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Zierlich Denken und süß Erinnern
Ist das Leben im tiefsten Innern.

Seht mich an als Propheten!

Viel Denken, mehr Empfinden

Und wenig Reden.

Zart Gedicht, wie Regenbogen,

Wird auf dunklen Grund gezogen;
Darum behagt dem Dichtergenie

Das Element der Melancholie.

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Meine Dichterglut war sehr gering,
So lang ich dem Guten entgegen ging;

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Dagegen entbrannte sie lichterloh,

Wenn ich vor drohendem Uebel floh.

Willst du dich als Dichter beweisen,

So mußt du nicht Helden noch Hirten preisen.
Hier ist Rhodus! Tanze, du Wicht,
Und der Gelegenheit schaff ein Gedicht.

Ein reiner Reim wird wohl begehrt,
Doch den Gedanken rein zu haben,
Die edelste von allen Gaben,
Das ist mir alle Reime wert.

Das ist eine von den alten Sünden,

Sie meinen Rechnen das sei Erfinden.

Durch Vernünfteln wird die Poesie vertrieben,
Aber sie mag das Vernünftige lieben.

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Was wir Dichter ins Enge bringen,
Wird von ihnen ins Weite geklaubt;
Das Wahre klären sie an den Dingen,
Bis niemand mehr daran glaubt.

Gern wär ich Ueberliefrung los
Und ganz original;

Doch ist das Unternehmen groß
Und führt in manche Qual.
Als Autochthone rechnet ich
Es mir zur höchsten Ehre,
Wenn ich nicht gar zu wunderlich
Selbst Ucberliefrung wäre.

Vom Vater hab ich die Statur,
Des Lebens ernstes Führen,
Vom Mütterchen die Frohnatur
Und Lust zu fabulieren.

Urahnherr war der Schönsten hold,
Das spukt so hin und wieder,
Urahnfrau liebte Schmuck und Gold,
Das zudt wol durch die Glieder.
Sind nun die Elemente nicht

Aus dem Compler zu trennen,
Was ist denn an dem ganzen Wicht
Original zu nennen?

Ein Mann, der Thränen streng entwöhnt,

Mag sich ein Held erscheinen,

Doch wenn's im Innern sehnt und dröhnt,

Geb ihm ein Gott zu weinen.

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Ja das ist das rechte Gleis,
Daß man nicht weiß

Was man denkt,

Wenn man denkt;

Alles ist wie geschenkt.

All unser redlichstes Bemühn

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Glückt nur im unbewußten Momente;
Wie möchte denn die Rose blühn,

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Wenn sie der Sonne Herrlichkeit erkennte!

Manches können wir nicht verstehn!'

Lebt nur fort, es wird schon gehn.

Den Vereinigten Staaten

Amerika, du hast es besser Als unser Continent, das alte, Hast keine verfallene Schlösser Und keine Basalte.

Dich stört nicht im Innern,

Zu lebendiger Zeit,

Unnüßes Erinnern

Und vergeblicher Streit.

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Benugt die Gegenwart mit Glück!

Und wenn nun eure Kinder dichten,

Bewahre sie ein gut Geschick

Vor Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten. 150

18. Bei Betrachtung von Schillers Schädel

Im ernsten Beinhaus war's, wo ich beschaute,
Wie Schädel Schädeln angeordnet paßten ;
Die alte Zeit gedacht' ich, die ergraute.
Sie stehn in Reih' geklemmt, die sonst sich haßten,
Und derbe Knochen, die sich tötlich schlugen,
Sie liegen kreuzweis, zahm allhier zu rasten.
Entrenkte Schulterblätter! Was sie trugen,
Fragt Niemand mehr; und zierlich thätige Glieder,
Die Hand, der Fuß zerstreut aus Lebensfugen.
Ihr Müden also lagt vergebens nieder;

Nicht Ruh im Grabe ließ man euch, vertrieben
Seid ihr herauf zum lichten Tage wieder,
Und Niemand kann die dürre Schale lieben,
Welch herrlich edlen Kern sie auch bewahrte.
Doch mir Adepten war die Schrift geschrieben,

Die heiligen Sinn nicht Jedem offenbarte,

Als ich in Mitten solcher starren Menge
Unschäzbar herrlich ein Gebild gewahrte,
Daß in des Raumes Moderkält und Enge

Ich frei und wärmefühlend mich erquickte,
Als ob ein Lebensquell dem Tod entspränge.
Wie mich geheimnisvoll die Form entzückte!
Die gottgedachte Spur, die sich erhalten!
Ein Blick, der mich an jenes Meer entrückte,

Das flutend strömt gesteigerte Gestalten.

Geheim Gefäß! Orakelsprüche spendend! Wie bin ich wert, dich in der Hand zu halten? Dich, höchsten Schaz, aus Moder fromm entwendend, Und in die freie Luft, zu freiem Sinnen,

Zum Sonnenlicht andächtig hin mich wendend.

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Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen,

Als daß sich Gott-Natur ihm offenbare,

Wie sie das Feste läßt zu Geist verrinnen,
Wie sie das Geisterzeugte fest bewahre.

19. Proömion

Im Namen dessen, der sich selbst erschuf!
Von Ewigkeit in schaffendem Beruf;
In seinem Namen, der den Glauben schafft,
Vertrauen, Liebe, Thätigkeit und Kraft;
In jenes Namen, der, so oft genannt,
Dem Wesen nach blieb immer unbekannt:

So weit das Ohr, so weit das Auge reicht,
Du findest nur Bekanntes, das ihm gleicht,
und deines Geistes höchster Feuerflug
Hat schon am Gleichnis, hat am Bild genug;
Es zieht dich an, es reißt dich heiter fort,
Und wo du wandelst, schmückt sich Weg und Ort:
Du zählst nicht mehr, berechnest keine Zeit,
Und jeder Schritt ist Unermeßlichkeit.

Was wär ein Gott, der nur von Außen stieße,
Im Kreis das All am Finger laufen ließe!
Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in sich, sich in Natur zu hegen,
So daß, was in ihm lebt und webt und ist,
Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt.

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