Page images
PDF
EPUB

sich in dieser Art manches sagen, man muss nur erst hineinkommen und dieser Art ihr Eigentümliches abgewinnnen. Ich habe so ein Gespräch zwischen einem Knaben, der in eine Müllerin verliebt ist, und dem Mühlbach angefangen Das poetisch-tropischSCHILLER er

...

allegorische wird durch diese Wendung lebendig." widert, nachdem „Der Edelknabe und die Müllerin" als Beilage zum Briefe vom 14. September ihm zugekommen war, am 22. dieses Monats: Mir däucht, dafs diese Gattung dem Poeten schon dadurch günstig sein müsse, dafs sie ihn aller belästigenden Beiwerke, dergleichen die Einleitungen, Übergänge, Beschreibungen etc. sind, überhebt und ihm erlaubt, immer nur das Geistreiche und Bedeutende an seinem Gegenstand mit leichter Hand oben wegzuschöpfen." SCHILLER erkennt diesen Liedern dramatische Form zu, spricht aber dabei trotzdem von einem „Liede“. Wir dürfen eine dramatisch-lyrische Gattung in ihnen erkennen, für welche wir keinen Namen haben, gewöhnlich werden solche Dichtungen unter den Balladen und den Balladen und Romanzen eingereiht. GOETHES allerliebstes Gesprächslied: Wanderer und Pächterin (I. S. 199 f.) nimmt sich ganz wie ein Drama im kleinen aus, sogar der avaɣvægiouós fehlt nicht, trotzdem steht es unter den Balladen und hat einen lyrischen Charakter.

Ein Gedicht wie GOETHES „Prometheus" bezeichnet uns wieder den Punkt, wo die dramatisch-lyrische Gattung mit der lyrischdramatischen zusammenstöfst, denn dieses Gedicht entstammt als Monolog einem Drama, stellt aber Gefühle, Empfindungen und Betrachtungen dar, welche im Drama zur lebendigen Vorstellung eines Charakters dienten, jetzt aber ist das Gedicht vom dramatischen Zusammenhange losgelöst und die Rolle des Prometheus erscheint nur als typischer Ausdruck eines bestimmten Charakters, dessen Gefühle, Empfindungen und Betrachtungen dargestellt werden. Prometheus gehört also seiner Gattung nach dicht neben „Johanna Sebus", so auffallend dies auf den ersten Blick erscheinen könnte.

Wir dürfen diese Dichtungen, welche zwischen Epik und Lyrik, wie zwischen Lyrik und Dramatik liegen, nur als Zwischengattungen bezeichnen und sie weder dem einen noch dem anderen Gebiet ausschliesslich zuweisen. Die Schwierigkeit bei diesen theoretischen Bemühungen ist immer: die Dichtarten von allem Zufälligen zu befreien", schreibt einmal GOETHE seinem Freunde (I. S. 342); wir haben aber an unseren Definitionen einen Halt, um den Grundcharakter der

Dichtungen zu bestimmen und sie so näher zum Epos oder zur Lyrik, zum Drama oder zur Lyrik zu rücken.

Noch eine Gattung pflegen wir in den landläufigen Poetiken zu finden, die Didaktik; der Name scheint nicht antik zu sein, und ich weifs nicht, wann er zuerst aufkam; die Renaissancepoetik scheint ihn nicht zu brauchen, obwohl sie das Lehrgedicht kannte (vgl. BORINSKI. Die Poetik der Renaissance. Berlin 1886 S. 200). Soweit die Dichtungen, welche man unter der Rubrik „Didaktik“ zusammenfasst, der Poesie angehören, finden sie in unserer Darstellung Platz, sind auch in der Definition eingeschlossen; es bedarf keiner anderen Bezeichnung für sie als: Gedankenlyrik, und wir werden noch Gelegenheit haben, sie zu betrachten. Der Begriff Didaktik sollte nun aus jeder Poetik bereits verschwunden sein, denn er zerstört die Poesie und erniedrigt sie zur Handlangerin einzelner Wissenschaften; die Form der Poesie bedingt noch nicht das Wesen, der Vers macht noch kein Gedicht. Dafs die Poesie auch belehrt, ist etwas durchaus anderes, als eine belehrende Poesie; ich kann mich durch den Faust" erbauen, deshalb ist er noch keine Erbauungsschrift, denn GOETHE wollte nicht erbauen, die Erbauung war nicht sein Zweck; ebenso kann die Belehrung ein Accidens der Poesie sein, ohne dafs der Dichter Belehrung anstrebte.

