Page images
PDF
EPUB

Kosend spielt er mit dem Staube,
Jagt ihn auf in leichten Wölkchen,
Treibt zur sichern Rebenlaube
Der Insekten frohes Völkchen.

Lindert sanft der Sonne Glühen, Kühlt auch mir die heißen Wangen, Küßt die Reben noch im Fliehen, Die auf Feld und Hügel prangen.

Und mir bringt sein leises Flüstern
Von dem Freunde tausend Grüße;
Eh noch diese Hügel düstern,
Grüßen mich wohl tausend Küsse.

Und so kannst du weiter ziehen! Diene Freunden und Betrübten. Dort, wo hohe Mauern glühen, Find ich bald den Vielgeliebten.

Ach, die wahre Herzenskunde,
Liebeshauch, erfrischtes Leben
Wird mir nur aus seinem Munde,
Kann mir nur sein Atem geben.

5

ΙΟ

15

20

10. Wiederfinden

Ist es möglich! Stern der Sterne,
Drück ich wieder dich an's Herz!
Ach, was ist die Nacht der Ferne
Für ein Abgrund, für ein Schmerz!

Ja, du bist es, meiner Freuden
Süßer, lieber Widerpart;
Eingedenk vergangner Leiden,
Schaudr' ich vor der Gegenwart.

Als die Welt im tiefsten Grunde
Lag an Gottes ewger Brust,
Ordnet' er die erste Stunde
Mit erhabner Schöpfungslust.

Und er sprach das Wort: Es werde!
Da erklang ein schmerzlich Ach!
Als das All mit Machtgeberde
In die Wirklichkeiten brach.

Auf that sich das Licht, so trennte
Scheu sich Finsternis von ihm,
Und sogleich die Elemente
Scheidend auseinander fliehn.
Rasch, in wilden, wüsten Träumen,
Jedes nach der Weite rang,
Starr, in ungemessnen Räumen,

Ohne Sehnsucht, ohne Klang.

Stumm war alles, still und öde,
Einsam Gott zum erstenmal!
Da erschuf er Morgenröte,
Die erbarmte sich der Qual;
Sie entwickelte dem Trüben
Ein erklingend Farbenspiel,
Und nun konnte wieder lieben,
Was erst auseinander fiel.

5

ΙΟ

15

20

25

30

Und mit eiligem Bestreben
Sucht sich was sich angehört;
Und zu ungemessnem Leben
Ist Gefühl und Blick gekehrt.
Sei's Ergreifen, sei es Raffen,
Wenn es nur sich faßt und hält!
Allah braucht nicht mehr zu schaffen,
Wir erschaffen seine Welt.

So, mit morgenroten Flügeln
Riß es mich an deinen Mund,
Und die Nacht mit tausend Siegeln
Kräftigt sternenhell den Bund.
Beide sind wir auf der Erde
Musterhaft in Freud und Qual,
Und ein zweites Wort: Es werde!
Trennt uns nicht zum zweitenmal.

35

40

45

VII. Alter

THE poems which are collected under this head are representative of the last and most mature period of Goethe's life, which may be said to begin after Schiller's death. Once more the susceptible heart of the old poet is seized with a youthful passion, which breaks forth in such ardent and melodious songs as Elegie, Aussöhnung and Aeolsharfen. But the chief characteristic of Goethe's lyrics of this period is the contemplative wisdom of mature age. These poems contain the poet's final answer to the questions concerning the deepest problems of life and the world, and he who studies them will soon arrive at the conviction that Goethe differs essentially from the great poets of previous times. He will understand that it is not poetry in the common sense of the word, but truth which is the ultimate aim of Goethe's thinking, that he represents a unity of poet and philosopher which is far above the common conception of both. And his attitude toward truth may be described as deeply religious, not in the sense of any creed or church, but according to Goethe's own conception of religion. For more and more our poet is being recognized by thinking men of the present as the prophet of a new era of religious sentiment and thought.

I have in the introduction to this edition of his poems made the attempt to characterize the nature of Goethe's personality and thinking. What I have said there concerning his unique but typical way of thinking applies especially to the last period of his life.

1. Elegie

Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,
Gab mir ein Gott, zu sagen, was ich leide.

Was soll ich nun vom Wiedersehen hoffen,
Von dieses Tages noch geschloßner Blüte?
Das Paradies, die Hölle steht dir offen;
Wie wankelsinnig regt sich's im Gemüte!

Kein Zweifeln mehr! Sie tritt ans Himmelsthor, zu ihren Armen hebt sie dich empor.

5

So warst du denn im Paradies empfangen,
Als wärst du wert des ewig schönen Lebens;

Dir blieb kein Wunsch, kein Hoffen, kein Verlangen,
Hier war das Ziel des innigsten Bestrebens,
Und in dem Anschaun dieses einzig Schönen
Versiegte gleich der Quell sehnsüchtiger Thränen.

Wie regte nicht der Tag die raschen Flügel,
Schien die Minuten vor sich her zu treiben!
Der Abendkuß, ein treu verbindlich Siegel:
So wird es auch der nächsten Sonne bleiben.
Die Stunden glichen sich in zartem Wandern
Wie Schwestern zwar, doch keine ganz den andern.

Der Kuß, der lezte, grausam süß, zerschneidend
Ein herrliches Geflecht verschlungner Minnen.
Nun eilt, nun stockt der Fuß, die Schwelle meidend,
Als trieb ein Cherub flammend ihn von hinnen!
Das Auge starrt auf düstrem Pfad verdrossen,
Es blidt zurück, die Pforte steht verschlossen.

ΙΟ

15

20

« PreviousContinue »