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Kurzer Umriß

der ålteren

französischen Literatur bis auf das XVII. Jahrhundert, mit Bezug auf die

allgemeine Staatengeschichte Europas.

J.

Französische Literatur vor den Einfällen der Franken.

ie älteste französische Literatur bis zu den Einfällen der Franken zerfällt in brei Hauptepochen: die Druidisch-gallische,

die Gallisch-griechische und die Gallisch griechisch lateinische, die wir hier besonders berücksichtigen müssen.

Von der ersten ist uns nur wenig bekannt. In jenen dunkeln Zeiten, die dem Einfalle der Römer vorangingen, ward die Poesie in Gallien von Barden,1) die Philosophie von Eubagen zu kräftiger Rezsamkeit erhoben. Barden und Eubagen gehörten der Priesterkaste an und werden gewöhnlich mit dem Namen Druiden (Priester der Eiche2) bezeichnet. Die Druiden waren nicht allein Priester, Philosophen und Dichter, sondern auch Redner, Richter, Mathematiker und Aerzte.

um ihr intellektuelles Ucbergewicht zu bewahren, schlossen sie mit der größten Sorgfalt ihre Lehren im Busen ihres Ordens ein, und gaben neuen Mitgliedern nur allmåtig, und nach schwer zu überstehenden Prüfungen, die Weihe. Aus Furcht, ihre Grundsåhe verbreitet zu sehen, schrieben sie nicht, sondern beschränkten sich nur auf mündliche Tradizionen und, um in der Einsamkeit Forschungen und Betrachtungen anzustellen, die dem in ihre Mythen und Lehren Nichteingeweihten fremd bleiben sollten, legten sie ihre Schulen in den abgelegensten Orten der Wälder an. Der Lehrer hielt seinen Vortrag in Versen, deren Zahl sich auf beinahe zwanzigtausend belief, die der Schüler auswendig lernen mußte. Diese Lehrmethode war so schwierig, daß ein ganzes Leben dazu erforderlich war, um sich mit den sämmtlichen wissenschaftlichen Bestandtheilen derselben bekannt zu machen.

1) Bard, kelt. Sånger.

2) Von derw, kelt Eiche; griech. deus. —

Die Sprache der Druiden ist erloschen; es war die Keltische, von der sich Spuren im Bretagnischen, Gälischen, Irländischen und Baskischen wiederfinden, und die mit dem altitalischen Dialekte verwandt war, wie aus den Inschriften in oszischer Sprache, die sich mit Hülfe der obigen Idiome deuten lassen, zu ersehen ist1).

Die zweite Epoche tritt uns klarer vor Augen. Im sechsten Jahrhundert vor Christi Geburt dringt, nach der Niederlassung einer phoceischen Kolonie, die sehr weit fortgeschrittene griechische Bildung in das rohe Gallien ein. In Marseille (Massilia phocaica) wird eine Akademie gegründet, und so mußte auch das Gallische durch die für alle Gaben der Kunst empfängliche griechische Sprache befruchtet werden und einen Abglanz derselben annehmen. Die Keime der Geistesthätigkeit entfalteten sich: Pytheas, der erste, auf gallischem Boden geborne, uns bekannte Schriftsteller, tritt auf; er besucht Asien und beschreibt nach seiner Rückkehr die von ihm unternommene Reise. Auch in der Geographie und andern Wissenschaften ist er bewandert, wie es die im Strabo, Plinius, Polybius angeführten Bruchstücke beweisen, die in neuerer Zeit von Cassini und Gassendi gehörig gewürdigt worden sind.

Mit Ausnahme der bei jeder Pflanzstadt unvermeidlichen Anfechtungen lebten Gallier und Griechen in der Provence in ziemlich guter Eintracht; griechische Civilisazion drang ein in die unwissenden Bewohner dieses Landes; die Druiden, sonst so neidisch auf ihr allein gültiges Unsehen legten ihnen keine Hindernisse in den Weg, die das Gedeihen ihrer Ansiedelung håtten beeinträchtigen können, sondern beeilten sich im Gegentheil, fie freundlich aufzunehmen, gallische Einsichten an den reichen Quellen griechischer Bildung zu vermehren und so der eigenen Macht einen höheren Aufschwung zu geben.

