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interessierende Frage, Viehoff hätte aber die beiden von einander verschiedenen Arten seiner Wirkung scheiden müssen.

Aus dem Paragraphen, der über die Benutzung der Verstandestätigkeit zur Lenkung unserer Phantasie handelt, will ich nur die Viehoffsche Erörterung folgender Verse erwähnen:

Grofs ist der Herr! Die Himmel ohne Zahl

Sind seine Wohnungen;

Seine Wagen sind die donnernden Gewölk'
Und Blitze sein Gespann.

Die Morgenröt' ist nur ein Widerschein

Von seines Kleides Saum,

Und gegen seinen Glanz ist alles Licht

Der Sonne Dämmerung.

Wir schliefsen nun, meint Viehoff, wenn auch nur dunkel in der Seele, folgendermafsen: Gottes Wohnungen übertreffen die irdischen unendlich an Gröfse und Herrlichkeit; eben so sehr wird er die Bewohner der irdischen Häuser an Gröfse und Herrlichkeit über

treffen u. s. w. Unsere Phantasie soll auf Grund dieser Schlüsse, wenn auch nur dunkel und unbestimmt, eine optisch erhabene Gestalt schauen. Ich glaube auf das bestimmteste versichern zu können, dass mir die Verse vorübergehen, ohne dafs ich die Anschauung einer solchen Gestalt bildete; und jener Schlufs findet auch wohl dunkel in der Seele nicht statt, sondern die Verse wirken wie die vielen ähnlichen Beispiele, die neuerdings Bruchmann gesammelt und erörtert hat*). Auch in diesem Paragraphen wird dann über die Schilderung von Stille und Einsamkeit gehandelt, was ich für weiterhin verspare.

am

Im letzten Paragraphen des Kapitels bespricht Viehoff endlich zusammenfassend die Frage: Welcherlei Handlungen malen kräftigsten? Da wird unter c) auf die charakteristischen Bewegungen hingewiesen, d. h. solche, welche dem bewegten Gegenstande gattungsgemäfs zukommen und ihn kennzeichnen. Beispiel: Goethes Adler und Taube. Ein Taubenpaar wandelt nickend, ruckt einander an, ihr rötlich Auge buhlt umher etc. Viehoff stellt diese Bewegungen in Parallele zu jenen, in denen wir Äufserungen psychischen Lebens, eines menschlichen Charakters erkennen. Diese Zusammenstellung ist jedenfalls nur halb richtig: von einem durch ein durchschimmerndes psychisches Leben gewecktem Interesse ist kaum die Rede, vielmehr

*) Psychologische Studien zur Sprachgeschichte. Leipzig 1888. Ztschr. f. vgl. Litt.-Gesch, u. Ren.-Litt. N. F. IV.

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handelt es sich nur darum, dass ich diese Bewegungen im Gedächtnis habe. Sie gehören unter Viehoffs nächste Rubrik: alltägliche Bewegungen und Handlungen vergegenwärtigen sich der Phantasie leicht und deutlich. Bewegungen, welche Tiere oft zu machen pflegen, kenne ich genau aus der Erfahrung; wie ein Huhn Körner pickt, oder ein Storch den Schnabel hebt zum Klappern, das habe ich oft gesehen, wie es aber aussieht, wenn ein Storch etwa von einem Steine getroffen umfällt, weifs ich nicht.

Weiter wird auseinandergesetzt, dafs auch unbestimmte, seltsame, rätselhafte Bewegungen die Phantasie zu höchst lebhafter Tätigkeit anregen. Viehoff führt als Beispiel die bekannten Verse aus Schillers Taucher an: da krochs heran, regte hundert Gelenke zugleich etc. Er acceptiert die Erklärung Schillers: „Auch das Unbestimmte ist ein Ingrediens des Schrecklichen, und aus keinem anderen Grunde, als weil es der Einbildungskraft Freiheit giebt, das Bild nach ihrem Gefallen auszumalen“. Ein solches Ausmalen kann ja unter Umständen eintreten, aber es braucht durchaus nicht immer einzutreten. In unserem Falle hätte die Phantasie die Aufgabe, sich eine körperliche Schreckensgestalt möglichst greulich nach ihrem Gefallen vorzustellen; und eine solche Gestalt nach den wenigen Andeutungen, die Schiller giebt, ganz selbständig aufzubauen, ist eine recht schwere Aufgabe. Nebenbei bemerkt liegt der Fall selbst dann unglücklich, wenn man sich Zeit läfst und die Überlegung zu Hilfe nimmt. Viehoff meint, Schiller habe sich einen riesigen Polypen gedacht, und das wird auch wohl richtig sein; aber Schiller sagt, es habe geschnappt, und bei schnappen denkt man jedenfalls zunächst an den Rachen eines Tieres, während die Polypen mit ihren Fangarmen greifen.

