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hielt ihn, wie es in jenem Examen weiter heisst, der,sens commun' davon ab, Paris, Rom und Constantinopel in einem Stück auf die Bühne zu bringen und lehrte ihn die Handlung eines Stückes in derselben Stadt vor sich gehen zu lassen. Er hätte hinzufügen können, dass derselbe Lehrmeister ihn davor bewahrt hat, den Grossvater im ersten, den Sohn im zweiten und den Enkel im dritten Akte zum Helden des Stückes zu machen. Weiter geht aber auch die Regelmässigkeit der Stücke nicht: in keinem derselben sind die Regeln genau beobachtet: in der Illusion comique ist für Akt 2-4 durch die Anwesenheit des Zauberers und des Vaters eine künstliche Einheit der Zeit und des Ortes hergestellt, während die eigentliche Handlung sich zu sehr verschiedenen Zeiten und an sehr verschiedenen Orten zuträgt. In den sehr viel später geschriebenen Selbstkritiken. gibt der Dichter die Verstösse gegen die Einheit der Zeit nicht nur zu, sondern er gibt sogar wie mir scheint, um die Wahrscheinlichkeit der so rasch auf einander folgenden Ereignisse zu retten - genau den Zeitraum an, der zwischen den einzelnen Akten liegt. Aber die Einheit des Orts sucht er auf alle mögliche Weise zu retten. Dies Bestreben bringt ihn endlich zu der künstlichen Interpretation des Wortes lieu', nach der „la même ville, la maison et la rue ou la place contigue font un seul lieu.“ Eine solche künstliche Erklärung war unbedingt nöthig, wenn der Verfasser die Regelmässigkeit retten wollte, denn die Scene wechselt innerhalb der Akte oft genug zwischen Zimmer, Platz und Strasse, wenn auch der Dichter den Scenenwechsel nicht angibt.

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Die Diction ist im Ganzen correkt, doch finden sich hie und da Härten, und einzelne Ausdrücke, die nach der Grammatik der classischen Zeit kaum erlaubt sein dürften.

als Belege einige Stellen aus Mélite:

I, 5. de moins sorciers que moi...
combien elle a de tort..

II, 1.

III, 2.

Cependant aprens moi comment elle te traite
Et qui te fait juger son ardeur si parfaite"

wo qui nur,was' und nicht,wer' heissen kann.

Ich citire

Die Verneinung wird nach „sans" wiederholt:

IV, 1. Sans donner a pas un aucun lieu de se plaindre

offenbar zur Vermeidung eines doppelten aucun. Der Subjonctif nach croire in bejahendem Sinne

IV, 1. Il croit que mes regards soient son propre heritage.

Wenn Mélite (IV, 3.) sagt:

Je ne vois pas Philandre et ne sais quel il est . . so will sie nach dem Zusammenhange nicht sagen, wie er beschaffen ist, sondern das,quel il est' steht für,qui c'est'. IV, 6 heisst es:

le moment déplorable,

qu'elle a su son trépas, a terminé ses jours.

Ich halte das für entschieden falsch; que bezieht sich nur auf adverbiale Ausdrücke, hier ist aber le moment nicht Accusativ der Zeit, sondern Subject des Satzes.

Neben diesen grammatischen Unrichtigkeiten finden sich viele fast niedrige Ausdrücke, die für die Comödie in Versen entschieden nicht passen:

mais du vent et cela me doivent être tout un faire le cheval échappé tenir quelqu'un en purger le cerveau

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cervelle cette une occasion comme prise aux cheveux, Cloris vous la gardera bonne.

etc.

Metaphorische Ausdrücke spielen natürlich in einem Stil, der durchweg von der Richtung der Preciösen inficirt ist, eine Hauptrolle; ich habe schon weiter oben die gewöhnlichsten angeführt. Fehlerhaft aber ist sowohl die ständige Anwendung derselben Beiwörter als die schwerfällige Umschreibung einfacher Begriffe und besonders die Zusammenstellung disparater Ausdrücke. Zur ersten Art gehören die ständigen Ausdrücke: feux sale avarice flamme Das coeurs de rochers u. A. Verbum mourir ist in lächerlicher Breite umschrieben:

Votre fourbe maudite

A mis de désespoir Tircis au monument.

Endlich führe ich folgende höchst unglückliche Methaphern an:

Les Parques ont de leurs flambeaux noirs étouffé la lumière.
Les Parques ont oublié leurs ciseaux."

Votre visage n'a pas de chaîne assez forte."

Trotzdem kann man im Allgemeinen dem Urteil des Dichters beistimmen, der seinen Stil,,nette, correct und naif" nennt. Er ist freilich für die Comödie viel zu schwer, zu rhetorisch, in einzelnen Stellen zu hoch. Der Wahnsinn des Eraste und der ganze 5. Akt der Illusion sind in einer Sprache geschrieben, die den grossen Tragiker ahnen lassen und uns schon am Schlusse dieser ersten Abtheilung zu dem Urteil kommen lassen, dass die ganze Natur des Dichters für die Comödie zu ernst und würdevoll war.

(Thl. II. folgt.)

Hester.

Von Heinrich von München.

Von

C. Schröder.

Es ist immer von Interesse und meist auch lehrreich, wenn zwei Dichter sich an der Behandlung eines und desselben Stoffes versuchen. So mag es auch nicht überflüssig sein, wenn ich hier, nachdem ich im ersten Bande der Germanistischen Studien, herausgegeben von Bartsch, die wahrscheinlich vom Dichter des Passionals verfasste Hester bekannt gemacht habe, den die Hester behandelnden Abschnitt aus der Weltchronik Heinrichs von München mittheile. Eine solche Veröffentlichung dürfte um so mehr am Platze sein, als Heinrich von München zu den Autoren gehört, die zwar in der Literaturgeschichte genannt werden, über deren Dichtungen aber nur ganz Wenige, da sie nur handschriftlich existieren, in der Lage sind, ein Urtheil zu haben. Nur Massmann hat in seiner Kaiserchronik III, p. 189 einige Verse aus dem Anfang der neutestamentlichen Geschichte abdrucken lassen, leider aber sich bewogen gefunden, diese Stücke in die Sprache des 13. Jahrhunderts zu übertragen, während mit ziemlicher Sicherheit behauptet werden darf, dass Heinrich ein Zeitgenosse Ludwigs des Baiern war, eine Meinung, die auch Wackernagel Literaturgesch. p. 174 als sicher hinstellt. Wie bedeutende Umwandlungen aber gerade um das Ende des 13. Jahrhunderts sich in der bairischen Mundart vollzogen durch das Auftreten der neuen Diphthonge, ist hinreichend bekannt; es sind also

die von Massmann gegebenen Proben nicht völlig geeignet, einen richtigen Begriff von. Heinrichs Sprache zu erwecken. Wir entnehmen unseren Abschnitt aus der höchst sorgfältigen Abschrift, welche die Gottschedin von der Kremsmünsterschen Bilderhandschrift (s. Massmann a. a. O. p. 180) machte und welche die Dresdener Bibliothek besitzt. Die Bilder jener Hs. sind von Künstlerhand nachgebildet und der Dresdener Hs. eingeklebt.

Ob Heinrich von München die ältere Hester kannte, ist mit voller Sicherheit nicht zu sagen, doch lässt eine gewisse Uebereinstimmung einzelner Verse die Vermuthung zu, dass es der Fall war. Diese Verse sind unter dem Text bezeichnet.

Hebt sich nu an daz puoch Hester mit dem chünig Asswero, des dritten Darius son.

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