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TET VAID RIVIILORD'...

RICHARD HEINZEL

IN DANKBARER GESINNUNG.

83040

Vorrede.

Da bleibt nun für den ernst Betrachtenden nichts übrig, als dafs er sich entschliefse irgendwo den Mittelpunkt hinzusetzen und alsdann zu sehen und zu suchen, wie er das Übrige peripherisch behandle. Ein solches haben auch wir gewagt, wie sich aus dem Folgenden weiter zeigen wird.

Goethe.

Wer mit staunendem Entzücken dem Austausch der Ansichten im Briefwechsel zwischen SCHILLER und GOETHE gelauscht hat, wer die Klarheit und Reinheit ihrer Auffassung, die Schärfe ihres Blickes bewundert hat, wer endlich im besonderen die feinsinnigen Erwägungen über das Wesen von Epos und Drama genossen hat, der wird bedauern, dafs die beiden Freunde nicht auch der Lyrik ihre wohlwollende Forschung zuwandten.

Und doch ist es nur zu begreiflich. Auch sie mufsten „als Urteiler und Ästhetiker", wie SCHILLER von ARISTOTELES sagte, von derjenigen Kunstgattung am meisten satisfaciert sein, welche in einer bleibenden Form ruht und über welche ein Urteil abgeschlossen werden konnte". Sie strebten darnach, die ewigen Kunstgesetze zu erfassen, und SCHILLERS Vorliebe für Drama und Epos teilte sich auch seinem allseitigeren Freunde mit. Wie selten versucht sich GOETHE gerade während seiner Verbindung mit SCHILLER auf lyrischem Gebiete, wie klein ist der Kreis lyrischer Dichtung, welchem SCHILLERS Muse zuneigt. Wir dürfen das Schweigen der Freunde über die Lyrik beklagen, aber wir können es verstehen.

Auch die anderen deutschen Kunstrichter des vorigen Jahrhunderts, LESSING voran, waren noch zu sehr mit dem Feststellen der Grundbegriffe beschäftigt, als dafs sie Zeit gefunden hätten,

der Lyrik, jenem auch von ARISTOTELES vernachlässigten Zweige der Dichtkunst, gröfsere Aufmerksamkeit zu schenken. Nur HERDER mit seinem feinen Sinn und seinem tiefen Gefühle für Poesie versenkt sich liebevoll in die Welt der kleineren Kunstgattung; nachsuchend und nachschaffend möchte er ihr Wesen ergründen, aber er bleibt bei der Volkspoesie haften und erfreut sich leider selbst keines echt lyrischen Genies; seine eigene lyrische Produktion ist weit entfernt von der Vollendung, welche GOETHES Lyrik uns darstellt und die späteren Lyriker anstreben.

Hier blieb den Epigonen Gelegenheit zu einsichtsvoller Thätigkeit. Von den Romantikern aber, welche bei ihrer vorwiegend lyrischen Begabung das Zeug in sich gehabt hätten, die Lücken auszufülllen, sind die wenigsten befähigt, Kunstgesetze ruhig und klar aus den vorhandenen Werken abzuleiten, denn ihr Fluch ist die blutlose Konstruktion, welche von den Sachen absieht und sich in allgemeinen Betrachtungen verirrt. Nur UHLAND ist beharrlich HERDERS Wege gewandelt, er sucht das reine Gold der Poesie, schade jedoch, dafs er selbst der Philosophie und der Ästhetik so wenig hold war und über die Anfänge seiner weiten Arbeiten nicht hinauskam. Aber er giebt Winke, Fingerzeige genug, welche sich trefflich nutzen lassen.

Bis jetzt ist die Lyrik das Stief kind der Forschung geblieben. Die meisten unserer Ästhetiker sagen über sie eigentlich nur, dafs sie nichts über sie zu sagen hätten, ja SCHERER geht soweit, sie gleich einem Kebskinde fast ganz zu verstofsen. Gering sind die Anfänge für eine Theorie der Lyrik.

In diese Lücke möchte das vorliegende Werk eintreten, um wenigstens die wichtigsten Fragen im Zusammenhange zu behandeln. Gerade jetzt, da sich seit längerer Zeit zum ersten Male wieder allgemeiner das Bestreben zeigt, die bisherige historische Auffassung der Litteratur mit der Kunstphilosophie zu vereinigen, scheint ein solcher Versuch berechtigt. Von verschiedenen Seiten macht man sich daran, eine neue Ästhetik im naturwissenschaftlichen Sinne zu begründen und aus genauer Beobachtung der

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