Die Schillerschen Verse haben auch mich jedesmal durchschauert, aber ich habe meine Phantasie niemals auf dem Versuche ertappt, sich das Ungetüm auszumalen. Bisweilen gehen mir die Verse ohne jede Anschauung vorüber, blitzt aber eine solche auf, so ist es die des Sprechenden, und zwar sehe ich ihn nicht unten, dem Ungetüm gegenüber, sondern im Kreise seiner Zuhörer, mit entsetztem Gesicht und abwehrend vorgestreckten Händen. Dieses scheint mir dafür zu sprechen, dafs wenigstens für mich die Wirkung nicht vom Objekt, sondern vom Subjekt ausgeht, dafs es sich um eine direkte Stimmungsübertragung handelt.

Die symptomatische und die causale*) Darstellungsmethode des inneren Lebens geraten bisweilen in Konflikt miteinander. Breite Ausmalung der stimmenden Elemente wirkt im allgemeinen günstig, aber es giebt Stimmungen, wo sie, vom Standpunkt der symptomatischen Darstellung betrachtet, falsch wäre. Man vergleiche die beiden Wanderers Nachtlieder von Goethe: Über allen Gipfeln und Der du von dem Himmel bist. Dort haben wir viele stimmende Elemente, um eine Stimmung der Ruhe zu zeichnen; hier erfahren wir nur: Ach ich bin des Treibens müde! Was soll all der Schmerz und Lust? Eine breitere Ausmalung des Treibens würde eine ärgerliche Stimmung gegeben haben, während die Sehnsucht nach Frieden den Gedanken an alles Unerquickliche möglichst weit zurückschiebt und nur das Ziel, den Frieden sich vor Augen hält. Ähnlich ist es nun auch in unserem Falle. Momentanes Entsetzen sieht nicht deutlich, fafst das Bild des Gegenstandes nicht scharf auf; ein einziger Blick und das Blut stockt. Nun ist der Leser durch die vorherigen Verse schon prädisponiert, ein Schauer hat ihn bereits ergriffen; von dieser Stimmung aus fasst er die folgenden Worte auf und er fühlt nun jenes Entsetzen nach, das dem Erzähler für den Moment die Fähigkeit zum klaren Auffassen raubte.

So viel von den Gesichtsvorstellungen. Was das Gehör anbetrifft, so sind Empfindungen aus diesem Sinnesgebiet wohl ziemlich ebenso leicht zu reproduzieren, wie solche aus dem des Gesichtes**). Soweit sie im Bereich der menschlichen Stimme liegen, können sie meist willkürlich nachgeahmt werden: Schreien, Jubeln, eine bekannte Melodie; wo der Klang nicht genau nachzuahmen ist, wo es sich etwa um eine besonders zarte, wohlklingende, volltönende Stimme handelt, haben wir diese doch deutlich genug im Ohr. Ebenso sind Naturlaute leicht zu phantasieren: das Rollen des Donners, das Rauschen des Baches vermag ich mir mit vollkommener Deutlichkeit vorzustellen. 7 Der Dichter hat allerdings nicht eben viele Mittel, uns diese Vorstellungen fest einzuprägen: exakte Beschreibungen sind schwer zu geben. Ein anschwellender, lang nachhallender, plötzlicher Donner über der

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*) Vergl. über diesen Ausdruck meinen Aufsatz über das innere Leben bei Gottfried von Strafsburg, Zs. f. d. Altertum 34, S. 102.

**) Es giebt hier individuelle Verschiedenheiten. Wundt, Phys. Psych., II. S. 402 sagt, Gesichtsvorstellungen seien bei den meisten Menschen die deutlichsten, Schallvorstellungen könnten sich ihnen nähern. Bei mir vermag ich kaum einen Unterschied zu finden.

artige Allgemeinheiten ist schwer hinauszukommen, da eine genauere Beschreibung leicht verwirrt. Aber diese Allgemeinheiten genügen auch vollständig, um das entsprechende Erinnerungsbild zu heben. Dazu können Hilfen durch solche Gesichtsvorstellungen treten, die mit den Gehörempfindungen in fester Association stehen: Glockenturm beim Geläut, Blitz beim Donner*) etc. Aber noch in anderer Weise können Hilfen gegeben werden, indem nämlich das Lauschen beschrieben wird: die Stellung, die Jemand einnimmt, wenn er ein bestimmtes Geräusch hört, die hoffende oder fürchtende Spannung der Aufmerksamkeit, bevor er es hört. Wir denken uns in die Stellung hinein und hören um so leichter mit dem betreffenden; auch unsere Aufmerksamkeit spannt sich und um so leichter und sicherer wird eine befohlene Reproduktion vollzogen. Dazu kommen die onomatopoetischen Mittel der Sprache.

