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Einige interessante Aufschlüsse gewährt eine Umschau nach der Bezugsquelle des Giftes. Bei Porto nimmt Romeo Gift mit sich, das er von früher her besass. Dafs ein Apotheker das Gift geliefert hat, erfahren wir zuerst aus Sevin, der nach der von uns angenommenen zweiten Überlieferung arbeitet, wie Schulze (S. 177) ahnte. Sein Zeugnis von 1542 ist der älteste Beleg*). Bei Bandello (1554) erhält man von Romeo folgende Mitteilungen über sein Gift: ci diede in Mantova quello Spoletino che haveva quegli aspidi vivi ed altri serpenti. Dieser Spoletiner Schlangenhändler mit dem Zaubergift erinnert an Masuccio nov. Masuccio nov. 4, wo Fra Girolamo von Spoleto die Relique des St. Lucas erstaunliche Wunder wirken lässt. Näheres teilt allerdings erst Boaistuau über den ,armen' Apotheker mit. Doch war diese Figur, weil Boaistuau Sevin gewifs nicht benutzt hat, schon in des letzteren Quelle vorhanden, die Guyon seinen ,necessiteux Apoticaire' lieferte **). Shakespeare baut dann mit dem ihm durch Brooke übermittelten dürftigen Apparate Boaistuaus seine meisterhafte Scene V 1,35-86 auf, zu der ihm seine Vorlage nur noch den spärlichen Zusatz lieferte, dafs der arme Schlucker***) a poor 'pothecary V 3,289

unbusied ad his doort) safstt).

heifst es am Schlusse von dem verzweifelten Liebhaber: Der Knab er setzt sich nieder, Er safs auf einem Stein; Er weint die hellen Thränen, Brach ihm sein Herz entzwei'. Die Wiese (Aus,Wit and mirth Lond. 1712: I went. .) bei Herder, Stimmmen der Völker III. Buch Nr. 46: Und sank dahin ein stilles Ach! Voll Lieb und Leid ihr Herz zerbrach'. Im französ. Volksliede Dans notre village Vole, mon coeur, vole! Magaz. f. d. Litt. des In- und Auslds. 57,419) am Schlufs: Elle était sous l'aune, Morte de douleur. Rumänische Volkslieder, übs. von W. Rudow 2 S. 11 (am Schlufs eines dramatischen Liebesgedichts) das Mädchen, nachdem es den Geliebteu tot fand: Hüllt ihr Antlitz ein. . Und fällt tot zur Erde nieder'. Südslaw. Volksldr. aus der Sammlg. Fr. S. Kuhac, übertrag. v. Harmening, S. 81. Sie starb vor Gram'.

*) Schulze, S. 170 befindet sich also ebenso im Irrtum, wie S. 177.

**) I p. 86 kommt ebenfalls vn pauure necessiteux et meschant Apoticaire' mit einem Gift einem Liebenden zu Hilfe.

***) Ch. Dickens Pictures from Italy (Lpz. Tauchnitz 1846) p. 120 f. läfst seinen Witz über dessen Geistesverwandtschaft mit dem heutigen Mantua spielen (the lean Apothecary and Mantua came together in a perfect fitness of things. It may have been more stirring then, perhaps. If so, the Apothecary was a man in advance of his time, and knew what Mantua would be, in 1844. He fasted much, and that assisted him in his forknowledge).

†) Im Abdruck von Brookes Text bei Collier, Shakespeares Library II (Lond. 1843) p. 76.

tt) Vgl. zum Ganzen M. G. Watkins R. a. J. IV 5,37 I do rem. an ap.: Notes and Quer. 1884 p. 444. Über diesen Apotheker und sein Gewerbe, s. Vatke, Kulturbilder aus Altengl. 138 f., 249, 308.

Der übertragende Sinn von cordial,Herzstärkung' in den Worten*) des verzweifelten Romeo (V 1,85) entspringt nur dem Umstande, dafs er das Gift (poison) eben bei dem Medizinhändler gekauft hat.

,à l'heure opportune, que Juliette deuoit sortir du sommeil artificiel. Vergleiche Shakespeare IV 1,113 In the mean time, against thou shalt awake e. t. c., zu,imitant tout la mort', ebendaselbst Vers 104: In this borrow'd likeness of shrunk death'. Cymbel. II 2,31 O sleep, tho ape of death, lie dull upon her! In Selectiora Adagia LatinoGermanica des J. G. Seybold Ed. III. (Norbg. 1669) wird ein Ovidsches Distichon**) durch ,Der Schlaff ist nichts anders als ein Vorbild des Tods' (S. 345) und der Hexameter,Ut somnus mortis, sie lectus imago sepulchri' mit

,Gleichwie der Schlaff den Tod fürbildt:

Also das Bett das Grab vorstellt.***)

(S. 390) wiedergegeben. Guyon III 201 bemerkt: Le dormir est image de mort. - vn sommeil Caton l'appelle image de la mort.