Die dritte Periode, die mit der Eroberung Galliens durch Cåsar beginnt und mit den frånkischen Einfällen endet, bedarf einer besondern Erklärung, weil gewöhnlich die meisten Philologen sich irriger Weise auf diese römische Eroberung ftügen, um den Ursprung der französischen Sprache von der lateinifchen abzuleitlen, und jedes andere Element, das deren wirklichen Ursprung bestimmen könnte, selbst wenn es der Wahrheit gemäß und auf zahlreiche Thatsachen gestügt wåre, unberücksichtigt lassen wollen. »Im Anfange der christlichen Zeitrechnung,« sagt 2. Alvarez, „verschwindet das Keltische und Phoceische gänzlich, von der römischen Sprache verdrängt.« Diese durchaus falsche Meinung ist von Mehreren wiederholt worden, aber ohne die Bemühung, sich von der Wahrheit genauer zu überzeugen. War es denn den Römern möglich, mit einem Male die sämmtlichen gallischen Volksidiome und Hauptsprachen zu vernichten? Ein unwiderruflicher Beleg für das Gegentheil ist das Bretagnische oder Armorikanische 2), das noch heute in Frankreich geredet wird und das, wie wir oben sagten, als eine Verzweigung des Keltischen zu betrachten ist. Denn wenn man auf den Ursprung der Völker, die in der Bretagne wohnen, zurücksieht, so ergiebt es sich, daß diese desselben Ursprungs sind, wie die Gålen, Irländer und Basken, und vergleicht man diese Sprachen untereinander, so findet man noch nåhere Verwandtschaftsbeziehungen. Versuchten aber die Römer es je, die gallische Sprache auszurotten? Nein, kein Schriftsteller spricht davon, und wenn die Römer es versucht hätten 1) Vergl.Owen Pugh, gaëlic grammar.- Bruce-Why te, Histoire des Langues Eichhoff, Parallèle des Langues de l'Europe et de

Romanes Paris 1841.

l'Inde, Paris 1837.

2) de Villemarqué.

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wåren sie auf tausend Schwierigkeiten gestoßen. Um sich verständlich zu machen, mußten Sieger und Besiegte sich gegenseitig Wörter entlehnen, wovon aber keins ins Lateinische überging; der Gallier entlehnte vom Römer Wörter, die er in seine Sprache aufnahm; dieses soll also der einzige Grund sein, um das Gallische oder Französische vom Lateinischen abzuleiten? Wo wird man aber dann den Ursprung von 4500 Wörter, deren Etymologie unbekannt ist, aufsuchen? Die meisten derselben lassen sich vermittelst der keltischen Tochtersprachen auflösen, und nimmt man das Sanskrit zü Hülfe und sucht die Wurzel darin auf, (da das Sanskrit die Ursprache aller indisch-europäischen Sprachen ist 1) so leidet der Ursprung des Wortes keinen Zweifel mehr und es ergiebt sich, daß es ein der Ursprache angehöriges Wort ist.

Einen solchen Einfluß, der alle Spuren früheren Daseins verwischt håtte, konnte also das Lateinische auf das Gallische nicht haben, obgleich die römische Kultur eingedrungen war, zur Verbreitung der Wissenschaften und Künfte beitrug, und das Streben nach geistiger Veredlung mit frischer Kraft beseelte. Dieses war aber nur bei den höhern Klaffen der Fall, denn das Volk blieb meistentheils unwissend, und nahm nur wenig von den sich entwickelnden Kenntnissen an. In jedem Lande bewahrt stets ein Volk, das einem Sieger anheimfällt, die herkömmlichen Eigenthümlichkeiten des Familienlebens und ver stößt Alles, was ihm Jener überliefert 2). So war es auch mit Gallien. Nie hat die römische Geistesbildung den herkömmlichen Kreis der Bedürfnisse der niedern Volksklassen vergrößert, noch zu deren gesellschaftlicher Verfeinerung bei= getragen; nur für die höhern Stånde und in großen Städten erhoben sich Akademien, dergleichen in Lyon, Besançon, Autun, Narbonne, Toulouse, Bordeaur, Poitiers, Clermont und Rheims. Die früher in Marseille gestiftete bildete sich zur Vollständigkeit aus, und schwang sich so auf den höchsten Gipfel des Ruhms; waren es aber Unterrichtsanstalten, in welchen die Kinder des Volks erzogen wurden und die dazu dienten, der lateinischen Sprache in allen Klassen der Gesellschaft Eingang zu verschaffen? Wurde die in entfernten Städten, Flecken oder Dörfern wohnende Jugend von ihnen ins Auge gefaßt und gewann dieselbe durch öffentlichen Wetteifer fortschreitend, an der ihr mangelnden Reife? Erwei= terte sich auf allen Punkten der Umfang ihrer Thätigkeit ? wurde ihre Wißbegierde erweckt, bestrebte man sich ihrer Sprache jenë Vollständigkeit und Einheit zu geben, die den Uebergang von dieser zu jener vermitteln konnte? Nein, der römische Ausdruck einer allgemeinen Belehrung bildete sich nur bei den für Wissenschaft empfänglichen vornchmen Galliern und ward den auf niederer Stufe der Kultur stehenden nicht zu Theil. Eine entgegengesette Behauptung aufstellen wollen, würde zeigen, daß man der Geschichte und Philosophie gänzlich fremd ist. Daß aber die Römer mächtig auf die Bildung der höheren oder mittleren Klassen Galliens gewirkt haben, beweisen die in dieser Epoche sich befindlichen Schriftsteller. Sie alle aufzuzählen würde unnüß sein. Erwähnen wir nur Menckrates, Statius, Petronius, Favorinus, Fatera, Proeresius, Ausonius, Sidonius Apollinaris und Terentius Varro. Von ihnen zogen einige die Aufmerksamkeit der Beherrscher der Welt auf sich und spielten sogar am Hofe der

