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Vorwort.

Wer noch keine bestimmte Lebensrichtung hat", sagt Hagenbach, „dem wird Goethe schwerlich sie geben." Die entgegengesetzte Erfahrung hat das Erscheinen dieses Buches veranlaßt. Mir hat der große Dichtergenius eine zerschlagene Welt wieder aufbauen helfen. Mit der dankbaren Begeisterung der Jugend habe ich 1879 in einer in Zillers „Jahrbuch für wissenschaftliche Pädagogik“ erschienenen, freundlich aufgenommenen Arbeit, meiner Doktor-Dissertation, Goethes Stellung zur Religion zu zeichnen versucht. Schon damals hat mich dabei der Wunsch geleitet, vielverbreitete Vorurteile zerstreuen und dazu mithelfen zu dürfen, daß das außerordentliche Licht dieses Geistes in alle Verhältnisse und Beziehungen hineinleuchte und auch recht viele Undere im Bestreben unterstütze, aus den Nebeln des Zweifels auf den Weg des Glaubens und zu der einen Quelle alles Heiles, zu dem Heiland und seinem Evangelium zurückzugelangen. Einmal dem Ziele näher und zu selbständigem Vorwärtsschreiten herangereift, werden auch diese Andern wegen der Umwege, die sie zeitweise an der Hand dieses Führers gemacht haben, nicht mit ihm rechten.

Die anderthalb Jahrzehnte, welche seit dem Erscheinen jener Jugendarbeit verflossen sind, haben mich nicht nur an inneren und äußeren Erfahrungen reicher und reifer gemacht, sondern mir auch in meinem Berufe die Lebensaufgabe zugewiesen, das Evangelium zu verkündigen und christ

liche Welt- und Lebensanschauung zu verbreiten. Dabei hat mich der große führer, dessen Einfluß auf die grundlegende Gestaltung meines Gedankenkreises so entscheidend einwirkte, auf Schritt und Tritt begleitet. Zugleich war ich redlich bemüht, das, was Andere über den Gegenstand schrieben soweit mir dies in meinem von den großen LitteraturZentren entfernten Wohnorte zugänglich war aufmerk

sam zu verfolgen.

Als daher in den letzten Jahren wiederholt Anfragen wegen einer neuen Herausgabe jener Dissertation an mich kamen, konnte ich mich zu einer solchen unmöglich entschließen und unternahm es auf Grund meiner vertieften Einsicht indie geistige Eigenart Goethes, sowie in die großen Fragen des religiösen Lebens, dazu von einer Anzahl wohlunterrichteter, ja gelehrter Freunde ermutigt, ein umfassenderes Bild der Entwickelung Goethes nach religiöser Richtung zu zeichnen und mir und Anderen die Frage zu beantworten, wie einer jener Männer, deren Weltanschauung und Lebensführung einen so bedeutenden Einfluß auf unsere Gebildeten ausübt, in dessen Werken ein so reicher Quell edelsten Geisteslebens sich erschließt, zu den wichtigsten Fragen der Menschenseele sich gestellt. Der Gegenstand bietet, soviel ich sehe, der Behandlung drei Seiten dar, die allerdings nicht vollständig voneinander zu trennen sind, aber doch in verschiedenem Maße berücksichtigt werden können. Einmal die litterargeschichtlich biographische, sofern zu zeigen ist, wie die Individualität Goethes unter den mannigfachen Einflüssen und Verhältnissen eines langen und reichen Lebens in religiöser Richtung bestimmt wurde. Die Hauptgesichtspunkte für diese Seite der Betrachtung sind psychologischer Natur, sofern es sich darum handelt, konkrete seelische Vorgänge und Zustände zu erklären. Dabei mußte in Unbetracht der zentralen Stellung, welche gerade dem religiösen Gedankenkreise zukommt, die Gesamtpersönlichkeit im Auge behalten werden, und es durfte nichts übergangen werden, was den Mann innerlichst beschäftigt und bewegt hat. Wie viele Förderung

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ich diesbezüglich besonders den trefflichen Werken von V. Hehn, „Gedanken über Goethe“, O. Harnack, „Goethe in der Epoche seiner Vollendung“, Hayms, „Herder“ und den Studien Scherers verdanke, wie sehr mir die große unter dem Protektorate Ihrer königlichen Hoheit der Frau Großherzogin Sophie von Sachsen bei Böhlau in Weimar erschienene Goethe-Ausgabe (ich citiere diese mit W. W. B., die Hempelsche Ausgabe mit H.) zugute gekommen, wird dem Kenner nicht entgehen. für die beiden letzten Kapitel besonders und für den noch nicht veröffentlichten Briefwechsel der hier behandelten Perioden in Goethes Leben war mir eine willkommene fund. grube die verdienstliche Sammlung Vogels (Goethes Selbst. zeugnisse über seine Stellung zur Religion und zu religiöskirchlichen Fragen. Leipzig, Teubner 1888). Doch konnte auch die vollständigste und sorgfältigste Sammlung eine Arbeit wie diese nicht überflüssig machen. Nur wer das Leben und die Geistesentwickelung Goethes genauer kennt, kann jene mit Vorteil benutzen und den rechten Überblick über den reichen. Stoff gewinnen. Der großen Mehrzahl wird eine biographisch fortschreitende Erläuterung und Erklärung willkommen sein, welche die einzelnen Phasen dieser Entwickelung aufweist, die vorhandenen Widersprüche somit auflöst und strenge auseinanderhält, was als Goethes eigene religiöse Überzeugung anzusehen ist und was der Dichter den Geschöpfen seiner Phantasie in den Mund legt.

Eine zweite Seite der Betrachtung wäre die historischtheologische, wobei es sich vorwiegend darum handeln würde, die Stellung Goethes zu den Problemen und Systemen der Theologie und zu den kirchlichen Gemeinschaften zu kenn zeichnen. Sie berührt sich nahe mit der dritten Seite, der religiös-praktischen, der es nicht sowohl um theologische als um religiöse Gesichtspunkte zu thun ist und die zeigen will, wie viel praktisch-religiöses Leben aus Goethes Werken und eigenem Lebensgang zu schöpfen ist und auch auf Andere weckend, wegweisend, fördernd zu wirken vermag. So wenig auch Manche Goethen in dieser Richtung zutrauen mögen,

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