,recitee comme le tout s'estoit passé. Nachweisbar ist diese Situation zuerst bei Porto. Dieser Schlufsbericht Lorenzos ist in der Komposition von Bedeutung +). M. Koch (Jahrbuch 11,213) stellt ihm ein ähnliches Resumé in Marlowes Faustus gegenüber, das er für unechtes Einschiebsel erklärt. König (ebendaselbst 13,120-123) besprach mehrere Fälle von „Erzählung des bereits Dargestellten, teils durch wiederholte Vorführung derselben oder ähnlicher Motive und Situationen" in Romeo and Juliet, namentlich die Berichterstattung Benvolios an Romeos Eltern über den eben stattgehabten Kampf (I 1,113) und an den Fürsten über das Duell zwischen Romeo und Tybalt (III 1,157), namentlich aber Lorenzos ausführliche Aufklärung

*) Nach Büchmann, Geflügelte Worte 16 S. 94, wohl nachgeahmt in „Nathan der Weise" I 2: Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.

**) Stulte, quid est somnus, gelidae nisi mortis imago?

Longa quiescendi tempora fata dabunt.

***) Vgl. R. a. J. I. 5,137; (Schiller, Kab u. Lb. V 1;

Günther, Modern

criticism against Shs. R. a. J., 1876, S. 11 ff.) III 2,137; IV 5,35 f. (Anklang an das schott, Volkslied von Margaret d. i. Lenore?).

†) Vgl. Akadem. Blätter, hrsg. von Sievers (1884) S. 550.

am Schlusse *), die den Ausgleich des Zusammenstofses anbahnt**). Diese ist ein Muster eines sachlichen Referats am Ausgange des Dramas und steht technisch wie poetisch über der Durchschnittsrede des altgriechischen ärrelos, trotzdem dieser ja nur Dinge berichtet, von denen der Hörer noch nichts weifs. Guyons knappe Notiz zeugt daher von richtigem Verständnis für die Stellung des Mönchs in der Romeofabel.

frere Laurent'. Die meisten Angaben über diesen sind bereits S. 56 zu,Cordelier' verzeichnet. Boaistuau schmiedet sich keine neue Titulatur wie die Clitia, sondern übersetzt Bandellos wiederum Porto entnommene Angabe. Der Engländer Brooke legt sich phonetisch richtig sein,fryer Lawrence' zurecht, während Painter sich in,Laurence' anscheinend der französischen Vorlage anbequemt. Guyons, Cordelier frere Laurent' stammt vielleicht unmittelbar aus der angesetzten italienischen X-Bearbeitung; denn die übrigen Teilhaber der zweiten Überlieferung, Sevin und die Spanier, geben keinen Aufschluss über,Laurent' (dessen Auslaut t neben dem gleichzeitigen Laurens Boaistuaus besonders auffällt).

,ainsi s'appelloit le Cordelier' wird niemanden befremden, der an die Mode der mittelalterlichen Novellistik denkt, Personen erst im Augenblick wo sie auf dem Höhepunkt der Situation stehen, mit Namen vorzustellen. Den Namen der Giulietta erfahren wir bei Porto erst vor dem erregten Auftritte mit ihrem Vater, an dem Punkte der Peripetie. Es heisst da:,Giulietta (che così era della giovane il nome‘***). Ebenso lernen wir zum Beispiel in dem mittellateinischen Roman Ruodlieb erst V 223†) den Namen des Helden kennen, wo sein Geschick mit dem Antrage zur Heimkehr eine neue, entscheidende Wendung nimmt++). Bis dahin heifst er eques, wie Giulietta vorher la giovane oder la donna.

*) Ebenso Hense, Vorträge u. s. w., S. 26.

**) Dieser wirkt ungleich versöhnender, als der glückliche Ausgang bei dem Franzosen Mercier (s. o. S. 186 Anm. 3); vgl. Tieck, Dramaturg. Blätt. I 274. Mit derartigem Schlusse (dass nämlich „das Liebespaar leben bleibt und den Lohn für seine Treue erhält“), führte man bis in die Neuzeit,R. u. J.' in Paris auf: vgl. Internationale Revue I (1866) S. 13.

***) Pace-Sanfelice's Neudruck p. 28. Bei Bandello p. 47a geschieht die Einführung beim Balle mit den Worten: Giulietta (che cosi haueua nome la garzona che cotanto à Romeo piaceua) era figliola del Padrone de la casa e de la festa.

