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Selbstbetrachtung niemals reine Resultate liefern; der Beobachter kennt sich, den er kennen lernen will, schon viel zu gut im Voraus.

Die eigne Lebensgeschichte ist jedoch weder eine völlig zusammenhängende Kenntnifs, noch aus bestimmt begränzten Theilen zusammengesetzt. Ihre Parthie en treten durch Anstrengung sich ihrer zu erinnern, oder durch zufällige Veranlassungen, heller und ausführlicher hervor; wie viele aber der übrig gebliebenen Lücken sich noch möchten ausfüllen lassen, das leidet keine genaue Angabe.

Der Faden der Lebensgeschichte ist überdies sehr vielfältig der Faden äufserer Begebenheiten, die in ihrem Zusammenhange mit Interesse betrachtet wurden, und wozu nur hinterher hinzugedacht ist, dass man dieses Alles erlebt habe. Wiewohl nun auch die äufsere Begebenheiten innerlich mussten aufgefasst werden, und alle innere Auffassungen zu den Thatsachen des Bewulstseyns zu rechnen sind: so kann man doch keinesweges behaupten, dafs das Auffassen selbst wiederum innerlich wahrgenommen sey, eben so wenig,

als dafs dieses Wahrnehmen des Auffassens abermals Gegenstand einer höhern Wahrnehmung geworden sey,

welches ins Unendliche laufen würde! Demnach ist der Gegenstand der Wahrnehmung keinesweges immerfort Wir selbst; vielmehr wird die innere Wahrnehmung häufig durch die äussere, oder auch durch andere Gemüthsbewegungen unterbrochen. Ueberdies lässt sich das Eintreten einer erneuerten, also früher erloschen gewesenen, Aufmerksamkeit auf uns selbst, oft genug deutlich wahrnehmen. S. 4.

Was aber in solchen Zeiten in uns vorging, da wir weder willkührlich noch unwillkührlich auf uns achteten: das erfahren wir sehr häufig aus dem Munde Anderer, oder wir schliefsen es aus den Producten unserer eigenen Thätigkeit; und dieses giebt eine dritte Art, wie wir

zur Kenntnifs der Thatsachen unseres Bewusstseyns gelangen. Wir sind zum Beyspiel eine Strecke gegangen; ganz in Gedanken vertieft; aber die Stelle, wo wir uns jetzo befinden, verräth, wie weit unsre Schritte uns getragen haben. Oder wir haben Jemanden die Zeitung vorgelesen, ohne Interesse und Aufmerksamkeit; so wissen wir vielleicht Nichts von mehrern Zeilen, die doch der Zuhörer gar wohl vernommen hat. Oder, mitten im Phantasiren an einem Instrumente sind unsre Gedanken von der Musik abgekommen; und während wir mit ganz andern Gegenständen uns lebhaft beschäfftigen, stört uns ein Anwesender mit Bemerkungen über das was wir so eben gespielt haben. So erfahren wir hintennach, was alles durch unsern Kopf gegangen ist. Es ist hier der Ort, einer Zweydeutigkeit zu gedenken, an welche der Leser schon kann gestofsen seyn. Thatsachen des Bewusstseyns würden im engsten Sinne nur die innerlich beobachteten seyn. Durch diese Bestimmung des Begriffs wären nicht blofs diejenigen Vorstellungen ausgeschlossen, welche wegen ihrer Dunkelheit unbemerkt bleiben: sondern auch das active Beobachten, sofern es nicht wiederum in einer höhern Reflexion ein Beobachtetes wird. Aber das active Wissen gehört gewiss mit zum Bewusstseyn, wenn es nicht selbst ein Gewusstes wird. Und die dunkeln Vorstellungen verdunkeln sich so allmählig, dass das innerlich Beobachtete von dem, was sich der Beobachtung entzieht, nicht kann scharf abgeschnitten werden. Ueberdies wird Niemand bezweifeln, dafs das Beobachtete mit dem Nicht-Beobachteten in einem unzertrennlichen Zusammenhange fortlaufender Gemüths - Thätigkeit stehe. Daher rechnen wir zu den Thatsachen des Bewusstseyns alles wirkliche Vorstellen; und folglich zu den Arten, sie zu erfahren, auch die Beobachtung der Producte unserer vorstellenden Thätigkeit, sollte auch die innere Wahrnehmung unseres Thuns gemangelt haben.

Bekannte Beyspiele zu häufen, wäre unnütz. Aber

desto nothwendiger mufs bemerkt werden, dafs ganze Massen unserer geistigen Thätigkeit uns nicht eher als solche bekannt werden, als bis die Betrachtungen über unser inneres Produciren, von wo die idealistischen Systeme ausgehn, uns darauf führen. Ein Reisender erzählt wohl von dem was er gesehn hat; aber indem er seines Sehens erwähnt, und was er dabey empfunden, beschreibt, fällt ihm nicht ein, von denjenigen Thätigkeiten seines Geistes zu sprechen, vermöge deren er das, an ` sich intensive, Wahrnehmen, in ein räumliches Vorstellen ausgedehnter Gegenstände verwandelt hat. Und in unsern Psychologien lesen wir zwar von der Form der Anschauung und des Denkens, welche die gegebene Materie der Empfindung in sich aufgenommen habe; allein man unterlässt die eben so wichtige als weitläuftige Erörterung, durch welche Stufenfolge die sogenannten reinen Formen des Anschauens allmählig zum klaren Bewufstseyn gelangen; wie die Unterscheidung bestimmter Figuren möglich geworden sey; wie das Augenmaass, wie das rhythmische Gefühl sich ausbilde.

