüll der Feindeswuth,

Und Schild an Schild, und Schwert auf Helm,

Und um den Todten Tod.

Ich dränge mich hinan, hinan,

Da kämpfen sie um ihn,

Die tapfern Freunde, tapferer
In ihrer Thränenwuth.

1) Patroklus und Hektor. Vgl. JI. XVI, 756 ff.

2) Patroklus.

3) Phöbus Apollo. Vgl. Jl. XVI, 786 ff.

4) Scheiterhaufen; hier der Haufe der Erschlagenen. 5) JI. XVII, 288.

Ach, rettet! Kämpfet! Rettet ihn!
Ins Lager tragt ihn fort,

Und Balsam gießt dem Todten auf
Und Thränen Todten-Ehr'!

Und find' ich mich zurück hierher,
Empfängst du, Liebe, mich,

Mein Mädchen, ach, im Bilde nur,

Und so im Bilde warm!

Ach, wie du ruhtest neben mir

Und schmachtetest mich an,

Und mir's vom Aug' durchs Herz hindurch

Zum Griffel schmachtete!

Wie ich an Aug' und Wange mich

Und Mund mich weidete,

Und mir's im Busen jung und frisch

Wie einer Gottheit war!

Okehre doch und bleibe dann

In meinen Armen fest,

Und keine, keine Schlachten mehr,
Nur dich in meinem Arm!

Und sollst mir, meine Liebe, sein
Aldeutend Ideal.

Madonna sein, ein Erstlingskind,
Ein heilig's, an der Brust;

Und haschen will ich, Nymphe, dich
Im tiefen Waldgebüsch;

fliehe nicht die rauhe Brust,

Mein aufgerecktes Ohr!1)

Und liegen will ich Mars zu dir,

Du Liebesgöttin stark,

Und ziehn ein Neß um uns herum
Und rufen den Olymp,

1) Die den Faun kennzeichnen.

Wer von den Göttern kommen will,
Beneiden unser Glück, 1)

Und soll's die Fraße Eifersucht,
Am Bettfuß angebannt.

Amor als Landschaftsmaler. *)
Saß ich früh auf einer Felsenspiße,
Sah mit starren Augen in den Nebel;
Wie ein grau grundirtes Tuch gespannet,
Deckt er Alles in die Breit' und Höhe.

Stellt ein Knabe sich mir an die Seite,
Sagte: Lieber Freund, wie magst du starrend
Auf das leere Tuch gelassen schauen?

Hast du denn zum Malen und zum Bilden
Alle Lust auf ewig wohl verloren ?"

Sah ich an das Kind und dachte heimlich:
„Will das Bübchen doch den Meister machen!"

„Willst du immer trüb' und müßig bleiben,"
Sprach der Knabe, „kann nichts Kluges werden;
Sieh, ich will dir gleich ein Bildchen malen,
Dich ein hübsches Bildchen malen lehren."

Und er richtete den Zeigefinger,

Der so röthlich war wie eine Rose,
Nach dem weiten ausgespannten Teppich,
Fing mit seinem Finger an zu zeichnen:

Oben malt' er eine schöne Sonne,
Die mir in die Augen mächtig glänzte,
Und den Saum der Wolken macht' er golden,
Ließ die Strahlen durch die Wolken dringen;
Malte dann die zarten leichten Wipfel

1) Vgl. Odys VIII, 266 ff. 2) Erste Ausgabe 1789,

Frisch erquickter Bäume, zog die Hügel,
Einen nach dem andern, frei dahinter;
Unten ließ er's nicht an Wasser fehlen,
Zeichnete den Fluß so ganz natürlich,
Daß er schien im Sonnenstrahl zu glißern,
Daß er schien am hohen Rand zu rauschen.

Ach, da standen Blumen an dem Flusse,
Und da waren Farben auf der Wiese,

Gold und Schmelz und Purpur und ein Grünes
Alles wie Smaragd und wie Karfunkel!
Hell und rein lasirt' er drauf den Himmel
Und die blauen Berge fern und ferner,
Daß ich, ganz entzückt und neu geboren,
Bald den Maler, bald das Bild beschaute.

„Hab ich doch," so sagt er, „dir bewiesen,
Daß ich dieses Handwerk gut verstehe;
Doch es ist das Schwerste noch zurücke.“

Zeichnete darnach mit spißem Finger
Und mit großer Sorgfalt an dem Wäldchen,
Grad' ans Ende, wo die Sonne kräftig
Von dem hellen Boden widerglänzte,
Zeichnete das allerliebste Mädchen,
Wohlgebildet, zierlich angekleidet,
Frische Wangen unter braunen Haaren,
Und die Wangen waren von der Farbe,
Wie das Fingerchen, das sie gebildet.

„O du Knabe!" rief ich, „welch ein Meister
Hat in seine Schule dich genommen,

Daß du so geschwind und so natürlich
Alles flug beginnst und gut vollendest ?"

Da ich noch so rede, sieh, da rühret
Sich ein Windchen und bewegt die Gipfel,
Kräuselt alle Wellen auf dem Flusse,

Füllt den Schleier des vollkommnen Mädchens,

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