[ocr errors]

Wir werden uns in diesem Buche mit jenen Dichtungen beschäftigen, welche der poetische Ausdruck von Gefühlen, Empfindungen oder Betrachtungen sind.

UHLAND hat den Inhalt der Lyrik in den vier Versen dargestellt, welche seitdem immer wieder angeführt werden, wenn es sich um die Lyrik handelt:

Sie singen von Lenz und Liebe, von selger goldner Zeit,
Von Freiheit, Mänerwürde, von Treu' und Heiligkeit,
Sie singen von allem Süfsen, was Menschenbrust durchbebt,
Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.

Ähnlich hat FRITZ REUTER den Inhalt der Lyrik angegeben in seinem Gedichte ,,De Reis' nah Belligen“ (III. S. 44.)

Sei sungen von den willen Wald,
Un wo de Lust so grot doch wir,
Wenn't rings herüm so hall't un schall't
In't gräune, frische Jagdrevir.

Sei sungen von den käuhlen Grund,
Sei sungen von den käuhlen Win,
Un von den roden Rosenmund,
Wo de müfst schön tau küssen sin.

ลง

Sei sungen von den Storm un Wind,
Un von dat Stüwken still und warm,
Und von dat schöne Jägerkind,

Un wo't sick rauht in ehren Arm.

Und GUSTAV SCHWAB hat in seinem Gedicht auf PAUL FLEMING den Inhalt der Lyrik überhaupt charakterisiert durch die Strophe:

[blocks in formation]

Sollen wir zum Schlusse noch der Verse gedenken, welche GEIBEL dem Lyriker UHLAND nachsang?

Wir hören deutsches Waldesrauschen,
Wir atmen deutschen Maienduft.
Die Herrlichkeit verschollner Tage
Steigt mondbeglänzt vor uns herauf,
Uns geht beim Waldhornruf der Sage
Das Herz in süßsem Schauder auf.

Und wenn mit männlich ernstem Fodern
Sein Lied nach Freiheit ruft und Recht,
Auch das ist deutschen Geistes Lodern,
Beharrlich prunklos, stark und echt.
Es lehrt uns was das Schicksal sende
Dem Weltlauf fest ins Auge schaun;
Es lehrt uns treu sein bis ans Ende
Und auf der Zukunft Sterne traun.

2. Zur Begründung.

Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen: darum scheint es eine Thorheit, sie wieder durch Worte vermitteln zu wollen. Doch indem wir uns darin bemühen, findet sich für den Verstand so mancher Gewinn, der dem ausübenden Vermögen auch wieder zu Gute kommt.

Goethe.

Hätte die Meinung, welche gelegentlich von UHLAND ausgesprochen wurde, wirklich recht, dafs über das Innerste der Poesie nicht zu verhandeln sei, dann müfsten wir uns besonders für das Wesen der Lyrik mit einem Ignorabimus begnügen und uns auf Stoff, Form, Sprache oder, was immer zur äufseren Erscheinung der Poesie gehört", beschränken. Aber damit kann sich die Forschung nicht begnügen: je hartnäckiger die Natur ihre Geheim

nisse verhüllt, desto eifriger sind wir darauf aus, den Schleier zu heben und die Natur bei ihrem heimlichsten Weben zu belauschen. Sind wir in der Erforschung des lyrischen Dichters schon bis zur Grenze der Erkenntnis gelangt? Oder haben wir ein Recht und damit eine Pflicht des weiteren Studiums? Es ist wohl unzweifelhaft, dafs erst eben begonnen wird, die naturwissenschaftliche Methode, so weit dies überhaupt möglich ist, auf das Gebiet der Poesie anzuwenden. Der Zug nach genauester Beobachtung des Vorhandenen geht durch alle Wissenschaften, von den Naturwissenschaften nahm er seinen Ausgang. Wir können uns nicht mehr mit der Konstruktion von Idealgestalten zufrieden geben, nicht mehr fordern, dies oder jenes sollte so oder so sein, wir müssen die Thatsachen darstellen, die wirklichen Verhältnisse zu erfassen suchen, freilich ohne dabei das Typische zu vernachlässigen.