Man kann die Frage, was für eine Bewandnifs cs mit den behaupteten Formen des Anschauens und Denkens haben möge, hier noch ganz unentschieden lassen: gleichwohl steht der Satz vest, dafs in den Anwendungen und dem deutlichen Vorstellen dieser Formen eine Menge psychologischer Thatsachen verborgen liegen, die ohne Zweifel in wesentlichem Zusammenhange mit den übrigen Thatsachen des Bewusstseyns stehen, und schon deshalb der Aufmerksamkeit der Psychologie keinesweges entgehen dürfen. Allein, sowohl diese, als überhaupt die ganze Classe derjenigen Thatsachen, welche nicht unmittelbar wahrgenommen, sondern aus den Producten unserer Thätigkeit erst geschlossen werden, entfernen sich eben dadurch von der Eigenschaft der Principien; sie sind vielmehr Probleme, welche die Wissenschaft durch Lehrsätze zu lösen hat, und wo bey wir uns

wohl hüten müssen, den Erschleichungen Thür und Thor zu öffnen!

S. 5.

Ueber Beobachtung Anderer, als ein Mittel zur Auffindung psychologischer Thatsachen, lässt sich wohl kaum etwas sagen, das nicht in die vorstehenden Erörterungen zurückliefe. Denn, abgesehen von der Frage nach der Glaubwürdigkeit der Zeugnisse, wird alles darauf ankommen, wieviel und wie genau jene Anderen von sich selbst auffassen und erzählen, und wie richtig wir theils ihre Erzählungen verstehen, theils die äufsern Zeichen ihrer inneren Zustände auslegen. Mit ihren eignen Auffassungen nun sind jene in eben der Lage, wie wir mit den unsrigen: um aber ihre Beschreibungen zu verstehen, können wir nur unsre eignen innern Wahrnehmungen zu Hülfe rufen. Daher beurtheilt denn auch Jeder die Andern nach sich selbst; und die seltnern Zustände der Leidenschaft oder Begeisterung, die zarteren Regungen empfindlicher Gemüther, werden von der bey weitem gröfseren Menge der Menschen nicht verstanden.

Die erste Bemerkung, die sich hier aufdringt, ist wohl diese, dafs die Unsicherheit in den, auf dem Wege der Ueberlieferung erworbenen psychologischen Kenntnissen, in einem zusammengesetzten Verhältnisse stehe, und deshalb gröfser sey, als bey der Selbstbeobachtung. Denn hier vereinigen sich die Mängel und die Erschleichungen in der überlieferten Nachricht mit denen in unserer Auslegung, und so laufen wir die Gefahr einer doppelten Täuschung. Sie kann auch noch grösser werden, wenn die Ueberlieferung durch eine ganze Reihe von Menschen fortläuft, deren Jeder das Seinige hinzuthut. Sollte wohl dieser Fall da statt finden, wo Einer von seiner intellectualen Anschauung redet, und die Tradition davon ihren Weg durch Kopf und Mund verschiedentlich gestimmter Schwärmer nimmt, die Alle in sich selbst das wiederfinden wollen, was sie vernahmen?

Zu einer zweyten Bemerkung veranlafst die Neigung

einiger Psychologen, bey den seltenen und sonderbaren Erscheinungen der Nachtwandler und Wahnsinnigen länger zu verweilen, als bey denen, die sich im gewöhnlichen Zustande ereignen; oder auch nur, sich über die Träume und ihre Sprünge mehr zu verwundern, als über den regelmässigen Gedankengang der Wachenden. Natürlich ist es zwar, dafs aufserordentliche Erscheinungen zuerst die Aufmerksamkeit wecken und auf sich ziehen; allein schon aus der Physik weifs man, dafs von den gewöhnlichsten Begebenheiten (z. B. von den Veränderungen des Wetters) die Gründe oft am tiefsten verborgen liegen. Und in der Psychologie finden sich die gröfsten Schwierigkeiten eben da, wo man am schnellsten mit einem Worte fertig zu werden glaubt. Ich erinnere nur an das Wort Vernunft; dieses allbekannte Wort, dessen Erklärung gewifs Jeder in seinem eignen Bewusstseyn anzutreffen, behauptet, während er die psychologischen Curiosa meistens bey Andern aufsucht. - Es dürfte sich finden, dafs wir nicht so sehr Ursache hätten, die Nachrichten von ungewöhnlichen Gemüthszuständen zu sammeln. Der Reichthum von Auffassungen, die wir täglich an uns selbst machen können, ist eben so grofs, als dessen Verarbeitung schwierig und weitläuftig; und in dem Maafse, als wir für die Erscheinungen in uns, die allgemeinen Gesetze erkennen, mufs es uns auch möglich werden, aus den nämlichen Gesetzen viel besser, als aus blofser Uebertragung eigner Gefühle, die Gemüthszustände Anderer, selbst in ihren weitesten Abweichungen vom Gewöhnlichen, zu verstehen und zu erklären. So braucht der Astronom nur den Lauf der bekanntesten Planeten auf die Kegelschnitte zurückgeführt zu haben, um seinen Calcul gar bald auch den neuesten und fremdartigsten Phänomenen am Himmel anpassen zu können.

Hiemit leugne ich jedoch keinesweges irgend einer ächten psychologischen Beobachtung ihren Werth ab. Für alle Erfahrungen muss sich irgendwo eine Stelle in den Wissenschaften finden, wo sie willkommen seyn kön

nen.

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