Viehoff behandelt die Gehörvorstellungen nur in negativer Hinsicht, das heifst er wirft das Problem auf, wie der Dichter es anfange, Einsamkeit und Stille zu schildern. Er führt Seite 161 und 166 ff. mehrere Mittel an. Zunächst Kontrast der Gegenwart mit der Vergangenheit: wo jetzt Stille und Öde herrscht, da brauste einst das volle Leben des Tages. Als Beispiel dienen einige Verse aus Matthissons „Elegie, in den Ruinen eines alten Bergschlosses geschrieben“ und eine Stelle aus Volney, Voyage en Egypte (es handelt sich um die Ruinen von Palmyra). Keines dieser beiden Beispiele übt auf mich die Wirkung aus, die sie nach Viehoff ausüben müssten. Was ich empfinde, ist eine elegische Stimmung, wie sie der Gedanke an die Vergänglichkeit alles irdischen mit sich bringt, aber durchaus nicht der spezifische Eindruck der Stille. Die Vorstellung des Kontrastes selbst ist hier so stimmungsmächtig, dafs keines der beiden Glieder zu selbstständiger Wirkung gelangt.

Ferner erwähnt Viehoff Kontrast mit räumlich entferntem Geräusch und Leben. Die Beispiele, die er anführt ich werde sie weiterhin näher betrachten sind beide der Art, dass das ferne Geräusch in die Stille hineintönt, das ferne Leben von dem einsamen wahrgenommen wird. Auch so kommt eine Kontrastwirkung jedenfalls nicht immer zu stande, in den Viehoffschen Beispielen ist sie sicher nicht gegeben. Lese ich, dafs Jemand fernes Leben gesehen, fernes Geräusch gehört hat, so sehe und höre ich es mit ihm, und die unmittelbare stille und einsame Umgebung kommt mir bei diesen hinausschauen und hinaus

*) Vergl. hierzu und zum folgenden Satze wieder Lange, a. a. O. S. 415 f.

horchen nicht zum Bewusstsein. Tut sie es aber ausnahmsweise, so ist doch das erste Glied des Kontrastes abgeschwächt, da ich mir das Leben als fernes vorstelle. Doch lässt sich hier eine Kontrastwirkung unter Umständen erzwingen; der Dichter kann meine Phantasie durch die Vorstellungen des fernen Lebens so beschäftigen, dass ich für den Augenblick aus der Situation herauskomme, mir also das Leben nicht mehr als fernes vorstelle, sondern so, als ob ich mitten darin wäre; und wenn dann plötzlich mein Blick wieder auf die öde Umgebung gelenkt 'würde, so wäre der Kontrast in der Tat vorhanden. Dafür ist es dann aber gleichgültig, ob das ferne Leben von dem einsamen wirklich wahrgenommen wird; ein Gefangener könnte sich etwa ein glänzendes Phantasiebild rauschenden Menschentreibens ausmalen, so dafs er und der Leser mit ihm für den Moment seine Lage vergifst, und eine plötzliche Erinnerung an diese Lage würde dann die gewünschte Wirkung haben. Ebenso leicht ist sie zu erreichen, wenn angegeben wird, dass in der Stille ein einzelner schnellverhallender Ton erklungen sei*). Die Aufmerksamkeit richtet sich dann auf das Gebiet der Gehörsvorstellungen, sie ist einen Augenblick hier beschäftigt, dann wieder nicht, und ihre vergebliche Anspannung kommt uns zum Bewusstsein. Ebenso schön wirkt ein langsam verhallender Ton, zum Beispiel in Hölderlins Fragment die Nacht: Und mit Fackeln geschmückt rauschen die Wagen hinweg. Man stellt sich das allmählig verschwindende Wagenrollen vor und hat schliesslich auch hier das Gefühl, dass nun die Phantasie für das Ohr nichts mehr zu tun habe. Die deutlich vorgestellten sich entfernenden Wagen geben übrigens auch eine sehr klare Anschauung der leer und öde zurückbleibenden Strafsen.

Viehoff kommt auf die fernen Klänge noch einmal zurück, da wo er von der Lenkung der Phantasie durch die Verstandestätigkeit spricht, Seite 167. In der Regel, sagt er hier, hören wir weit entferntes Geräusch nicht; aus dem vernehmen desselben schliefsen wir daher auf die Stille der nächsten Umgebung." Angenommen einmal, wir zögen diesen Schlufs wirklich dunkel in der Seele," so ist doch nicht abzusehen, was er uns helfen sollte; sein Resultat würde doch nur der Satz sein, es war still um ihn, und es ist nicht zu begreifen, warum dieses so gewonnene Ergebnis uns eindrucksvoller sein sollte, als etwa

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*) Bruchmann hat hierauf hingewiesen, a. a. O. S. 240. Das Beispiel, an das er seine Bemerkungen knüpft, ist aber nicht sehr günstig, da man den Eindruck gewinnt, dafs der Mövenschrei sich wiederholt: Er tritt nicht als ein einzelnes scharf abgegrenztes Ereignis hervor.

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