Auch die Poetik darf, wenn sie den Namen einer Wissenschaft verdienen soll, nicht Regelbücher fertig bringen, sondern Werke, in welchen die Dichter und die Dichtungen einen Platz finden, in welchen so genau als denkbar die Thatsachen dargelegt und die poetischen Gebilde nicht kritisiert, sondern analysiert werden. Das mufs auch in der Poetik vorangehen, ehe man wieder dahin kommen kann, Regeln des poetischen Schaffens aufzustellen, Gesetzbücher der Poesie auszuarbeiten. Natürlich darf deshalb die Poetik nicht etwa kritiklos sein, aber die Kritik mufs sich aus den Thatsachen folgerichtig ergeben und soll nicht in der Luft hängen; es geht nicht mehr an zu sagen: „Aristoteles lehrt und damit die Sache für abgethan zu halten; wir müssen die Natur der Posie studieren ohne Voreingenommenheit, ohne Einseitigkeit und vorschnelles Absprechen. Dieser Weg ist kaum erst eingeschlagen worden, es wäre daher zu früh, jetzt schon ein Ignorabimus auszusprechen.

Wie ist es nun im besonderen möglich, dem Werden eines lyrischen Gedichtes nachzuspüren? haben wir eine Möglichkeit der Erforschung?

Würde jetzt plötzlich der erste Dichter erstehen, ohne dafs es bisher Dichter oder andere Künstler gegeben hätte, wir würden so überrascht, wie die Kleinen in der klassischen Walpurgisnacht, da plötzlich Seismos am Peneios einen Berg aufwirft; aber wie die Sphinxe, auf Grund ihres Wissens und ihrer Erfahrung, augenblicklich sagen, es ist dieselbe Kraft, die Delos aufwarf,

[ocr errors]

so können auch wir für den lyrischen Dichter Analogieschlüsse ziehen.

Wir wissen aus den Geständnissen einzelner Dichter, was einzelne ihrer Gedichte veranlasst hat, wir kennen ihre Biographien, oder wenigstens bei verschiedenen Dichtern die Biographie so genau, dafs wir die Veranlassung verschiedener Gedichte daraus mit grofser Wahrscheinlichkeit vermuten können. Erforschen wir diesen einzelnen Fall genau nach allen Seiten, so ergiebt sich die erste Beobachtung eines möglichen Verhältnisses zwischen äufserem Anlafs und Gedicht. Mehrere solcher Beobachtungen, aneinander gereiht, ergeben uns die Möglichkeit des Vergleichens. Wir können nun alle Fälle zusammenstellen, in welchen dieses Verhältnis ähnlich ist, und werden dann den Übergang vom Anlafs zum Gedicht, wie wir ihn bei dieser Gruppe beobachten, als die éine Möglichkeit gegenüber den anderen feststellen. Auch diese verschiedenen anderen Fälle lassen sich vielleicht wieder zu Gruppen vereinigen, so daf's wir abermals vergleichen können. Ergiebt sich uns so in zahlreichen Fällen eine Gleichmässigkeit des Vorganges, dann dürfen wir vielleicht von Gesetz im naturwissenschaftlichen Sinne sprechen. Haben wir z. B. bei einem Dichter mehrere Gedichte so auf ihren Anlafs zurückgeführt und sehen überall dasselbe Verhältnis zwischen Anlafs und Gedicht, so werden wir weiter nach Analogie schliefsen, bei ihm sei das Verhältnis meist, vielleicht immer so, das heifst auch bei jenen Gedichten, welche von uns auf ihren Anlafs nicht zurückgeführt werden können. Haben wir dann bei verschiedenen Dichtern eine solche stetige Proportion gefunden, dann werden wir nach Analogie auch bei jenen ein solches Verhältnis voraussetzen, bei denen uns eine direkte Beobachtung nicht möglich ist, wir werden aus den gleichen Wirkungen auf die gleichen Ursachen schliefsen, also ganz so vorgehen wie der Naturforscher. Der Mediziner z. B. weifs aus einer grofsen Reihe von Beobachtungen, dafs beim Typhus diese und jene äufseren Anzeichen zu bemerken sind. Er schliefst, wenn er diese verschiedenen Anzeichen nun irgendwo findet, auf Typhus. Ganz so können wir bei den lyrischen Gedichten vorgehen, doch ist das Verhältnis zwischen Anlafs und Gedicht meiner Überzeugung nach bisher nicht genügend ausgenutzt. Wir müssen daher diesen Punkt scharf ins Auge fassen.

Wir werden nun aus Geständnissen der Dichter, wie aus zahlreichen Beobachtungen gewisse Momente genau kennen

« PreviousContinue »