†) Seilers Ausgb. S. 27.

††) Laistner Ztschr. f. dtsch, Altert. 29, 15 ff. steht hier jedoch der Statuierung eines Gesetzes der Poetik skeptisch gegenüber.

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,à cause que le pere de Juliette requis'. Hier blickt noch deutlicher als in dem Eingangssatze,son-marier' die Annahme durch, Romeo habe sich tatsächlich bei Juliens Familie beworben. Nur die meistens mit Guyon stimmenden Bearbeitungen, die Spanier und Sevin, haben dasselbe Motiv. Bei Sevin und in der mannigfach verwandten dalmatinischen Sage weist der (beziehentlich die) Bruder des Mädchens die Bewerbung zurück. Bei Lope de Vega in der 1. Szene des 2. und bei Rojas in der letzten des 1. Aktes erklärt das Paar den Angehörigen ganz offen seine Liebe. Da nun Sevin und Lope*) aufserdem ebensowenig wie unsere Fassung ein einziges Wort von dem Heiratsplan des Grafen Paris erwähnen, so wäre der mehrfach angedeutete Zusammenhang, der auf einer gemeinsamen Quelle basieren mufs, besiegelt.

Der Wert von Guyons unscheinbarer Bearbeitung des Romeostoffes dürfte nunmehr einleuchtend sein. Es sei nur noch erwähnt, dass nicht bloss sämtliche deutsche Bücher- und Gelehrtenlexika des 18. Jahrhunderts noch von ihm melden, sondern dass auch der ehrsame Philipp Harsdörffer von Nürnberg in seinen von erstaunlicher Belesenheit zeugenden Frauenzimmergesprächsspielen" ihn nebst dem älteren Landsmann François Rabelais unter seinen Fundgruben aufführt, in den letzten Jahren des dreifsigjährigen Kriegs. Auch auf Guyon mag man das allgemeine Urteil Goethes (zu Riemer) anwenden: „Selbst eine glückliche neue Benutzung schon von anderen gebrauchter Motive setzt einen Schriftsteller keineswegs herab, vielmehr gereicht ihm solches zur Ehre, wenn er es nur recht macht.“ ** **)

Leipzig.

*) Rojas, der erwiesenermassen auch sonst neben Lope den Bandello (oder eine Ableitung desselben) benutzt hat (Schulze Jahrb. 11,195), wird auch diese Erweiterung von ihm entlehnt haben.

**) Angeführt von O. K., Allgemeine konservative Monatsschrift 47 (1890), 298, wo auch,R. a. J. als Beispiel dient.

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Lessings „Nathan" in Ungarn.

Von

Anton Herrmann.

IT

m vorigen Jahrhundert und auch noch in den ersten Dezennien dieses Jahrhunderts war es eben Wien, das die Werke deutscher Dichtung nicht nur nach Ungarn nicht vermittelte, sondern wo nur möglich den Einfluss derselben auf das geistige Leben Ungarns hemmte. Statt vieler Beispiele nur das eine: schon 1779 erschien zu Wien ein Nachdruck von Lessings Nathan. Wahrscheinlich war die Wirkung desselben nicht nach dem Geschmack des Wiener Hofes und seiner Regierung voll jesuitischer Tendenz; denn „Nathan“ wurde in den Index librorum prohibitorum (1779-80) aufgenommen und demgemäss in der ganzen Monarchie, daher auch in Ungarn, verboten. Erst unter Josefs II. freisinniger Regierung wurde dies Verbot aufgehoben und die im Nathan niedergelegten Ideen begannen in Ungarn sich zu verbreiten. Der in der ungarischen Litteratur unter dem Namen „deutschgriechische Schule" bekannte Dichterkreis beschäftigte sich eingehend und mit Vorliebe mit Lessing. Kazinczy übersetzte drei Dramen (Emilia Galotti, Mifs Sara Sampson und Minna von Barnhelm) und erwähnt in seinen Schriften häufig den Nathan. So z. B. erzählt er in seinem Werke: Pályám emlékezete (Erinnerungen an meine Laufbahn), dass er 1780 seine Übersetzungen aus dem Deutschen einem deutschen Prediger in Raab zeigte. Im Zimmer des Geistlichen hingen an den Wänden die Bilder deutscher Schriftsteller, darunter auch Zollikofers und Lessings Bild. „Jenen mit Ehrfurcht erwähnend, rief er beim Namen des Dichters des Nathan unwillig aus: Ach der gefährliche Feind des Christentums!" - Selbst in einem Privatbriefe vom 1. Januar 1805, worin er seinen Freund, den Dichter Johann

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