1) Pictet, Affinité du Sanscrit avec les Langues Celtiques. 2) Eine ähnliche Behauptung stellt Pagendarm über die Lingua romana rustica auf. Siehe Pagendarm, de Lingua romana rustica, Jena 1735.

Kaiser eine bedeutende Rolle. Ihre Schriften sind zwar in lateinischer Sprache abgefaßt, allein zu dieser Zeit tritt der Verfall der römischen Sprache schon sichtbar hervor; die Dichtkunst beschränkt sich fast ausschließlich auf Nachahmung ålterer Muster; aber obgleich des Geistes Kraft zu erschlaffen anfängt, so findet man doch hin und wieder kenntnißreiche Männer und treffliche Köpfe. Spåter erstirbt das Gefühl für Großes und Erhabenes, und die Sprache verliert ihre Reinheit und Anmuth; die Bildung des Volkes wird unter den Kaisern von dunkler Abkunft auf das schnödeste vernachlässigt, und rohe Gewaltthätigkeit, durch Ver brechen erhöht, bemächtigt sich der Obergewalt; Wissenschaft und Kunst werden unterdrückt, und die Literatur zeigt sich in årmlicher Gestalt. zu jener Zeit wirkte auch der Zustand des römischen Reichs auf die gallischen Schriftsteller; ihre Sprache ist ungleich, von Neologismen überschwemmt, oft sogar dunkel und schwulstig, ihre Sagbildung schwankend; Fehler zeigen sich allenthalben, welche aus dem zerrütteten Zustände der damaligen Literatur entspringen, und sich so vermehren, daß beim Einfalle der Barbaren der gute Geschmack, die gründliche Kenntniß der lateinischen Sprache gänzlich untergegangen war.

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$ 2.

Fränkischer Einfall; Elemente der französischen Sprache.

Gegen die Mitte des fünften Jahrhunderts beginnen die Einfälle der Franken. Die Westgothen besegen die Narbonnensis und beinahe den ganzen Süden ; Burghunder den Westen und die Franken die übrigen Theile dieses Landes1). Die in jedem dieser Landstriche geredete Sprache nimmt eine eigene Schattirung an, woraus mit der Zeit ein neues Idióm hervorgeht. Die verschiedenen Elemente woraus es gebildet ist, müssen hier besonders berücksichtigt werden.

Vor dem Einfalle der Römer, war Gallien unter verschiedene Volksstämme vertheilt, die besondere Sprachen hatten. Aquitanien sprach Baskisch, das durch Eroberungen in die pyrenäischen Klüfte verdrängt wurde, wo es noch heute geredet wird. Im mittleren Gallien war das Keltische im Umlaufe, in den übrigen Theilen das batavische Jdiom. Lezteres ist erloschen.

Die griechischen Kolonisten führten das Griechische ein, die Römer das Lateinische, die Franken das Altdeutsche, das sich allmählig verbreitete.

Das nach den Einfällen in Gallien entstandene Idiom, dasjenige, welches den Siegern wie den Besiegten zur gegenseitigen Verständigung diente, mußte also folgende Bestandtheile haben:

1) das Keltische und Batavische

2) das Baskische

3) das Griechische
4) das Lateinische

5) das Deutsche.

Von diesen Elementen verschwinden einige; die übrigen verschmelzen sich bei der großen Mischung, wodurch Einheit der Sprache entsteht;

1) Les Gaules furent envahies par les nations germaines. Les Wisigoths Occupèrent la Narbonnaise et presque tout le Midi; les Bourguignons s'établirent dans la partie qui regarde l'Orient, et les Franks conquirent à peu près tout le reste. (Montesquieu, Espr. des Lois.)

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