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10. Auf dem See

Und frische Nahrung, neues Blut
Saug ich aus freier Welt;

Wie ist Natur so hold und gut,
Die mich am Busen hält!
Die Welle wieget unsern Kahn

Im Rudertakt hinauf,

Und Berge, wolkig himmelan,
Begegnen unserm Lauf.

Aug, mein Aug, was sinkst du nieder?
Goldne Träume, kommt ihr wieder?
Weg, du Traum! so gold du bist;
Hier auch Lieb und Leben ist.

Auf der Welle blinken
Tausend schwebende Sterne;
Weiche Nebel trinken
Rings die türmende Ferne;
Morgenwind umflügelt
Die beschattete Bucht,
Und im See bespiegelt
Sich die reifende Frucht.

11. Mignon

Kennst du das Land, wo die Citronen blühn,
Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,

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Kennst du es wohl?

Dahin! Dahin

Möcht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!

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Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach, Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach, Und Marmorbilder stehn und sehn mich an: Was hat man dir, du armes Kind, gethan? Kennst du es wohl?

Dahin! Dahin

Möcht' ich mit dir, o mein Beschüßer, ziehn.

Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg,
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut;,
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut.
Kennst du ihn wohl?

Dahin! Dahin

Geht unser Weg! o Vater, laß uns ziehn!

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Es schwindelt mir, es brennt
Mein Eingeweide.

Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!

13. Dieselbe

So laßt mich scheinen, bis ich werde; Zieht mir das weiße Kleid nicht aus! Ich eile von der schönen Erde

Hinab in jenes feste Haus.

Dort ruh ich eine kleine Stille,
Dann öffnet sich der frische Blick;
Ich lasse dann die reine Hülle, veil
Den Gürtel und den Kranz zurück.

Und jene himmlischen Gestalten,
Sie fragen nicht nach Mann und Weib,
Und keine Kleider, keine Falten
Umgeben den verklärten Leib.

Zwar lebt' ich ohne Sorg und Mühe,
Doch fühlt' ich tiefen Schmerz genung.
Vor Kummer altert' ich zu frühe;
Macht mich auf ewig wieder jung!

→ 14. Harfenspieler

Wer sich der Einsamkeit ergiebt,

Ach, der ist bald allein;

Ein jeder lebt, ein jeder liebt
Und läßt ihn seiner Pein.

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Es schleicht ein Liebender lauschend sacht,

Ob seine Freundin allein?

So überschleicht bei Tag und Nacht

Mich Einsamen die Pein,

Mich Einsamen die Qual.
Ach, werd ich erst einmal
Einsam im Grabe sein,
Da läßt sie mich allein!

15. Derselbe

Wer nie sein Brot mit Thränen aß, Wer nie die kummervollen Nächte

Auf seinem Bette weinend saß,

Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte!

Ihr führt ins Leben uns hinein,

Ihr laßt den Armen schuldig werden,
Dann überlaßt ihr ihn der Pein:

Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.

16. Schäfers Klagelied

Da droben auf jenem Berge,

Da steh ich, tausendmal,

An meinem Stabe gebogen,

Und schaue hinab in das Thal.

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Dann folg ich der weidenden Herde,
Mein Hündchen bewahret mir sie;
Ich bin herunter gekommen
Und weiß doch selber nicht wie.

Da stehet von schönen Blumen
Die ganze Wiese so voll;
Ich breche sie, ohne zu wissen,
Wem ich sie geben soll.

Und Regen, Sturm und Gewitter
Verpass ich unter dem Baum.
Die Thüre dort bleibet verschlossen ;
Doch alles ist leider ein Traum.

Es stehet ein Regenbogen

Wohl über jenem Haus!
Sie aber ist weggezogen, b
Und weit in das Land hinaus.

Hinaus in das Land und weiter,
Vielleicht gar über die See.
Vorüber, ihr Schafe, vorüber!
Dem Schäfer ist gar so weh.

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Wie kommt's, daß du so traurig bist, Da Alles froh erscheint?

Man sieht dir's an den Augen an,

Gewiß, du hast geweint.

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